Ein sehr lesenswerter Artikel über (bzw. gegen) "geschlechtergerechte" Sprache (#Gender) von Prof. em. Gisela Zifonun: "Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem". Meine Highlights als #Thread

Hier das PDF: ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deli… 1/14
Zuvorderst ist festzuhalten, das Frau Zifonun Sprechern einer Sprache das Recht einräumt, "über Sprachpflichten zu reflektieren". Das ist eine gute Voraussetzung. Jedoch ist der Artikel von 2018 (erschienen im IDS Sprachreport Jg.34). Neuere Dogamtik ist da noch außen vor. 2/14
Beispiel: "Selbst wenn es jemals eine Empfehlung für den Gebrauch dieser Konstrukte durch den Rat für Rechtschreibung geben sollte, so wird sich diese nur an diejenigen richten, die gendern wollen." Die ganzen Sprachleitfäden (Audi) waren da noch nicht geschrieben. 3/14
Zwar sah sie den sozialen Druck, der mittlerweile diesbezüglich herrscht, nicht voraus, jedoch, dass im "universitären Milieu Kämpfe [auf] undemokratische Weise ausgetragen" werden, bei denen es nicht um die Sache, sondern die "(Deutungs-)Macht" geht. 4/14
Daraus folgert sie m.E. sehr richtig, dass es eine demokratische Selbstverständlichkeit sei, "dass Gendern keine Pflicht wird". Ja. So weit die politische Einordnung. Im Folgenden werden die Fallstricke des Genderns sprachtheoretisch präzise analysiert. 5/14
Beispiele sind die Vermeidungsstrategien wie Partizipierung (Dozierendenzimmer, in dem Dozenten eben nicht dozieren), Vermeidung von Personenbezeichnungen, Probleme bei der Wiederaufnahme von Pronomina, semantischer Ökonomie uvm. 6/14
Zwei wichtige Erkenntnisse für mich sind: 1.: Durch sprachliche Vermeidungsstrategien kommt eine "Entpersönlichung" in die Sprache, bei der man sich fragen kann, ob sie "wünschenswerter [ist,] als die Vermeidung von Geschlechterungerechtigkeit oder der Anschein davon." 7/14
2. geht es beim Gendern "nicht um Identifikation, sondern die Zuschreibung von Eigenschaften oder die Einordnung in eine Klasse." Ganz genau. Die Folge ist eben nicht mehr Gerechtigkeit, sondern lediglich eine Identitätszuschreibung und damit eine Inklusion/Exklusion. 8/14
Zafonun führt als Beispiel ein Zitat von Thea Dorn an: "Ich halte sie [Felicitas Hoppe] nicht nur für eine der wichtigsten Schriftstellerinnen, sondern für einen der wichtigsten Schriftsteller Deutschlands". 9/14
"Hier wird deutlich, dass die markierte Form Schriftstellerinnen nicht leisten kann, was geleistet werden soll: Einordnung in den Top-Bereich der Gesamtklasse der schiftstellernden Personen Deutschlands." Ähnlich Whoopie Goldbergs "I'm not an actress, I'm an actor." 10/14
Siehe der Artikel von N. Pollatschek: "Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer". Dazu gibt es eine Replik von A. Stefanowitsch. Zafonun zeigt aber in ihrem Artikel so einige Fehler Stefanowitschs auf. 11/14

tagesspiegel.de/kultur/deutsch…
Als Fazit zieht Zafonun: "Striktes Gendern, ohne Berücksichtigung von referentiellem Modus, aber auch von Kommunikationsgelegenheit und Interaktionsgattung, ist wenig sinnvoll." Wenn es wirklich um mehr Geschlechtergerechtigkeit ginge, dann ... 12/14
"wäre im Gegenteil auf Strategien der Unsichtbarmachung von Gender überhaupt zu setzen." Und das ist so ziemlich die 180°-Position zu den heute Gängigen Leitfäden. Aber auch, wenn nicht sprachtheoretisch argumentiert wird, bin ich bei Zafonun mit dem Abschlusszitat: 13/14
"Mir ist nicht wohl dabei, wenn Formulieren, vor allem auch schriftliches Formulieren, zu einem Slalom um 'verbotene' oder nicht angeratene Ausdrucksformen wird. [...] So werden wir unsere Sprache [...] endgültig zu lieben verlernen." Traurig aber wahr. Ende 14/14

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11 Jul 20
Nach den Beiträgen zur Causa #Mbembe in der taz, vom Deutschen Kulturrat und jetzt diesem hier, habe ich mir das Kapitel "Sehnsucht nach Identität: Postmoderner Antisemitismus" aus "Globaler Antisemitismus" von @ProfSalzborn noch mal durchgelesen. Ein Exzerpt als #Therad. 1/15
"Grundlage [...] des linken Antisemitismus ist [...] eine schleichende Dominanzgewinnung von postmodernen Weltbildern, in denen Aufklärung und Modernisierung [...] in Gänze verworfen werden." Das Problem des Postmodernismus ist, die "Aufklärung sui generis zu verteufeln" und 2/15
gleichzeitig in "einen radikalen Kulturalismus zu verfallen. Man kann sowohl die brutalen Praktiken des Kolonialismus kritisieren und trotzdem gleichzeitig betonen, dass eine repressive Gemeinschaftsstruktur [...] keine Alternative zur Aufklärung sein kann." 3/15
Read 16 tweets
23 May 20
Dank @OpaPaul1895 bin ich gestern auf den Blogeintrag „Was ich von Ken Jebsen gelernt habe“ von Alexis Mirbach auf der Seite "Medienrealität" gestoßen. Mit der Seite, dem Beitrag und den Personen habe ich mich heute beschäftigt. Ein längerer #Thread über ein Münchner Institut.
Die Seite „Medienrealität“ wird herausgegeben von Dr. Michael Mayen, Professor für Systematische Kommunikationswissenschaft an der @LMU_Muenchen, Institut ist das @ifkw_lmu. Autor der Beitrags ist Dr. Alexis Mirbach, Mitarbeiter im Forschungsverbund „ForDemocracy“.
Hier besagter Beitrag einer Seite ("Medienrealität") des Instituts für KW (der Blog wird auf der Personenseite Dr. Mayens verlinkt, im Impressum ist das Institut genannt), vom 15.5.2020, abgerufen 23.5.2020:
medienblog.hypotheses.org/9534
Read 42 tweets
19 Nov 19
#Thread - Daniele Ganser
Ich habe mal ein paar Sachen zu Daniele #Ganser, dem WTC7-Verschwörungstheoretiker, zusammengetragen. Die Infos gibt es schon auf @Psiramcom, dem YT-Kanal "Verschwörung & Fakten" und dem @gwup-Blog. Es sind 24 Punkte. Es geht los:
1. Anders als er selbst behauptet, wurde er nicht wegen Widerständen zu einer 9/11-Forschung von der Uni entlassen - es gibt seinerseits keine offizielle 9/11-Forschung. Die Uni St. Gallen hat in einfach fallen gelassen, wegen Unwissenschaftlichkeit.
bzbasel.ch/schweiz/versch…
2. 2006 ging er das Thema 9/11 zum ersten Mal im tagesanzeiger an. Dieser Artikel von ihm dient ihm seitdem als Quelle, auf die er sich immer wieder bezieht. Hier kommen Polizisten, Charly Sheen und Sharon Stone zur untermauerung seiner Thesen vor. siper.ch/assets/uploads…
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17 Nov 19
LeBon erfährt tatsächlich seit einigen Jahren eine Renaissance, besonders im rechten Lager und in der Querfront. Alleine auf pi-news finden sich 91 Artikel mit Referenz auf ihn. XR zitiert ihn hier als Negativbeispiel, als Skeptiker der Emotionalität oder Mahner zu Vernunft.
1/8
Tatsächlich hält LeBon Menschen in „Massen“ für wenig vernunftbegabt. Ob er daher zur Vernunft mahnt, sei dahin gestellt. M.E. ist der Versuch der Instrumentalisierung von Emotionen als Aktion(skonsens) seitens #ExtinctionRebellion viel interessanter.
2/8
Die These von XR ist, so weit ich das sehe: Emotionen führen zu Emanzipation und werden proaktiv als Teil der Aktion, der Bewegung hervorgerufen bzw. sind Teil des Plans. Und hier wird es m.E. gefährlich, da gebe ich @jutta_ditfurth völlig Recht.
3/8
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