#Bernd. Der Tag danach. Ich wohne im Kreis Euskirchen, wo am 14. Juli #Bernd gewütet hat. Es folgte ein Tag mit surrealen Bildern, ohne Telefon und Internet und mit vielen Fragen. Ein Thread aus einem Katastrophengebiet. #Hochwasserkatastrophe #Klimawandel #Starkregen
Eins vorneweg: Unser Haus ist nahezu unbeschadet, wir sind am Leben, ein Riesenglück, dass wir immer noch kaum fassen können. Denn im Nachbardorf, nur 2 km von uns entfernt, haben Freunde alles verloren und Augenblicke furchtbarer Angst erleben müssen. #Hochwasserkatastrophe
Am Tag danach, als #Bernd schon nach Süden gezogen ist, gibt es kein Internet, keinen Mobilfunk, kein Festnetz. Gar nichts. Die Tankstellen stehen im Schlamm, Straßen sind gesperrt, Bankautomaten sind außer Betrieb. Wir haben kein Bargeld und wenig Sprit. #Hochwasserkatastrophe
Wir beschließen zum nächsten Funkmast zu fahren, um zumindest Familie und Freunden Bescheid geben zu können, dass wir leben und in Sicherheit sind. Die Straßen sind verstopft, im 10-Minutentakt rasen Feuerwehr- und Notarztwagen an uns vorbei. #hochwasserhilfe
Das Nachbardorf sieht aus wie nach einem Inferno. Straßen sind voller Schlamm. Aufgerissene Bürgersteige. In der Nähe der Bahnstation liegen Dutzende verbeulte Autos auf dem Dach, zusammengedrückt, als wären sie Tetris-Steine. #Hochwasserkatastrophe #Bernd
Absperrband flattert. Die Menschen unter Schock. Leere Blicke. Ein Pärchen geht an uns vorbei. Beide wirken völlig entgeistert. Ihre Klamotten sind dreckig, gerissen, sie latschen müde durch den Schlamm. Barfuß. Ich will vor Verzweiflung nur noch schreien. #hochwasserhilfe
Eine Frau kommt auf uns zu. Es sei so schnell gestern gegangen. Kaum habe sie ihren Eltern Bescheid gesagt, sie sei in Ordnung, kam die Flut. Jetzt stünde ihr Keller bis zu Decke voller Wasser. Handy, Telefon, Internet – nichts funktioniere.#Hochwasserkatastrophe #Flutkatastrophe
Nach zwei Stunden gehen schließlich zwei Sprachnachrichten raus, ich konnte viermal telefonieren. Ein Wunder. Drei verschiedene Mobilfunkanbieter, vier Handys. Und nur eins funktionierte kurz. Für etwa 13 Minuten hatte ich Mobilfunkempfang. #Hochwasserkatastrophe
Wir fahren weitere Tankstellen ab, nur Bargeldzahlung möglich. Alle Bankautomaten sind aus. Mindestens 5 Brücken in unserer Nähe sind unterspült, sehr viele Straßen gesperrt. Wir haben Sprit für 30 km und nicht einen einzigen Bargeldschein. Wir fahren heim.#Bernd #hochwasserhilfe
Die einzigen Infoquellen sind an diesem Tag Fernsehen und Radio. Durch Berichte dort können wir erst das Ausmaß der Katastrophe begreifen. Bei @tagesschau24 können wir die PK mit Ministerpräsident #Laschet sehen. #Hochwasserkatastrophe #Bernd
#Laschet besucht Hagen. Bei der PK fordert er mehr Maßnahmen gegen den #Klimawandel. Und sagt, bei Privatmenschen würden Versicherungen die Schäden abfangen. Das Land würde den Kommunen unter die Hände greifen, um Infrastruktur wieder in Stand zu setzen. #hochwasserhilfe
Habe ich das richtig verstanden? Keine Soforthilfen? Keine einmaligen Zahlungen? Ich kann nichts nachlesen, kein Internet. Stattdessen in Dauerschleife das Lob an Hagener Krisenstab, der sich vorbereitet hätte, als „die Sonne noch schien und keiner ahnte“, so ungefähr. #Bernd
Nun, die Sonne schien auch schon am Montag. Da gab es schon Warnungen vor dem #Bernd. Hagen hat sich vorbereitet, und das Land? Warnungen folgten auch am Dienstag. Und am Mittwoch. Hätte man nicht spätestens dann einen Krisenstab zumindest in Alarmbereitschaft versetzen können?
Vielleicht hätte man mit Bundesländern sprechen können, die nicht so schwer betroffen sein würden, ob sie unterstützen könnten. Damit die örtlichen Feuerwehren, THW und Einsatzkräfte keine 30-Stunden-Schichten schieben müssen. Vielleicht ist es auch passiert, wir wissen es nicht.
Beim ersten Medienauftritt am Tag nach dieser furchtbaren Katastrophe sagt Ministerpräsident #Laschet, man müsse den Menschen helfen, an die Menschen denken. Das ist richtig. Von konkreten Soforthilfen an die Betroffenen erstmal nichts. Ich hoffe, dass das kommt. Das muss es.
Denn soweit ich weiß, braucht man für Unwetter- und Katastrophenschäden eine spezielle Versicherung, die nicht jeder hat. Und die Versicherungen werden in den Schadensmeldungen versinken, es wird alles dauern. Hilfe muss dagegen schnell und unbürokratisch kommen. #hochwasserhilfe
Ich denke an unsere Freunde im Nachbardorf, nur 2 km entfernt. Wir haben sie vorhin getroffen. Sie konnten die Tränen kaum zurückhalten. Der Keller komplett unter Wasser, Heizöl ausgelaufen, kaputte Tiefkühltruhen, der Vorgarten voller Schlamm, der Wagen vollkommen demoliert.
„Wir können nicht kochen, nicht duschen. Wir haben keinen Strom. Das WC funktioniert nicht. Wir können niemanden erreichen. Es gibt keinen Infowagen. Die 112 - zusammengebrochen. Keiner interessiert sich für uns. Wir stehen vor dem nichts.“ Wir wollen helfen, wie wir nur können.
Es hat sich so viel Leid über der Region entladen, dass man es kaum ertragen kann. Menschen sind in der Flut gestorben. Menschen haben ihre Existenzen verloren. Und am Tag danach, total geschockt und verzweifelt, konnten sie kaum jemandem davon erzählen oder um Hilfe bitten.
Mich wundert auch, dass es keinen landesweiten Krisenstab gibt. Oder vlt gibt es den mittlerweile? #Bernd gleicht auf der Karte einem riesigen lila Streifen, der durch halb NRW gezogen ist. Die Landesregierung spreche von „lokalen Ereignissen“, hieß es gestern im Fernsehen. Hä?
Müssten nicht Helfer aus anderen Bundesländern angefordert werden? Könnte nicht ein landesweiter Krisenstab das viel besser koordinieren, als wenn einzelne Kreise Hilfe anfordern? Kann ein einzelner Kreis das überhaupt stemmen? Wie kommt unser Kreis zurecht? Wir wissen es nicht.
Die Infos sind spärlich - oder schwer zu bekommen. Und selbst wenn das ein lokales Ereignis sein soll, hätte man nicht alles daran setzen müssen, so schnell und so viele Helfer wie möglich hierher zu holen? Im Voraus, bevor die Verkehrsverbindungen gekappt waren? #Bernd
Damit sich die örtlichen Helfer nicht bis zur vollkommenen Erschöpfung abkämpfen müssen. Damit mehr Menschen geholfen wird. Damit besser koordiniert wird. Und damit Betroffene weniger das Gefühl haben ausgeliefert zu sein. Und damit Helfer mehr Unterstützung spüren.
Ganz privat und persönlich habe ich viele Fragen. Es geht nicht um Stilkritik bei Twitter, schon gar nicht um parteipolitische Diskussionen. Sondern schlicht: Wie gut war das Land auf den #Bernd vorbereitet? Was hätte man davor und danach besser machen können und müssen?
Übrigens: Das Internet ist so was wie wieder da. (Eine sehr vorsichtige Freude, weil es wieder weg sein könnte.) Wir können telefonieren. Und helfen. Und im betroffenen Gebiet jetzt mitbekommen, wie die Welt da draußen über uns hier diskutiert. #Hochwasserkatastrophe

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