Der Inzidenz-Verlauf im Juli und August waren aus Modellierer-Sicht “einfach”. Jeweils am Monatsanfang konnte man die Inzidenz für das Monatsende mit sehr guter Genauigkeit vorhersagen, hier z.B. das Ergebnis des Vorhersagewettbewerbs für August:
Jetzt im September staunen wir alle darüber, dass das Inzidenzwachstum eine Pause macht. Im September-Vorhersage-Wettbewerb liegen die meisten Teilnehmer mit ihren Vorhersagen zwischen 200 und 350, und damit dürften wir alle deutlich zu hoch liegen
In dieser Grafik sieht man alle meine Modellrechnungen seit Anfang Juli, jeweils für 5 Wochen in die Zukunft dargestellt und den tatsächlichen Verlauf. Mein “Szenario 4” (rosa-gestrichelt, “Harte Eingriffe sofort”) trifft den aktuellen Verlauf am besten. 4/x
Da hatte ich also mein Szenario so parametrisiert, dass der Verlauf der folgenden 4 Wochen gut getroffen wird. Bis dahin waren alle meine Modellrechnungen übrigens zu optimistisch. die schwarze Linie lag oberhalb der Modell-Linien. Jetzt ist das Modell also zu pessimistisch.
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Sehr erfreuliche Entwicklung – Aber was ist da los?
Ich habe bisher noch keine gute einzelne Erklärung für das aktuelle Stoppen des Wachstums gelesen, da wirken wohl viele Effekte zusammen. 6/x
Zu den Verdächtigen gehören Ferieneffekte, Verhaltensänderungen der Menschen, zunehmende Einführung von 2G und 3G Regeln, besser-als-erwartet Wirkung der Impfungen, usw.
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Der letzte Punkt ist einer der Gründe, warum mein Modell zu pessimistisch für den September: Die Impfrate hat sich erfreulicherweise doch noch etwas besser entwickelt, als ich seit März modelliert hatte. 8/x
Nur ein paar Prozentunkte mehr Impfrate haben einen höheren Einfluss auf Inzidenzverlauf, als man glauben könnte (mehr dazu im nächsten Blog). Die Impfrate bleibt aber weiterhin enttäuschend schlecht. Sie ist gleichzeitig unser größtes Einzelproblem und unsere größte Chance.
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Immerhin haben wir über-alles-gesehen aufgehört noch weitere Lockerungen durchzusetzen, wie man am Government Stringency Index für Deutschland sehen kann – das hat uns sicher auch geholfen. 10/x
Wie ich hier mehrfach geschrieben habe: Die Lage ist weiterhin extrem empfindlich auf Änderungen. Wie man jetzt auch wieder sieht: Gefühlt haben wir gar nicht so viel anders gemacht, und schaffen es doch damit den R-Wert auf knapp 1 zu bringen, vielleicht sogar darunter.
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IST DAS UNSERE CHANCE?
Wir scheinen ganz nah dran zu sein. Jetzt noch 1-2 Schippen drauflegen, ein paar Verbesserungen bei Vermeidung der Ausbreitung des Virus, ein paar mehr Schutzmaßnahmen und wir könnten evtl. relativ einfach den R-Wert unter 1 senken!
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Aber: Das wird mit jedem Tag, den wir damit weiter in den Herbst kommen, immer schwerer, weil drei Probleme dagegen arbeiten: 13/x
Dass jede hohe Inzidenz nicht gut ist, erwähne ich nur der Vollständigkeit nochmal: ~70.000 Menschen erkranken aktuell jede Woche, einige sind schwer krank, manche müssen auf Intensiv. Und ein nennenswerter Teil wird sich danach mit Longcovid auseinandersetzen müssen.
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Blöd wäre, wenn wir wieder ohne große Not so eine Seitwärts-Phase wie im November 2020 erzeugen: Da hatten wir fast 4 Wochen traumwandlerisch einen R-Wert um eins, die Pandemie ist einfach ohne Wachstum weitergelaufen und wir hatten dabei die Chance verpasst...
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... mit nur ein bisschen mehr Maßnahmen den Trend nach unten zu drehen. Und danach rauschten wir im Dezember in den Peak der 2. Welle hinein. Das sollten wir diesmal versuchen zu verhindern.
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Aktuelle Lage ist sehr undurchsichtig. Erst wenn wir in 1-2 Wochen sehen, ob sich Seitwärts-Trend oder gar ein Abwärtstrend bestätigt oder ob Ferienende, Saisonalität usw. uns doch wieder ins Wachstum schieben, können wir belastbare Vorhersagen für den Herbst machen.
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Der gute Verlauf würde bedeuten: Inzidenz-Wert von um-die-100 am Ende des Monats ohne starkes Wachstum. Wenn wir aber in 2 Wochen zum Ende September mit der Inzidenz über ca. 130-150 liegen, dann dürfte Herbst schwierig werden.
Es gibt tatsächlich keine Entkopplung der Belastung der Krankenhäuser von der Inzidenz. Die Quoten für Hospitalisierungen, ITS-Patienten und Sterbefälle sind zwar durch die Impfungen verändert im Vergleich zur 2/3. Welle, aber nur um den Faktor ca. 2-5.
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Wenn man nur genügend Neuinfektionen zulässt (und das geht im exponentiellen Wachstum sehr schnell), erreicht man auch wieder jede beliebige Kliniküberlastung.
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Im Herbst haben wir eine Serie von ungünstigen Entwicklungen, die in ihrer Kombination eine starke Ausbreitung von Delta und damit ein schnelles Anwachsen der Fallzahlen produzieren werden.
Eine Aufzählung der pessimistischen Perspektiven, auf die wir achten müssen!
Thread
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Treiber #1: fast 40% der Deutschen sind nicht geimpft. Selbst wenn sich jemand gleich heute noch impfen lässt, wird seine Impfung nicht mehr gegen den Anstieg der 4. Welle helfen, weil die Wirkung erst in 6-8 Wochen einsetzt. Das haben wir vergeigt.
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Treiber #2: Die handlungsunfähige/unwillige Politik scheint noch 2 Monate den Inzidenzen beim Wachsen zuschauen zu wollen. Wir wissen, dass es dann mindestens so lange dauert die Inzidenz wieder abzusenken und dass dies härtere Maßnahmen erfordert als das Bremsen. Unklug!
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Für nächste 6-8 Wochen ist das gar nicht mal so schwer, denn es geht wohl einfach weiter wie in den letzten 6 Wochen. Fast alle anderen Schlüsselzahlen (Hospitalisierungen, ITS-Betten, Sterbefälle, LongCovid-Fälle) hängen – durch mathematische Regeln bzw. Quoten festgelegt...
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... – in Abhängigkeit von der Impfquote mehr oder weniger fix an diesen beiden Werten. Da gibt es zwar hier und da Unsicherheiten um den Faktor 2, aber bei einer Verdopplung alle 2-3 Wochen bedeutet das nur eine Verschiebung vom 2-3 Wochen hin oder her.
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Wenn man von vielen Impfdurchbrüchen liest könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Impfungen doch gar nix bringen. Aber da täuscht man sich gewaltig, wie die folgenden Grafiken aus meinem Modell zeigen.
Thread/Blog
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Anmerkung: Das ist noch ein experimentelles neues Feature des Modells zu dem mir noch externe Daten zur Verifizierung der Zahlen fehlen – in 4 Wochen haben wir diese Daten aber.
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Um zu berechnen, welche Inzidenz wir uns "leisten" könnten, braucht man Hospitalisierungsrate und CFR, die auf Fallzahlen basiert. Diese Daten sind seit 6 Wochen sehr seltsam. Beim Vergleich verschiedener Quellen liegen die Quoten um Faktor 2 und 4 auseinander (!).
THREAD 1/x
Zur Hospitalisierungsrate und zur Case-Fatality-Rate (CFR) habe ich Daten aus 2 Quellen zusammengestellt, einmal die Standard-Zahlen vom RKI und dazu die wöchentlichen Sterbefälle von @risklayer und die wöchentlichen Hospitalisierungen der @DieDgina Notaufnahme Ampel.
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Neu seit 19.7. gibt es die Hospitalisierungen aus dem RKI Tagesbericht. Hinzu kommen dann noch die Quoten aus meinem Prognose-Modell, das so getrimmt ist, dass es die offiziellen und bisher verfügbaren Zahlen möglichst gut "nachfährt".
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Auch neue Daten aus dieser Woche machen nur noch deutlicher, dass um grau markierten Bereich die Zahlen "stinken". Entweder unsere Fallzahlen in Deutschland sind um ca. 50% zu niedrig, oder die Delta-Variante macht 100% kränker.
Einige Beobachtungen: Thread 1/x
Seit Montag meldet das RKI im Tagesbericht die Hospitalisierungen, wenn ich die Summe der vergangenen 5 Tage auf 7 Tage hochrechne (x/5*7, oranger Knubbel im Graph), liegt dieser Wert genau auf meiner Modell-Hospitalisierungsrate für die aktuelle Kalenderwoche.
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Ich habe in Grafik zusätzlich als neue Datenquelle "Anzahl der Hospitalisierungen" der @DieDgina Notaufnahme Ampel mit reingenommen (rote Linie), eine Metrik die tägliche tagesaktuell von den teilnehmenden Kliniken abgefragt wird (hochgerechnet auf ganz D).
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