Zum Thema "False Balance", #Böhmermann und @derspiegel
(1) Man kann natürlich sagen, man möchte nur auf echte Virologen hören. Das ist insofern sehr kurz gedacht, weil politische Antworten mehr sind, als Virologen empfehlen könnnen. Jede Intervention hat auch neg Auswirkungen
1
An einem einfachen Beispiel: Wenn zB Restaurants schließen, dann werden diese als Orte der Infektion ausgeschlossen. Frage A: Wie viele Leute treffen sich dann eben zu hause? Frage B: Wie viele Restaurantbesitzer werden ihr Geschäft für immer schließen müssen und
2/
Was bedeutet das für ihre Gesundheit? Nach Abwägung kann man zu dem Schluß kommen, dass die Restaurantschließungen trotzdem gerade richtig sind. Fair. Aber die Fragen A und B müssen bedacht werden. Das sind aber keine virologischen Fragen.
3/
[Ich hab extra Restaurants gewählt, weil das Thema weniger emotional ist für die meisten als zB Schule].

Was diejenigen, die als "false Balance"-Vertreter hier von Spiegel und Böhmermann gelabelt werden, ja eigentlich gesagt haben ist, dass die Fragen A und B nicht
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vergessen werden dürfen. Das ist keine "false balance", sondern eine Frage der umfassenden Betrachtung. Das hat auch nichtsmit Verharmlosung zu tun, sondern mit der Vollumfänglichen Suche nach guten Antworten. Daraus zu ziehen, dass es inhuman ist, ist absolut schräg.
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Machen wir es am Beispiel der Ausgangsperren mal deutlich: Die erste Idee ist, dass Leute, die sich abends nicht mehr treffen einander nicht infizieren können. Klingt plausibel. Im Nachhinein zeigt sich, dass Ausgangssperren 0 Effekt hatten und sogar kontraproduktiv waren
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Warum? Frage A: Es gibt vielleicht eine gesellschaftliche Ausweichbewegung, wenn die Leute nachts nicht nach hause fahren, übernachten sie vielleicht einfach beieinander. Frage B unklar, Nebeneffekt könnte Einsamkeit sein.
Paper dazu: nber.org/papers/w28930
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Als Intelektuelle zu behaupten, jemand der die Fragen A und B NICHT stellt, sei human und jemand, der die Fragen stellt, wäre eine Gefahr für die Öffentlichkeit, ist - mir fällt kein anderes Wort ein - dumm.
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In dem #Böhmermann Interview gehen dann ja noch einige Dinge durcheinander, er meint ja, die Impfzurückhaltung der Deutschen sei Ergebnis der "False Balance" und wünscht sich eine starke Führungsfigur (Drosten?), die den Menschen den Weg weisen.
9/
Nun, das ist #PLURV aller erster Güte. Wissenschaftlich wissen wir, dass Impfbereitschaft eine Frage von Vertrauen in die Institutionen ist. (jamanetwork.com/journals/jama/… ; sciencedirect.com/science/articl…)
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Seine Hypothese müsste also lauten, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit leidet, wenn Fragen nach Interventionen inkl. der möglichen Nebenwirkungen und kontraproduktiven Effekte umfassend diskutiert werden.
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Mit Verlaub: Aber Vertrauen der Öffentlichkeit stellt man ganz sicher nicht durch Canceln her. Imho ist dass das kontraproduktivste, was man tun kann. Ich kann irgendwie verstehen, dass manche Menschen in für sie beängstigenden Zeiten eine Leitfigur haben möchten,
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aber von sich auf alle zu schließen ist völlig verrückt. Schön aber, dass er Dänemark erwähnt. Wenn wir am Beispiel von Dänemark etwas lernen können, dann, wie man eine Bevölkerung gut durch eine Pandemie bringt. Dort wurden die Fragen A und B auch immer exzessiv betrachtet.
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Mir macht eine Welt Sorge, in der Meinungsmacher glauben zu wissen, was gute und richtige Meinungen sind. Insbesondere dann, wenn sie so offensichtlich weder Ahnung vom Thema (Public Health!) und Wissenschaft haben.

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7 Sep
Neue Studie zum Thema: Lockdowns wirken! Wieder einmal lautet die Antwort nein und sie lautet nicht nur "sie wirken nicht", sondern sie sind sogar kontraproduktiv und führen zu mehr Hospitalisierungen.
1/
medrxiv.org/content/10.110…
Was wurde gemacht? Die Daten stammen aus New Yor vor und nach dem Lockdown (hier "Schulschließungen").
Die Anzahl der hospitalisierten älteren Menschen steigt und zwar noch wochenlang.
2/
In den Quartilen sieht man den Anteil der Mehrgenerationenhaushalte in einem Bezirk: Je mehr Mehrgenerationenhaushalte in einem Bezirk, umso mehr Hospitalisierungen der Gruppe ü55.
3/
Read 7 tweets
6 Sep
Ich höre immer mal wieder Psychologen, die sagen, dass man die psychischen Probleme der KuJ durch die Pandemie nicht verkürzen kann auf Schulschließungen. Manche hätten auch Angst, ihre Familie zu infizieren. Nun. Hier mal eine Studie dazu:
1/
jamanetwork.com/journals/jaman…
Vorab: Ja, das sind Befragungsdaten aus den USA. Es wurde aber jede Menge unternommen, ein gutes Sample zu bekommen (zweisprachig usw). Ältere Kinder und Kinder aus einem schwacheren sozioökonomischen Elternhaus haben mehr von psychischen Problemen berichtet als andere.
Jüngere Kinder haben weniger Auffälligkeiten:
Read 7 tweets
5 Sep
Sie sehnen sich nach den Verhältnissen in Dänemark, die wohl nach allen Maßstäben am Besten von allen durch die Pandemie gekommen sind?
Dann fragen Sie ich mal, warum das Netzwerk Public Health in D keine Rolle gespielt hat, obwohl es da war. Mit denen hätten wir mehr Dänemark.
Hier der aktuelle Beitrag zu älteren Menschen:
public-health-covid19.de/images/2021/Er… Image
Wir machen das Gegenteil:
- Impfbusse in Schulen aufsuchendes Impfen für Alte. - Drosten & Co warnen vor Maßnahmen, weil die Impfquote zu gering ist (=> Stugmatisierung Alter, weil die ja auf der ICU landen werden)
Read 7 tweets
18 Aug
Aus der Reihe "Studien, die es niemals in die Medien schaffen werden" medrxiv.org/content/10.110…

In der Studie werden 328 (Familien-)Haushalte in Deutschland untersucht, die mindestens einen positiven Fall haben. Das Design:
1/
33.76% der Kinder & Jugendlichen, aber 57.88% der Erwachsenen in Haushalten haben sich bei dem positiven Indexfall infiziert. Rund 45% der infizierten Kinder waren asymptomatisch, bei den Erwachsenen waren es rd 10%.
2/
Unabhängig davon war das Antikörperniveau der Kinder höher als bei Erwachsenen und hielt länger an, nach 11-12 Monaten bei u18: 96.22% und bei ü18: 82.89%.

3/
Read 5 tweets
16 Aug
Die Pandemie in einem zweiten Bild. Die NRW_Regelung basiert auf der Einschätzung des RKI. Macht ja aber nix, es können natürlich gerne TV-Moderatoren abweichende wissenschaftliche Einschätzungen absondern - gerne ohne irgendeine fundierte Begründung.
rki.de/DE/Content/Inf…
Aus dem Dokument: "Liegen überwiegend Faktoren vor, die mit einem höheren oder hohen Infektionsrisiko
einhergehen, so reicht die Quarantäne der umgebenden Sitznachbar*innen nicht aus"
Image
Read 5 tweets
15 Aug
Das RKI hat eine neue Statistik, nämlich die Anzahl der Hospitalisierungen pro 100.000 Einwohner (ein Balken pro Meldewoche). Image
Irgendwo im RKI arbeiten subversive Kräfte, zeigt die Statistik doch deutlich wie nie, dass nicht 12-18 jährige (geimpft oder ungeimpft) ein Problem sind für das Gesundheitssystem, sondern Alte. Schade, dass 15-34 in einem Balken zusammengefasst werden.
Read 8 tweets

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