"I know that my Redeemer liveth" – ein paar Gedanken zum #Predigttext Hiob 19, 19-27. In der christlichen Rezeption geht es hier einem zentralen Widerspruch des Glaubens: Gott sagt (ewiges) Leben zu, er hebt aber den Tod (noch) nicht auf. (1/12)
Das ist ursprünglich noch ganz innerweltlich gedacht: Wie gehen wir um mit einem Gott, der allwirksam im Zusammenhang von Leben und Tod, Werden und Vergehen bleibt? Hiob besteht mit schmerzhaftem Nachdruck darauf, die Lage realistisch wahrzunehmen: (2/12)
Es nützt nichts, vor der Anfechtung zu fliehen, sie zu überspielen oder zu relativieren. Mut zeigt sich aber nicht nur im Aushalten der Leidenserfahrung. Dazu gehört auch die „leidenschaftliche Weigerung, sie als endgültig anzuerkennen“ (O. Bayer). (3/12)
Hiob bleibt in seiner Klage selbstbewusst: Er spricht von jenseits der Todesschranke und will trotzdem *seine* Wahrheit sichern wie in einer Inschrift, die in den Fels gegraben und mit Blei ausgegossen wird (V.23f.). (4/12)
Das gequälte Ich imaginiert einen Gerichtsprozess, in dem ein „Löser“ (go’el ) auftritt. Der kann aus der Todessphäre ([„Staub“/aphar, V.25 retten, indem er seinen Anspruch auf das Leben geltend macht. Bei Hiob ist der Löser nicht mehr ein physisch Verwandter. Ist es Gott? (5/12)
Martin Luther sagt: Hiob ruft Gott selbst als Löser gegen Gott an (vgl. den Umschwung von Hi 16,18 nach V.19 oder Hi 17,3.). Das Bild vom Prozess wird dadurch gesprengt: Angeklagter, Verteidiger und Richter sind ein einziger. Der leidende Mensch ist nurmehr Nebenkläger. (6/12)
Luther hat von dieser Beobachtung aus die Denkfigur der Flucht weg von (dem verborgenen) Gott hin zu Gott (dem offenbaren Vater Jesu Christi) eingeführt („ad deum contra deum confugere“ WA 5,204,26f.). (7/12)
Und wenn es mit „zerschundener Haut“ und „ohne mein Fleisch“ geschieht (V.26), „(wenn auch) meine Nieren schwinden in meinem Innern“ (V.27; die Luther-Übersetzung ist textfern und verharmlosend) – das Hiob-Ich sieht für sich persönlich eine positive Zukunft. (8/12)
Aus der trotzigen Klage des leidenden Gerechten Hiob ist seit der Auslegung des Hieronymus ein zentrales Bekenntnis zur christlichen Auferstehungshoffnung geworden. Das würde ich in einer Predigt eher leise andeuten als es zur Erschließungsperspektive zu machen. (9/12)
Ich schätze das Buch Hiob, weil es die ambivalenten Gefühle gegenüber Gott als machtvollem, übermächtigem Bestimmer zum Ausdruck bringt. Am Ende der Parabel ist Hiob rehabilitiert, der Dulder bekommt all das wieder, was ihm zu Unrecht genommen worden war. (10/12)
Gott *ist* endlich, wie Hiob im Predigttext gegen allen Anschein behauptet hat, als „Löser“ aufgetreten und hat wieder alles ins Reine gebracht. Doch der Abgrund, in den Hiob in der Zwischenzeit sehen musste, ist dadurch nicht ungeschehen gemacht. (11/12)
Mitten im Leben musste er Todesqualen aushalten. Seine bohrenden Fragen nach Gottes Gerechtigkeit, nach dem „Warum“ unschuldigen Leidens sind unbeantwortet geblieben. Genauer: Gott hat sie beantwortet, indem er Hiob seine unvorstellbare, maßstabzerbrechende Macht gezeigt hat.(12)

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