Wir stehen am Morgen auf der Intensivstation. An den langen Gesichtern aller beteiligten ist schon zu sehen, dass es keinen Grund zur Freude gibt. Die Stimmen sind unwillkürlich gedämpft. Die Augen der beteiligten wirken glanzlos.
"...insgeamt hat er sich verschlechtert..."
Kurzes schweigen. "Was wollen wir machen?"
"Therapieeskalation?"
"Was wollen wir erreichen? Er hat ja keine Chance das so zu überstehen, um in ein würdevolles Leben zurückzukehren"
Eigentlich wissen das alle, die da stehen. Die Intensivpflege und Ärzt*innen. Es auszusprechen
schmerzt aber dennoch. Jemand zählt nochmal alle Probleme und Schäden auf, die der Patient schon hat. Schweigen. Ich gehe in mir die Optionen durch. Klar, wir können mehr machen. Klar, können wir erneut an die ECMO. Theoretisch. Überleben wird der Patient das dennoch nicht.
"Er
ist noch sehr jung" sagt jemand. "Das stimmt, deswegen ist er überhaupt so weit gekommen. Aber die Situation ist aussichtslos."
"Sieht noch irgendwer eine Chance? Oder hat noch jemand eine Idee um den Patienten doch noch voranzubringen?" frage ich.
Als erstes schütteln die
Pflegekräfte den Kopf. Andere schauen nur zum Boden. Einige sagen "Nein." Niemand.
"Was sagt die Familie?" fagt der Chefarzt.
"Mit denen sind wir seit Tagen im Gespräch. Ich glaube die wissen wie es um ihn steht."
"Lasst uns nochmal mit der Familie sprechen."
Diese Gespräche mit
den Familien... Bei diesen Gesprächen stand ich schon auf beiden Seiten. Als Angehöriger und als Arzt. Als Angehöriger ist es so als ob der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Auch wenn man es eigentlich weiß. Übelkeit steigt auf. Tränen. Verzweiflung. Suche nach einem
Schuldigen. Obwohl es keinen Schuldigen gibt. Der Tod ist ein Teil des Lebens.
Als Arzt... ich persönlich finde, dass es kaum etwas in unserem Beruf gibt, das so Kraft aus einem selbst zieht wie diese Gespräche. Den Angehörigen empathisch mitzuteilen, dass der Kranke sterben wird
Dabei nicht die eigene Hilflosigkeit durchbrechen lassen. Mitfühlen ohne zu eskalieren. Sachlich bleiben. Aber die Angehörigen mitnehmen. Nicht zu kühl wirken. Es ist uns nicht egal. Dennoch muss es die Familie verstehen. Zuletzt Trost spenden. Was sagt man? Wie geht man mit
Vorwürfen um? Nach dem Gespräch der Gang in das Zimmer des Sterbenden. Dieser Weg ist estrem lang und das unabhängig von der Strecke. Die Familie nach Wünschen fragen und dann raus gehen. Zu merken wieviel Kraft man in den letzten Minuten gelassen hat.
Ich würde mich gerne
ausruhen. Durchatmen. Das geht aber nicht. Das Telefon klinigelt. Der nächste Patient wartet. Oder der OP. Oder, oder, oder...
Erst wenn der Tag vorbei ist und man sich fragt woher diese extreme Erschöpfung kommt, fällt es einem wieder ein...
Danke euch fürs Lesen.
P.S. Die Formulierung "würdevolles Leben" ist missverständlich und unglücklich formuliert. Es ging mir lediglich darum irreversible Schäden zu verdeutlichen. ♥️
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Früher gab es die "Sham-Operation". Eine Plazebo-OP. In der Herzchirurgie z.B. wurde der Brustkorb eröffnet und wieder verschlossen, ohne die strukturelle Herzerkrankung zu begeben.
Hat es den Patienten geholfen?
Wenn man die Patienten befragt hat, sagten 20-30% dass Ihre
Beschwerden wie Luftnot oder das Brennen auf der Brust (Angina Pectoris) deutlich besser oder gar weg wären.
Hat es objektivierbar geholfen? Sprich: Hat es das Überleben der Patienten verbessert? Nein, natürlich nicht!
Das ist das was Heilpraktiker und Homöopathen anbieten. Klar
kann man sich danach besser fühlen. Helfen tut es nicht.
Bevor jemand irgendwas entgegnet: Denkt darüber nach ob ihr eine Sham-Operation haben wollt!
Ein Kollege ruft mich mitten in der Nacht an. "Ich habe gerade deinen Patienten unter Reanimation in den Saal genommen".
Plötzlich ist man wach. Der Schlaf ist weggewischt. Um meine Frau nicht zu wecken, stehe ich auf und verlasse das Schlafzimmer, während ich "Was war los?"
flüstere. Während das Gehirn alle möglichen Szenarien durchgeht, die Operation, die am frühen Morgen war, nach möglichen Fehlerquellen durchsucht. Parallel sich das schlimmste ausmalt. "Es war doch alles gut, als ich ging." Der Satz klingt sogar in meinen Ohren verzweifelt. Als
ob ich mich vor mir rechtfertigen würde. Dabei WAR alles gut. Die OP am Vormittag war glatt verlaufen. Ich war am Abend bevor ich ging noch bei ihm. Schwer kranker, junger Mann. Ein Familienangehöriger einer Pflegekraft, die mich gebeten hatte, die OP durchzuführen. Was ist in
Ein Notfall der zu uns verlegt werden soll. Der Notarzt, der den Patienten begleitet, meldet sich. Er weiß nicht ob er ihn noch stabil zu uns bringen kann. Er wird nicht im Schockraum anhalten und wird direkt den OP ansteuern. Kurze Zeit später Nachricht aus der Leitstelle. Sie
kommen unter Reanimation. Unser komplettes Team ist im OP bereit. Drei Pflegekräfte, drei Ärzte, Kardiotechnik. Es ist mitten in der Nacht. Wir kommen gerade von einer Not-OP. Müde Gesichter. Es wird wenig geredet. Jeder versucht sich zu konzentrieren. Wir hören die Aufzugtür.
Die schrillen Alarme erreichen uns noch vor dem Patienten. Sie biegen um die Ecke. Der Notarzt mit auf der Trage. Er reanimiert. Eine Pflegekraft aus dem Schockraum und zwei Sanitäter begleiten. Sie erreichen uns schnell. Als sie näher kommen sehe ich dass der Notarzt
Ich muss mir mal bisschen Frust von der Seele reden: Wir betreiben High-End Medizin. Die Kränksten der Kranken, die komplexesten Patienten. Es gibt sehr wenige wirklich geplante Operationen, dafür viele Notfälle. Manchmal sind es 3-4 Patienten gleichzeitig, die vital gefährdet
sind.
Womit verbringe ich die meiste Zeit meines Tages? Den Mangel zu verwalten. Ein Mangel an Intensivpflege und damit Betten. Ein Mangel an Anästhesie. Ein Mangel an OP Pflege. Ein Mangel an Ausrüstung. Den Mangel an Chirurgen... wie wir den ausgleichen, weiß jeder, der mir
folgt oder meine Tweets gelesen hat.
Wieder kein Intensivbett, keine Anästhesie, OP Saal defekt aber dafür Notfälle. Jede Menge sogar. Der Plan ist schon voll bis heute Nacht.
Gleichzeitig der Druck: Weniger OP Fälle heißt, Stellen werden gestrichen.
Jeder ist gestresst. Jeder
In einer idealen Welt, in der die Krankenkassen tatsächlich den geleisteten Aufwand bezahlen, den wir betreiben müssen um high-end-medizin zu praktizieren, wäre ich für mein Gebiet nicht allein zuständig.
Jeder Patient wünscht sich eine individuell zugeschnittene Top-Medizin auf
dem neuesten Stand der Wissenschaft. Mit rund um die Uhr Versorgung. Mit immer konzentrierem Personal, das empathisch und professionell ist.
Ich verrate hier ein Staatsgeheimnis: das geht nur mit einer gewissen Personaldecke. Personal kostet Geld und muss bezahlt werden.
Die
traurige Wahrheit ist, dass die Kassen streichen, klagen, verhindern. Ich habe z.B. heute erfahren dass die Klinik für mein Gebiet um Prinzip von den Kassen so gut wie kein Geld bekommt. Die Operation kostet mindestens 100.000€ und die Kosten der Nachsorge betragen ca. 35.000€
Meine Frau wird optisch in Deutschland nicht als "fremd" wahrgenommen. Seitdem Sie mit mir zusammen ist und erst recht, seitdem sie meinen Namen trägt erlebt sie am eignen Leib, wie der Rassismus in Deutschland funktioniert. Als sie das erste mal feststellte, dass sie mit ihrem
deutschen Freund, der Medizin studiert hat, nicht in Discos oder Clubs rein kommt, weil er einen türkischstämmigen Vornamen hat, war sie geschockt. Seitdem Sie einen "nicht deutsch klingenden" Nachnamen trägt, erlebt sie Sachen, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Bei der
Schulanmeldung unserer Tochter, führte sie mit der Mitarbeiterin der Schule ein langes Gespräch, in der sie sich nach Schwerpunkten der Schule, Ausrichtung und Organisation erkundigte. Es ging um eine Ummeldung aufgrund eines Umzugs eines Mädchens in der 3. Klasse mit sehr guten