🧵 So, ich muss noch was, was Letztes, zu der Kausa "Autoren lassen sich für Verlagsinteressen benutzten" loswerden, bevor ich endlich die Geräte ausmache. Ich bin ziemlich müde, also seht mir nach, wenn das nicht mehr so präzise ist, wie ich es gerne hätte.
Und zwar die unfuckinfassbar ignorante, gewissenlose und gefährliche Rhetorik.

Mir ist schon nicht ganz klar, wie man da nichts merken kann. Bei einigen Unterzeichnern hätte ich eigentlich erwartet, dass sie was hätten merken müssen.
Aber wenn man es sich nicht mit dem Verlag verderben will und der doch so nett fragt. Oder so. 🙄

Wie immer fallen sehr ähnliche Formulierungen jener auf, die in das Narrativ eingekauft haben.
Für mich immer ein Zeichen, dass das Thema nicht wirklich durchdrungen wurde.
Heißt: Da wurden keine eigenen Gedanken zum Thema gemacht, sondern vorgefertigte Phrasen und Argumentations-Bits übernommen.

Wiederholt wird behauptet, bei Bibliotheken gäbe es was "für lau". Und die Bibliotheken würden sich Dinge "anmaßen".
Weil man den Debunk vor die Falschbehauptung - in diesem Fall vor schamlose Propaganda - stellt: Was sind Bibliotheken?

Bibliotheken sind Orte des Lernens und der kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe. Sie ermöglichen den Zugang zu Kulturgut und Information.
Und das unabhängig von den eigenen finanziellen Möglichkeiten, dem sozialen Stand, der Ausbildung oder dem Einkommen der Eltern oder anderen Faktoren.
Sie ermöglichen die Selbstermächtigung von Menschen, durch das Vermitteln von Informationskompetenzen und durch Zugang zu Information, Kunst, Kultur, Bildung und Unterhaltung. Sie erfüllen ein menschliches Grundbedürfnis nach Kommunikation und Kunst, wie das nach Wasser & Luft.
Wir haben _als Gesellschaft_ ein Interesse daran, Bibliotheken zu haben und zwar ein Starkes: Weil eine besser gebildete Gesellschaft, eine gesündere, friedlichere und sicherere Gesellschaft ist.
Wir haben auch ein Interesse daran, weil wir auf diese Weise den gleichen Bildungs- und kulturellen Kanon teilen. Weil Bibliotheken zum Kitt unserer Gesellschaft beitragen.
1. "für lau"

Hier wird das Narrativ aufgebaut, dass Bibliotheken zu so etwas wie Napster macht. Man klickt rein und holt sich alle Bücher "für lau".
Nicht nur wird hier die Komplexität der Onleihe komplett ausgeblendet, - >
bzw. das die Bibliotheken eben nicht ein Buch billig kaufen und dann "für lau" an hunderte oder tausende Leser weitergeben - es wird auch ignoriert, dass so gut wie keine Bibliothek heute "für lau" ist.
Ich habe kürzlich meinen Benutzerausweis für die @BLB_Karlsruhe verlängert und für das kommende Jahr 30 Euro gezahlt. Warum? Früher waren Bibliotheken ja mal "für lau".

Die Bibliotheken decken die Urheberrechtsabgaben (zum Teil) über die Monats-, Quartals- oder Jahresgebühren.
Die sie seit einigen Jahren erheben müssen, was bereits den Ansprüchen der Verlage und der VG-Wort geschuldet war. Bzw. der Unwilligkeit des Staates, diese Kosten zu übernehmen um weiterhin einen barrierelosen Zugang zu Kultur und Information zu ermöglichen.
Ausgenommen sind meist: Kinder, Schüler, Studenten und gering verdienende, mittellose oder sonstwie bedürftige Menschen
Bibliotheken sind nicht Napster. Man zieht sich dort nicht tausende Musiktitel oder Bücher, für den Preis von 30 Euro im Jahr, und behält die für ewig. Man hat Zugriff auf Bücher, Datenbanken, Zeitungen etc. für einen definierten Leihzeitraum.
Man hat Zugriff auf so viele Exemplare, wie die Bibliothek entweder physisch besitzt oder lizensiert hat.

Zahlende Nutzer nutzen die Inhalte nicht "für lau" sondern in einem Abomodell, das mit Netflix, Amazon Unlimited etc vergleichbar wäre. Vage, aber so in diese Richtung.
Nicht zahlende Nutzer sind gering-verdienend, mittellos, jung oder lernend.
Wer argumentieren will, dass diese nicht unbedingt an aktueller Information oder Kultur teilhaben müssen, weil sie nicht in der Lage sind, diese direkt zu erwerben, möchte de facto eine ganze Schicht ausschließen.
Aus den aktuellen Diskussionen ebenso, wie aus der gesellschaftlich geteilten Kultur.

Wer so argumentiert, macht Teilhabe zum Privileg. Zur Frage der Kreditkarte.
Zum Narrativ Nr. 2.

Das sei okay, wurde heute in der Diskussion erwähnt. Man könne ja auch nicht in jeden Film gehen oder jedes Auto gleich fahren.
Natürlich kann man Kunst und Kultur als reine Ware sehen. Aber dann sollte man auch so konsequent sein, und die Buchpreisbindung abschaffen, die auf Basis "Kulturgut" verargumentiert wird .
Dann sollten wir als Gesellschaft auch so konsequent sein und jegliche Kulturförderung abschaffen.

Wenn wir Kunst und Kultur schon in erster Linie als Ware sehen sollen, deren Zugang Künstler, in diesem Fall Autoren, kontrollieren, dann bitte richtig.
Dann zu den gleichen Bedingungen wie eine Coke im Supermarkt. Dann gibt es eben nur noch, was sich auch verkauft.
Erneut: Wer Bibliotheken mit Napster verwechselt und Kultur - insbesondere Schriftkultur - für auch nur einen Luxus, den man sich leisten kann oder eben nicht, hat ein paar ganz grundlegende Dinge nicht verstanden.
Sowohl über Bibliotheken, als auch über Kulturgut, als auch über Schrift.

Schrift ist grundlegend. Wir brauchen sie, um Ideen, Gedanken zu formulieren und auszutauschen. Um andere zu verstehen und verstehen zu lernen.
Schrift und Schriftsprache sind der Kitt als auch die Verbindungen - zwischen Menschen, zwischen Individuen und Institutionen, zwischen Köpfen, zwischen Herzen.

Um sie zu meistern muss man lesen.

Diese Grundbedingung zum gegenseitigen Verstehen schaffen Bibliotheken.
Wer Bibliotheken nur als Napster sieht, wer seine eigenen Werke nur als Ware sieht, dessen Werke werden auch nie mehr sein. Eine Ware.
3. Das Narrativ der Anmaßung. Bibliotheken 'maßen sich an' entscheiden zu wollen, welche Bücher sie anbieten.
Ohne die Urheber zu fragen.

Jeden, der mir noch mal so kommt muss ich ernsthaft fragen, was genau mit ihm nicht stimmt.
Die derzeitige Kultur abzubilden, _aktuelle_ und _relevante_ Informationen anzubieten, Zugang zu _aktuellen_ Diskussionen zu verschaffen, Teilhabe an _kontemporärer_ Kultur zu ermöglichen, Kulturgut _zugänglich_ zu machen, ist der verdammte Job einer Bibliothek.
Erneut. Das ist kein NICE TO HAVE. Das ist ein Grundbedürfnis der Gesellschaft, alle mitzunehmen, den Zugang zu ermöglichen, auch ohne vermögend genug zu sein. Nicht (nur) die Kultur von gestern zugänglich zu machen. Bibliotheken sind keine Archive.
Bibliotheken lehren im JETZT. Nehmen Menschen JETZT mit ins JETZT.

Und ihr wollt ernsthaft gefragt werden, ob und wann eure Bücher in der Bibliothek stehen dürfen? Was bitte ist euch zu Kopf gestiegen und war es sehr teuer?
4. (Ich hätte noch mehr Punkte, aber ich bin müde. Und sauer. Und erwähnte ich sauer?)

Die Rhetorik. Ja, nochmal. Die Rhetorik mit der ihr Bibliotheken angreift. Ihnen vorwerft die Demokratie zu gefährden.
Ihnen vorwerft die Demokratie zu gefährden, weil sie ihren verdammten Job machen und versuchen einen gleichberechtigten Zugang zu schriftlichem Kulturgut zu schaffen. Um soziale Unterschiede auszugleichen, Chancen zu schaffen und zu selbstermächtigen.
Diese Rhetorik ... glaubt ihr im Ernst, die geht spurlos vorbei? Was habt ihr euch zur verdammten Hölle dabei gedacht?
In einer Zeit, in der es immer wieder Angriffe auf demokratische Strukturen gibt, auf die Wissenschaft, auf die Medien, auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In einer Zeit, in dem das Gemeingut immer weiter abgebaut und privatisiert wird.
In einer Zeit, in der Rechtspopulisten mal an die Pfeiler unserer Gesellschaft pinkeln, mal treten, in der Zeit habt ihr euch wirklich nichts bei den Formulierungen gedacht? Euch ist nichts aufgefallen?
Keiner, der mal innegehalten hätte und gesagt hätte: Ne, so geht das nicht.
Weil priviligierte Besserverdiener der Kulturszene, den Hals nicht voll kriegen oder von den Verlagen Honig um den Bart gestrichen bekamen, was davon auch immer zutreffen mag, habt ihr nichts besseres zu tun, als den roten Teppich für die nächste Rechtsaußenattacke auszurollen?
Nichts besseres zu tun, als den Neonpfeil auf Bibliotheken zu richten und zu sagen: Hier ist noch was, das ihr kaputt machen könnt. Hier ist noch etwas, das eurem Ziel der Lüge, der Falschinformation freie Bahn zu lassen, im Wege steht. Wir bereiten schon mal alles für euch vor.
Und das, in dem ihr selbst Behauptungen aufstellt, die ja, mal entfernt ein Körnchen Wahrheit gesehen haben, aber im Großen und Ganzen ungefähr so ehrlich und zutreffend sind, wie das Wahlprogramm einer rechtspopulistischen Partei.
Und alle, die unterschrieben haben, haben wirklich nichts gemerkt? Nicht hinterfragt? Nicht innegehalten? Fanden das gut?

Es sei nicht euer Ziel, Bibliotheken abzuschaffen.

Warum schafft ihr dann rhetorisch genau die Vorraussetzungen dafür?
Als Buchmenschen. Die mit Sprache umgehen.
Es kann mir doch niemand erzählen, dass euch das nicht auffällt.

Was zur Hölle geht da in euch vor?

Ich für meinen Teil: ich schäme mich.
Fremd. Für Euch. Und heute auch dafür den Berufstitel "Autorin" zu tragen.

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17 Oct
Es passiert mir selten, aber ich bin einfach nur noch sprach- und fassungslos. Es geht darum, dass sich Bibliotheken das Recht anmaßen, jeJegliches Recht angemessen für die eigene Arbeit vergütet
Dazu dann, das dahinter teils die gleichen Personen stehen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, das der 'Verlagsanteil' der eigentlich den Autoren zustand, auch an diese ausgeschüttet wird. Denen liegt jetzt auf einmal die 'faire Vergütung' von Autoren am Herzen.
Ja. Das soll glauben, wer will.

Niemand ... _niemand_ in der Verlagsbranche gibt sechsstellig Summen für ganzseitige Anzeigen aus, um für die gerechte Vergütung von Autoren zu streiten.

Dann könnte man vor der eigenen Tür anfangen und mal alle Buy-Out-Verträge rauswerfen.
Read 6 tweets
17 Oct
Ich wäre schon neugierig, wie viele der Unterzeichner zu Hause kein gut gefülltes, elterliches Bücherregal hatten, deren Verwandte auch zu Geburtstagen und Weihnachten nicht reichlich Bücher schenkten und deren Bücherwünsche außer der Reihe nicht erfüllt wurden, weil zu teuer.
Für die Bibliotheken und zwar auch die kleinsten und kräpeligsten Dorfbibliotheken nicht zusätzlich mit Büchern versorgten, sondern die Grund- und nahezu einzige Versorgung mit kulturellem Input jenseits des Fernsehens.

Könnte wetten, hoch ist ihre Anzahl nicht
Weil natürlich Arbeiterkinder auch die absolute Minderheit in der Kulturbranche sind. Stallgeruch und so. ¯\_(ツ)_/¯
Read 4 tweets
16 Oct
🧵
Ein paar Worte zu "The Premonition", auch wenn ich gerade erst zu 36% durch bin.

Die ersten zwei Kapitel handeln von @drcharitydean und davon, wie man sich mit Prävention unbeliebt macht. Es geht also u.a. um das Präventionsparadox.

amzn.to/3BP0Qqf (Affiliate-Link)
Michael Lewis stellt zwei Episoden aus Dr. Deans Arbeitszeit als Public Health Officer von Santa Barbara County gegenüber. Einen Ausbruch von Meningitis B an der University of California Santa Barbara und einen vorhergesagten Erdrutsch und die Evakuierung eines Pflegeheims.
An der UCSB gab es einen Meningitis-Fall, der zuerst vom Labor nicht als Meningitis bestätigt werden konnte. Der Autor führt die Leser hier in das kleine 1&1 der Diagnostik von Infektionskrankheiten ein. Quasi:
Read 41 tweets
16 Oct
Was mich bei den Zukunftskonferenzen des Börsenvereins immer angefuchst hat: dass man Autoren und Autorinnen nicht automatisch als Teil der Branche mitdachte.
Aber sieh an, wann man sie plötzlich mitdenkt.
Oder eher: wann sich Autor:innen für Verlagsziele missbrauchen lassen.
Ob das personell die gleichen Leute sind, die in der VG Wort den Verlagen so gerne die Hälfte vom Autor:innen zustehenden Geld abgeben wollten, weil Verlage doch immer so gut zu uns sind und wir sie deswegen unterstützen sollten?
Nachdem ich mir nun die Namen durchgelesen habe: ja, sind zumindest teilweise die gleichen Leute.
Read 7 tweets
16 Oct
Phew. Der Abschnitt über den Meningitis-B-Ausbruch an der UCSB und die eher unrühmliche Rolle des CDC darin ist auch extrem interessant.
amzn.to/3j3TpnK People were far less likely to blame a health officer for wh
Ist auch im Bezug auf die Pandemie relevant und setzt nochmal Vorstösse wie den des EBM-Nerzwerks in Kontext, die erst mal Daten abwarten wollen, statt zu tun.

Und das gesamte Präventionsparadox sowieso.
One intervention was not like the others, however: when you
Read 7 tweets
14 Oct
Ich glaube den nächsten "Der Tod gehört zum Leben dazu"-Hanseln trete ich ungespitzt durch die Wand.

Der wirklich allervollpfostigste Spruch für Menschen, die mit drastisch reduzierem Lebensrisiko aufgewachsen sind, aber das total lästig finden. Wegen Verantwortung und so. 🙄
Irgendwann mache ich einen Freizeitpark auf. Keine Geländer nirgends, keine Lifeguard, abends heiteres Raten "in welchem Gericht sind die Salmonellen denn heute", Klimaanlage & Warmwasser wird nicht gewartet, weil Listerien & Legionellen sollen sich auch wohlfühlen.
Die Aufzüge haben keine Sicherheitsklammern ... Ach, ich führe einfach Paternoster und Aufzüge ohne Innentür dort ein. Und auf dem ganzen Gelände wird der Strom ohne Schutzleiter verlegt. Der Pool wird auch nicht gechlort.
Read 5 tweets

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