Weil ich gerade in Schreiblaune bin, mal etwas zu dem Narrativ "Also bei der Digitalkompetenz in Gesundheitsämtern und Behörden sind die ja selbst schuld mit #LucaApp, die hätten ja selbst was machen können, wenn das jetzt nicht passt"
Ich versuch mal die Innensicht darzulegen…
… vorweg: Gesundheitsämter sind waren vor dieser Pandemie nicht unbedingt digitale Kompetenzcenter.
Liegt an Budgets, liegt an anderen Schwerpunkten (eher medizinisch, weniger digital) und liegt daran, dass Gesundheitsämter auch bisher keine digitale Pandemie-Situation hatten.
Die Corona-Pandemie ist in dem Ausmaß tatsächlich die erste globale Pandemie im digitalen, vernetzten Zeitalter.
Vorher gabs vielleicht mal einen Masernausbruch zum Nachverfolgen ein paar Mal im Jahr, mehr aber auch nicht.
Masern sind zwar hochansteckend, enden aber meistens allein aufgrund der Tatsache, dass Impfungen dagegen hocheffektiv sind und das mit der Herdenimmunität da gut funktioniert.
Das liegt auch an inzwischen vorhandenen gesetzlichen Vorgaben (Masernschutzgesetz).
Nun ist das bei Corona anders. Da waren wir alle nicht gegen immun. Und dooferweise mutiert das Corona-Virus auch noch munter weiter, was die Gefahr von Reinfektionen steigert und damit zu einer konstanten Arbeitslast führt.
Das heißt in der Begleitung einer Pandemie, dass ein Gesundheitsamt eine konstante Grundarbeitslast hat, die in vielen Ämtern quasi alle Ressourcen bindet.
Ich kenne Ämter in Großstädten, die haben eigene Standorte nur für die Kontaktnachverfolgung aufgebaut.
Und jetzt biste als Amt in der Situation, dass du a) ne Arbeitslast hast, die kontinuierlich steigt und du b) gucken musst, welche Tools du gerade JETZT zur Verfügung hast.
Bei der eigentlichen Meldung von Krankheitsfällen selbst sieht das noch besser aus…
Für die Übermittlung von Fallinformationen gabs da schon immerhin SurvNet, was ja immer noch Bestandteil der Meldekette ist.
Sagen wir mal mit gutem Willen, dass du dann als Amt immerhin Fälle erfassen und ans RKI melden konntest.
Nur geht so einem Fall in der Bearbeitung ja immer erst mal ein Test voran. Und haben wir den ersten Punkt, an dem es hapert: Wie kommen die Testergebnisse ins Gesundheitsamt? Nun ja, in kurzer Zeit brauchte es sehr viel Laborkapazität und die mussten dann auch improvisieren.
Wie schickst du jetzt Daten möglichst schnell digital an ein Gesundheitsamt, wenn
- es über Survnet nicht geht (keine Anbindung oder weil die Meldung nur anonym möglich ist)
- E-Mail auch schwierig ist (S-MIME, was ist das?)
- Telefon zu langsam ist?
Es kommt zum Fax.
Man sollte dann dazu sagen, dass es jetzt inzwischen über DEMIS geht und mehr als 90% endlich digital gehen, aber DEMIS war zu Beginn dieser Pandemie noch nicht so weit ausgerollt, dass da alle damit arbeiten konnten (Software, Zertifikate, Schulungen, Anbindung Labore).
Das heißt, dass du in einer Pandemie schon gut genug damit beschäftigt bist, die Meldewege für Fälle mal so nebenher in einer Pandemie umzubauen.
Und dann biste noch nicht mal bei der eigentlichen Kontakterfassung.
Bei Kontakterfassung schreien jetzt vielleicht alle gleich SORMAS – Anfang 2020 und der Folge war SORMAS noch lange nicht komplett genug, um sinnvoll mit allen notwendigen Daten arbeiten zu können.
SurvNet? No. DEMIS? No.
vgl. bkastl.de/notes/die-coro…
Also mussten Ämter – neben der konstant schwankenden hohen Arbeitslast – vielleicht noch Kontaktnachverfolgungssoftware einführen oder halt mit dem arbeiten, was es gab (SurvNet, ISGA, Octoware, …).
Alle diese Tools waren aber auch nicht wirklich für diese Art Pandemie gemacht.
Zum Realitätsabgleich: SORMAS hatte auch im März 2021 immer noch nicht flächendeckend alle notwendigen Schnittstellen verfügbar.
Währenddessen mussten Ämter aber weiter – Arbeitslast, konstante – ja mit irgendwas sinnvollem weiterarbeiten.
Aber März 2021 ist eigentlich ein ganz guter Zeitpunkt, um mal in das Thema #lucaApp und Beschaffungskompetenz einzusteigen.
Im März kam also Luca ums Eck und Gaststätten, Tourismusverbände, etc. wollten es - und rannten damit freudig zu Gesundheitsämtern.
Die hatten nach wie vor viel zu tun mit:
- konstanter Arbeitslast (Pandemie, 3.Welle)
- Umstellung der Kontaktnacherfolgungssoftware Richtung SORMAS (oder auch nicht)
- Änderungen im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen der Pandemie
Tja, und in dem Moment kommt ein Startup um die Ecke und meint, alle deine Probleme lösen zu können mit einer magischen App.
Ein paar wenige Gesundheitsämter schneiden sich vielleicht die knappe Zeit aus den Rippen, das Tool sinnvoll zu prüfen.
Unser Verdikt damals war:
Luca bringt uns wenig, und hier ist eine umfangreiche Liste mit Änderungen, damit wir mit dem Teil überhaupt sinnig arbeiten können.
Das war im März 2021, Luca wurde trotzdem gekauft.
Es gab fachliche Rückmeldung aus Ämtern. Aber der öffentliche Druck, eine App zu haben "mit der gemeinsam das Leben genießen" werden konnte, war irgendwie größer.
Selbst wenn du als Amt damals dir ernsthaft die Mühe gemacht hast, sinnvolles Feedback zu dem Teil unentgeltlich zu geben, war das Ding schon gesetzt und du solltest jetzt damit glücklich werden, weil $irgendwasDigitalesHilftJaImmer.
August 2021 kommt also wieder ab und zu das Narrativ auf "liegt an den Gesundheitsämtern, den Digital-Verweigerern".
Nein. Bestimmt nicht. Ich kenne echt viele Gesundheitsämter, die während einer Pandemie Jahre an Digitalisierung eigenständig nachgeholt haben.
Aber das ist vielleicht etwas mehr als BippBipp, mehr als ein lockerer Spruch bei AnneWill, was da dahinter steckt.
Fin.
(Disclaimer: ich mach den Kram seit einem Jahr, habe Kontaktnachverfolgungssoftware von null an betreut, aber erzählt mir gerne, dass das von außen alles so einfach ist, einem fahrenden Zug den Unterbau auszutauschen)
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Der Herbst kommt. Delta ist schon da. Kontaktverfolgung müssen wir zusammen machen, damit der Weg in die Normalität möglich bleibt. @coronawarnapp 🤝
Es ist einfach, einer solchen Aussage die richtige Richtung zu geben, wenn du nicht "dein" Produkt durchdrücken musst, sondern einfach mit den sinnvollsten Tools zusammenarbeiten kannst.
In diesem Herbst kommt es vor allem darauf an, Menschen immer noch zu einer guten Mitarbeit an der Kontaktnachverfolgung und Risikoerkennung zu bewegen. Die Corona-Warn-App ist da ein guter Begleiter, weil sie schneller ist, weil sie weniger Aufwand für Ämter und Menschen ist.
Die #CoronaWarnApp Version 2.9 wird ein Feature bringen, dass schon länger gefordert wurde (erste Diskussionen dazu kenne ich seit Mai): in Vertretung warnen
Wie funktioniert das?
Eine andere Person kann für entsprechende checkins die Warnung für diese Location und einen gewissen Zeitraum auslösen.
Nun könnten da ja $evilHacker auf die Idee kommen, das System mit Warnungen zu fluten. Damit das nicht passiert, ist die Warnung mit einer TAN gesichert.
Es folgt: Die Wahrnehmung meines digitalpolitischen Bildungsauftrags zur #btw21
Also sehen wir uns mal an, was Parteien eigentlich in ihren Parteien dazu stehen haben.
Dreiteilig: erstmal Wahlprogramm finden, lesen und dann noch auf meine Wahlkreiskandidatinnen eingehen.
Das ist eine mehrteilige Serie, ich mach das mal so Partei nach Partei.
Ich krittel da noch etwas vorab an den Webseiten rum.
Beginnen wir mit der Union:
Vielleicht bin ich gerade auf der Webseite der Cookie Drücker Union angelangt.
Cookie-Warnungen brauchen Webseiten von Parteien eigentlich technisch nicht imho, außer es braucht unbedingt Analytics und externe Inhalte, die sich vielleicht auch selbst hosten lassen würden.
Bemerkenswert: 404 zum Livestream auf der Startseite
Unglücklicherweise bin gerade aus beruflichen Gründen mehrdimensional von diversen Bundesländern sagen wir mal… erstaunt bis irritiert ob mancher Entscheidungen, wie in gewissen Bereichen mit der Pandemie fortgefahren werden soll.
Vielleicht telefonier ich morgen aus lauter Verwunderung mit $Kollegin in $amt in $anderemBundesland für die das Szenario "wie bekomme ich falsch-positive Schnelltests" wieder möglichst schnell aus $System, weil ich hab die jetzt mal alle vorsorglich abgesondert…
… ich hab aber von den Kolleg*innen da nie Klagen darüber gehört, dass das irgendwie sinnfrei sei. War zwar mit Schnelltests oft daneben, aber Prävention ist halt so.
Die Gründe das jetzt zu ändern scheinen nicht konsequent, ganz ehrlich.
… da hätten wir zum einen die Tatsache, dass das Produkt unfreiwillig mit Gesundheitsämtern zu einer einigermaßen sinnigen Anwendung entwickelt werden muss.
Als wir im Gesundheitsamt Luca im März vor uns hatten, war das Produkt fast schon verkauft, aber funktional unfertig.
Was erzeugt das für Kosten: Gesundheitsamt muss sich in einer Pandemie am Wochenende als Team hinsetzen und $produkt prüfen