Heute kommt einer der letzten Flüge aus Griechenland in Deutschland an. Inzwischen schottet sich Griechenland mit illegalen Praktiken weitgehend gegen Schutzsuchende ab. Trotzdem wird auch die Situation auf den Inseln vollkommen unwürdig bleiben. (Thread) #LeaveNoOneBehind
Trotz der Behauptung durch die EU-Kommission, dass die Lage der Menschen schnell verbessert werden soll, gibt es viele Maßnahmen, die die Situation weiter verschlechtern. Dabei wird ein Scheinargument zur Verbesserung herangeführt: Die Zahl der Menschen auf den Inseln sinkt.
Das ist zwar richtig, allerdings sagt das nichts darüber aus, ob die Menschen auf dem Festland besser behandelt werden als in Moria, denn auch dort gibt es unwürdige Zustände. Das OVG NRW hat kürzlich geurteilt, dass Geflüchtete auch dort nicht menschenwürdig behandelt werden.
Ein weiteres Scheinargument ist, dass es erst einen neuen EU-Asylpakt braucht, um eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Dieser Pakt wird frühestens 2022 beschlossen und in der aktuellen Fassung nicht zu einer Verbesserung beitragen.
Schon seit März 2020 wird über den Bau eines neuen (besseren) Lagers auf Lesbos diskutiert. In einem Jahr ist nichts (!) beim Bau vorangegangen. Die EU-Kommission sagt nun, dass das Lager vor dem nächsten Winter fertig wird. Das ist vollkommen unrealistisch.
Das Kommunalparlament hat vor kurzem mit knapper Mehrheit beschlossen, dass es ein geschlossenes Lager gebaut werden darf. Die Kommission behauptet derweil, dass das neue Lager offen sein soll. Für ein offenes Lager gibt es dort aber keine Mehrheit.
Es ist also davon auszugehen, dass es dort ein Gefängnis geben wird: Man will eine Ausgangsbeschränkung einführen, mit der die Geflüchteten wenige h pro Woche raus dürfen.
Das wird momentan schon geprobt, die Kommission bezeichnet diese Beschränkung nicht als geschlossenes Lager.
Der Bau von Moria hat sich über Jahre gezogen. Allein der Ausbau des Lagers Moria im Jahr 2014 von einer Kapazität von 98 auf 410 Personen dauerte ein Jahr. Die Aufstockung auf 2800 Personen wurde dann ein Jahr später abgeschlossen. Damals gab es jedoch keine großen Widerstände.
Der Neubau wird auf Lesbos kein normales Bauvorhaben. Militante Übergriffe hat es schon im letzten Jahr gegeben. Ohne militärischen Schutz wird der Bau nicht möglich sein. Im letzten Jahr wurden 200 Polizeibeamte vertrieben, die den Neubau schützen sollten.
Kurzum: Das Versprechen eines neuen Pakts, der alle Probleme löst ist „das Prinzip Hoffnung“ ohne greifbare Ergebnisse. Auch der angekündigte Neubau wird nicht wie angekündigt umgesetzt. Darauf würde ich sehr viel wetten.
Die EU-Kommission hat nun eine bewährte Strategie zur Verantwortungsdiffusion angewandt: Es wurden weitere 276 Millionen Euro bereitgestellt. Damit kann die Kommission im Herbst sagen, dass das Problem nicht bei ihnen lag, sondern Griechenland Schuld ist.
Bereits im November (!) wurden dafür allerdings schon 121 Millionen genehmigt und ein Vertrag unterschrieben. Vielleicht sollte man auch mal fragen, warum in den letzten 5 Monaten auf Lesbos wieder nichts (!) passiert ist.
Hier die Nachricht aus dem November:
Griechenland wird dann sagen, dass es immer noch keinen neuen Pakt gibt und sie überfordert sind. Und dann beginnt das Spiel von neuem. Selbst wenn das neue Lager gebaut wird, wird es keinen robusten Menschenrechtsschutz bieten.
Dafür bräuchte es einen Mechanismus, der verhindert, dass die Menschen dort nicht monatelang festsitzen. Auch nach einer Ablehnung wird es Menschen geben, die nicht zurück können.
Diese Menschen sind im Pakt nicht vorgesehen.
Die einzige Lösung bleibt also, dass einzelne Staaten wie Deutschland unabhängig vom Status oder der Herkunft von Ankommenden mit ernsthaften Kontingenten die Verantwortung für Ankommende übernehmen.
Wenn diese Lösung nicht gewählt wird, wird es weiterhin die Menschenrechtsverletzungen - entweder auf dem Wasser oder an Land - geben.
Das weiß auch die Bundesregierung, allerdings lenkt sie davon ab, dass sie das Problem kurzfristig für die momentan an den Außengrenzen befindlichen Menschen einfach lösen könnte, weil sie den Status quo besser findet als die Lösung. Brauchen mehr Druck: #LeaveNoOneBehind (Ende)

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1 Apr
Die Europäische Mittelmeermission Irini hat in einem Jahr nicht eine einzige Person aus Seenot gerettet. Deutlich über 1000 Menschen sind seitdem ertrunken. Ich fordere, dass die EU-Kommission selbst aktiv wird, statt auf die Mitgliedsstaaten zu verweisen. ⬇️ #LeaveNoOneBehind Image
Die Mitgliedsstaaten wollen in der Mehrheit keine Seenotrettungsmission, das wird sich so schnell nicht ändern. Die EU-Kommission behauptet, dass sie sich für die Seenotrettung stark macht, aber ohne die Mitgliedsstaaten nichts zu machen ist, denn EU habe keine Zuständigkeit.
In einem Rechtsgutachten, das ich in Auftrag gegeben habe, wird aber eindeutig dargelegt, dass die EU-Kommission rechtliche Möglichkeiten hätte, eine zivile Seenotrettungsmission aus ihren Mitteln zu finanzieren, indem sie zum Beispiel internationale Organisationen unterstützt.
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23 Mar
Es ist ja inzwischen auch eine tragisch-komische Tradition, dass man viele Stunden lang sehnsüchtig wartet, um dann irgendwann endlich erfahren zu können, dass es immer noch keinen richtigen Plan gibt. #Ministerpraesidentenkonferenz
Achso, und weil wir gerade Zeit haben:
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12 Jan
Alle Menschen endlich mit genügend kostenlosen FFP2-Masken auszustatten ist deutlich günstiger als eine Woche Lockdown. Es wäre wirtschaftlich absurd, das nicht zu tun.
#FFP2Masken
Aber neben den Masken brauchen wir endlich einen Fahrplan, wie schnellstmöglich mit systematischen Schnelltests und den Masken zum Beispiel wieder der Zugang zu Schulen sichergestellt werden kann, ohne angesichts der Virusmutation sofort wieder im exponentiellen Wachstum zu sein.
Auch eine schwer zu erreichende Inzidenz unter 50 alleine wird leider nicht reichen, um Schulen wieder regulär zu öffnen. Auch die wichtige Notbetreuung könnte mit Tests besser abgesichert werden.
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12 Jan
Die EU-Betrugsbehörde OLAF ermittelt gegen #Frontex wegen illegaler Pushbacks und wegen Fehlverhaltens. In der Woche vom 7. Dezember wurden das Büro von Frontex-Chef Leggeri durchsucht und Personal befragt. Quellen aus Frontex berichten aber noch mehr... (Thread)
So soll der Frontex-Chef aktiv verhindert haben, dass 40 Personen zur Menschenrechtsbeobachtung rechtzeitig eingestellt wurden, obwohl das im Frontex-Mandat rechtsverbindlich geregelt ist.
Er soll mehrfach gesagt haben, dass Berichte über Pushbacks nicht in der Agentur oder nach außen verbreitet werden sollen. Interne Berichtsverfahren über Pushbacks sollen ausgebremst worden sein.
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4 Jan
Die EU-Kommission fordert von #Bosnien, Geflüchtete menschenwürdig zu behandeln. Das ist zwar richtig, aber an Doppelmoral schwer zu überbieten: Wer aus den lebensgefährlichen Bedingungen in Bosnien flieht, wird von EU-Mitglied Kroatien misshandelt und abgewiesen. #Lipa
Frontex schaut dabei mit Beamten der anderen Mitgliedsstaaten zu. Die EU-Kommission hat trotzdem - oder gerade deswegen - den Schengen-Beitritt Kroatiens auf den Weg gebracht und bislang sowohl Vertragsverletzungsverfahren als auch öffentliche Kritik weitgehend vermieden.
Wer soll den Ruf der EU nach menschenwürdiger Behandlung von Schutzsuchenden ernst nehmen, wenn die ganze Welt weiß, dass EU-Staaten und Kommission selbst Menschen misshandeln und ihr eigenen Menschenrechte brechen?
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10 Sep 20
Bin jetzt auf Lesbos. Nach dem Brand in #Moria sind über 10.000 Menschen obdachlos. Ganze Strassenzüge voller obdachloser Menschen. Ich werde zusammen mit @GoeringEckardt versuchen in den nächsten Tagen zu berichten und politischen Druck aufzubauen.
Ich habe Hassan gefragt, wo er mit seiner Familie wohnt.
Er zeigte auf diese Matratze.
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