Ein Kollege ruft mich mitten in der Nacht an. "Ich habe gerade deinen Patienten unter Reanimation in den Saal genommen".
Plötzlich ist man wach. Der Schlaf ist weggewischt. Um meine Frau nicht zu wecken, stehe ich auf und verlasse das Schlafzimmer, während ich "Was war los?"
flüstere. Während das Gehirn alle möglichen Szenarien durchgeht, die Operation, die am frühen Morgen war, nach möglichen Fehlerquellen durchsucht. Parallel sich das schlimmste ausmalt. "Es war doch alles gut, als ich ging." Der Satz klingt sogar in meinen Ohren verzweifelt. Als
ob ich mich vor mir rechtfertigen würde. Dabei WAR alles gut. Die OP am Vormittag war glatt verlaufen. Ich war am Abend bevor ich ging noch bei ihm. Schwer kranker, junger Mann. Ein Familienangehöriger einer Pflegekraft, die mich gebeten hatte, die OP durchzuführen. Was ist in
den letzten Stunden passiert? Man kann als Chirurg nicht 24h am Patienten bleiben. Man muss die Verantwortung zumindest teilweise abgeben.
"Er hat angefangen zu bluten. Wir waren auf dem Weg zur OP. Wurde plötzlich reanimationspflichtig. Ich habe ihn revidiert. Eine Blungsquelle
gab es nicht. Inzwischen ist er ganz gut stabil. Ich wollte dir nur bescheid sagen."
"Fuck. Danke. Warum hat er angefangen zu bluten? War doch alles gut die ersten 5-6 Stunden?"
"Ich weiß nicht..."
In meinem Kopf ist ein Durcheinander an Vorwürfen an die Intensivstation, den
Kollegen, an mich. Auf wen bin ich eigentlich wütend? Wer ist schuld? Hat der Patient das gut überstanden? Wird er wieder wach?
Ich höre mich selbst noch paar details erfragen. Es ist unerklärlich. Oder besser gesagt: Ich kann es nicht erklären. Der Kollege auch nicht. Ich
bedanke mich und lege mich wieder hin.
Der Schlaf ist erstmal vorbei. Wieder und wieder gehe ich die OP und den postoperativen Verlauf durch. Ich kann keinen Fehler finden. Im Kopf gehe ich die Szenarien für jetzt durch. Mögliche Gespräche mit den Angehörigen, die ich kenne.
Bin ich sauer auf den Kollegen, der mich geweckt hat? Nein. Das ist besser als morgen früh aus allen Wolken zu fallen. Irgendwann holt sich mein Körper seinen Tribut und ich schlafe ein.
Erster Akt nach dem Wecker: Der Anruf auf der Intensivstation. Wie geht's ihm?
Ich bin
so erleichtert, dass der Patient sich nun stabilisiert hat. Er wird sogar langsam wach.
Rasieren, Duschen, Kaffee, Wasser, Zähneputzen. Die ganze Zeit nur eine Frage im Kopf: Was ist da passiert? Die Frage kann mir niemand beantworten. Weder die Laborwerte noch die Kollegin die
in der Nacht Dienst hatte. Ich finde auch keinen Fehler. "Mach dir nichts daraus. Soll ich dir was beruhigendes sagen? Es wird wieder passieren."
Wochen später ist der Patient aus der Reha zurück. Er besucht mich und bedankt sich. Ich bin einfach nur erleichtert...
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Ein Notfall der zu uns verlegt werden soll. Der Notarzt, der den Patienten begleitet, meldet sich. Er weiß nicht ob er ihn noch stabil zu uns bringen kann. Er wird nicht im Schockraum anhalten und wird direkt den OP ansteuern. Kurze Zeit später Nachricht aus der Leitstelle. Sie
kommen unter Reanimation. Unser komplettes Team ist im OP bereit. Drei Pflegekräfte, drei Ärzte, Kardiotechnik. Es ist mitten in der Nacht. Wir kommen gerade von einer Not-OP. Müde Gesichter. Es wird wenig geredet. Jeder versucht sich zu konzentrieren. Wir hören die Aufzugtür.
Die schrillen Alarme erreichen uns noch vor dem Patienten. Sie biegen um die Ecke. Der Notarzt mit auf der Trage. Er reanimiert. Eine Pflegekraft aus dem Schockraum und zwei Sanitäter begleiten. Sie erreichen uns schnell. Als sie näher kommen sehe ich dass der Notarzt
Ich muss mir mal bisschen Frust von der Seele reden: Wir betreiben High-End Medizin. Die Kränksten der Kranken, die komplexesten Patienten. Es gibt sehr wenige wirklich geplante Operationen, dafür viele Notfälle. Manchmal sind es 3-4 Patienten gleichzeitig, die vital gefährdet
sind.
Womit verbringe ich die meiste Zeit meines Tages? Den Mangel zu verwalten. Ein Mangel an Intensivpflege und damit Betten. Ein Mangel an Anästhesie. Ein Mangel an OP Pflege. Ein Mangel an Ausrüstung. Den Mangel an Chirurgen... wie wir den ausgleichen, weiß jeder, der mir
folgt oder meine Tweets gelesen hat.
Wieder kein Intensivbett, keine Anästhesie, OP Saal defekt aber dafür Notfälle. Jede Menge sogar. Der Plan ist schon voll bis heute Nacht.
Gleichzeitig der Druck: Weniger OP Fälle heißt, Stellen werden gestrichen.
Jeder ist gestresst. Jeder
In einer idealen Welt, in der die Krankenkassen tatsächlich den geleisteten Aufwand bezahlen, den wir betreiben müssen um high-end-medizin zu praktizieren, wäre ich für mein Gebiet nicht allein zuständig.
Jeder Patient wünscht sich eine individuell zugeschnittene Top-Medizin auf
dem neuesten Stand der Wissenschaft. Mit rund um die Uhr Versorgung. Mit immer konzentrierem Personal, das empathisch und professionell ist.
Ich verrate hier ein Staatsgeheimnis: das geht nur mit einer gewissen Personaldecke. Personal kostet Geld und muss bezahlt werden.
Die
traurige Wahrheit ist, dass die Kassen streichen, klagen, verhindern. Ich habe z.B. heute erfahren dass die Klinik für mein Gebiet um Prinzip von den Kassen so gut wie kein Geld bekommt. Die Operation kostet mindestens 100.000€ und die Kosten der Nachsorge betragen ca. 35.000€
Meine Frau wird optisch in Deutschland nicht als "fremd" wahrgenommen. Seitdem Sie mit mir zusammen ist und erst recht, seitdem sie meinen Namen trägt erlebt sie am eignen Leib, wie der Rassismus in Deutschland funktioniert. Als sie das erste mal feststellte, dass sie mit ihrem
deutschen Freund, der Medizin studiert hat, nicht in Discos oder Clubs rein kommt, weil er einen türkischstämmigen Vornamen hat, war sie geschockt. Seitdem Sie einen "nicht deutsch klingenden" Nachnamen trägt, erlebt sie Sachen, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Bei der
Schulanmeldung unserer Tochter, führte sie mit der Mitarbeiterin der Schule ein langes Gespräch, in der sie sich nach Schwerpunkten der Schule, Ausrichtung und Organisation erkundigte. Es ging um eine Ummeldung aufgrund eines Umzugs eines Mädchens in der 3. Klasse mit sehr guten
Es wird behauptet die Äußerungen von Palmer seien nicht rassistisch, weil er es nicht so gemeint habe.
Als mir der Patient sagte: Für einen Türken haben Sie es aber echt weit gebracht. Dazu auf Nachfrage noch nach legte: Naja, um Medizin zu studieren, muss man ja Abi gemacht
haben und das als Türke. Als er das sagte, wollte er mich nicht beleidigen. Sondern sogar loben und seine Bewunderung zum Ausdruck bringen, dass ich trotz systematischen Rassismus es so weit gebracht habe.
Ist es dadurch in Ordnung das zu sagen? Oder bringt man da nicht gerade
seinen eigenen tiefen Rassismus zum Ausdruck?
Ganz abgesehen davon, dass ich laut Grundgesetz sogar Deutscher bin - Es suggeriert, dass jemand mit meinem Aussehen und Namen nicht deutsch sein kann.
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Oder: gut gemeinte Scheiße
Nur eine Sache noch: Ich bekomme viel Feedback, dass meine Tweets über unsere Einsätze Ängste auslösen. Es geht mir nicht darum anderen Angst einzujagen. Die Zahlen gehen zurück, die Lage entspannt sich langsam. Wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Ein bisschen wird es
noch dauern, bis die Entspannung auch die Intensivstationen richtig erreicht, aber das wird kommen.
Es geht mir viel mehr um das persönlich erlebte und die Gefühle und Gedanken, die es in mir und unserer Mannschaft auslöst. Wenn man 2 Uhr nachts müde, verschwitzt, mit Anspannung
versucht die letzte Konzentration aus der Mannschaft zu holen, weil man bei einem schwerstkranken Menschen eine ECMO zu legen oder zu wechseln, dann macht man das weil man irgendwo noch hofft, dass dieser Mensch zu seiner Familie und seinen Kindern zurückkehren kann. Weil man