ich möchte doch gern die Gelegenheit nutzen, Ihnen etwas über die Arbeitsumgebungen meiner Schüler zu erzählen. Einfach kurz zur Einordnung: Der Quadratmeterpreis für Wohnungsmiete in München liegt durchschnittlich bei 17,40 Euro. Im Schnitt haben die Familien, deren
Kinder ich unterrichte, etwa zwei Kinder. Gemessen am Mietpreis und dem Durchschnittseinkommen als Obergrenze, da nun nicht jeder bei der SZ arbeiten kann, bedeutet das eher selten, dass beide Kinder ein eigenes Kinderzimmer haben.
Nur mal so als Realitätsabgleich.
Auch wenn das nun aus dem Elfenbeinturm der SZ-Reaktion in München Bogenhausen sicherlich gut gemeint war und gerade Familien mit mehreren Kindern Ihrer Meinung nach nicht nur ihren Schreibtisch, sondern auch ihr Hirn eingebüßt haben dürften und auf fragwürdige Ratschläge und
Urteile von elitären Redakteuren einer Zeitung angewiesen sind, frage ich mich doch, mit welcher Berechtigung Sie, und gerade Sie mit Ihrer Leserschaft, glauben, solche Urteile vornehmen zu dürfen.
Was ist das Ziel eines solchen Artikels?
Der AZ den Rang streitig machen?
Wie perfide ist der Vergleich von "ärmlichen Hütten der bäuerlichen Gesellschaft" mit der Lebensrealität all derer, die häufig genug am Existenzminimum existieren und trotzdem versuchen, ihren Kindern eine Lernumgebung zu schaffen, damit sie die Möglichkeit der Teilhabe haben?
Aber ich helfe doch gern der Realität auf die Sprünge.
Das Kinderzimmer hat nun etwa 10qm.
Für ZWEI Kinder.
Folglich ist es ja nun kein Problem, auf diesen 10qm zwei Betten, zwei Schränke und zwei Schreibtische samt Stühlen unterzubringen.
Bewegung wird eh überschätzt.
Dazu kommt, dass sich die Berufslandschaft im Laufe der letzten Jahr(zehnte) doch sehr verändert hat und Homeoffice eher rückläufig war.
Mit Blick auf den üblichen Wohnraum frag ich mich dann wieder, wie hoch der Elfenbeinturm eigentlich sein muss, dass man tatsächlich glaubt,
dass auch für die Eltern noch Schreibtische Stühle, ja am besten ein Büroraum, vorhanden sein müsste.
Die Eltern meiner Schüler:innen sind sehr häufig in der Fertigung oder im Einzelhandel. Ich nehme an, Ihnen ist die Quote der im Homeoffice arbeitenden Einzelhandelsmitarbeiter
bekannt.
Ich mein, wer kennt es nicht?
Beim Semmeleinkauf landet man ja immer wieder im Büro von Frau Maier, die liebevoll die Semmeln aus dem IKEA Callax (39,99 Euro) sortiert und noch backofenfrisch an uns verkauft.
Zurück zu meinen Schülern.
Die Geschwister sitzen nun also zu zweit in ihrem Kinderzimmer.
Beide sollen an Videokonferenzen teilnehmen - wenn so viele Endgeräte überhaupt vorhanden sind.
Wenn wir jetzt mal nicht davon ausgehen, dass, wie in Bogenhausen üblich, die üppige
Dachterrasse mit Heizschwammerl angegliedert ist, bleibt wohl einem der beiden Geschwister nur die Option auszuweichen. Da die SZ-Redaktion voll sein dürfte, wählt das Kind - Überraschung - den Küchentisch.
Gerade jüngere Kinder werden dort vielleicht von Anfang an arbeiten, um
die Unterstützung der Eltern in Anspruch zu nehmen, im Geschehen zu sein, Nähe und Zuwendung zu finden.
Diese Zuwendung ist nämlich nicht bezahlbar.
Auch nicht für 40 Euro bei IKEA. Ähnlich verhält es sich mit Denkleistung, die bei Ihnen nicht mal für 5 Cent vorhanden war.
Also, liebe SZ, ruderns doch mal zurück und schauen Sie kurz auf die Lebensrealität unserer Familien.
Und bis dahin dürfen Sie es mit Karl Valentin halten: "Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten."
Ja, es läuft in allen Schulen anders. Hier mal ein paar mögliche Antworten, warum das so ist.
"Meine Kinder haben nur morgens kurz ein Meeting."
Vielleicht, weil die Lehrkraft verpflichtet ist, das Meeting von der Schule aus zu machen.
Vielleicht weil die Schulleitung das so vorgegeben hat.
Vielleicht weil nach vielen Versuchen sich zeigt, dass das bei der Menge der Kinder am besten funktioniert. (Ja, ist echt so! Dauerhafter Online-Unterrichtet ermüdet die Kids sehr)
Vielleicht weil die Lehrkraft faul ist.
"Meine Kinder müssen ihre Arbeitsblätter am Pausenhof abholen."
Vielleicht weil sehr viele SuS keinen Drucker haben.
Vielleicht weil eine hohe Kindswohlgefährdung vorliegt und die Lehrkraft die SuS ab und zu sehen möchte.
Vielleicht weil die Lehrkräfte auf Wäschekörbe steht.
Let´s talk about...was Lehrkräfte verlangen und was sie verlangen dürfen
Ich lese immer wieder, dass Eltern von heute auf morgen diverses Zeug besorgen sollen (Springseile, Mappen der Größe xy, die es nur in Indien im Einzelhandel gibt, natürlich in der Farbe Veilchenblau,
kariert mit Rand vom glücklichen Elefanten, selbst gehäutet und zu Leder verarbeitet...) und sollte das Zeug nicht bis 07:38 Uhr in doppelter Ausführung in den Händen der Lehrkraft sein, werden die Folgen gar fürchterbar sein.
Nö.
Leute, das ist Schmarrn.
Es gibt eine Zumutbarkeitsgrenze und die ist erreicht, wenn ich während des Lockdowns irgendwas Ungewöhnliches (!) innerhalb kürzester Zeit besorgen soll.
Jetzt seid ihr natürlich tolle Eltern und häutet sofort den indischen Elefanten, damit euer Jona-Eliah
Natürlich wird jetzt schon wieder darüber diskutiert, ob und wann die Schulen wieder geöffnet werden und was die Alternativen wären.
Nicht falsch verstehen, mir wäre es am liebsten, alle blieben daheim und alles wär gut.
Aber.
Es sind zwei Aspekte. Einerseits die (fehlende) technische Ausstattung. Da ist der Punkt, an dem Bund und Ländern aufholen können und auch schon viel passiert ist.
Nicht überall gleich, viele Lücken, aber machbar.
Meiner Meinung nach ist das nicht mehr das Hauptproblem.
Der andere Aspekt ist aber die Gefährdung der Kinder, wenn sie daheim sind und nicht in der Schule. Ich hab ein Bild einer Studie der TU München angehängt, das zeigt, wie stark die häusliche Gewalt gegen Kinder während des Lockdowns und in Quarantäne angestiegen ist.
Kennt ihr den Satz, dass aus allem Schlechten etwas Gutes erwächst?
Ich mag ihn nicht. Warum? Weil er stimmt und das ärgert mich.
Aber egal. Ich erzähl euch jetzt mal das seltsamste Gute, das dieses Jahr passiert ist.
Als ich hierher kam, wollte ich anonym bleiben. Selbst meine Nummer für Whatsapp hab ich nicht rausgegeben.
Dann wurde ich gedoxxt, mein Name, meine Adresse und meine Schule wurden durchs Netz getrieben. Ich war damals fix und fertig und wollte gehen. Nur noch weg.
Ich hatte heute geschrieben, dass ein Schüler nicht zum Arzt durfte von seinem Vater aus, weil er selbst schuld hat an seiner Verletzung, wenn er zu blöd ist, einen Ball zu fangen.
Darauf erreichte mich eine DM, dass der Vater recht hat, immerhin
wisse der Bub nun um die Konsequenzen seines Verhaltens.
Dazu mag ich was sagen.
Nämlich: Fick dich. So ein Schmarrn.
Hier werden Ebenen verwechselt. Die Konsequenz aus dem falschen Fangen des Balls ist der Schmerz, das stimmt. Schlimm genug. Wir müssen nicht alles durch Erfahrung lernen. Genau genommen wären wir wohl ausgestorben, wenn wir tatsächlich jede Erfahrung selbst machen müssten.
Heute hat ein Account getweetet: "So lange Ihr kritisierte Tweets kommentar- und erklärungslos löscht, werden andere von diesen Tweets vorsorglich Screenshots machen."
Und ich bin selten über eine Aussage so erschrocken.
Ist euch klar, was da eigentlich steht?
Hier wird Stalking und Nötigung gerechtfertigt.
Nämlich damit, dass man glaubt, dass man ein Recht darauf hätte, dass auf Kritik reagiert wird, dass eine Löschung gerechtfertigt wird.
Fremden Menschen gegenüber, in dem Fall sogar geblockten Menschen.
a) Ein Block sagt: Nein, ich möchte nicht, dass Du meine Sachen liest. Darüber wird hinweggegangen mit Zweitaccounts.
Das allein ist unglaublich übergriffig und anstandslos.
Es ist wie vor einer geschlossenen Tür zu stehen und zu versuchen, durch den Spion zu schauen.