Heute reden wir über Philipp Gut. Über einen Journalisten der so sehr die Coronabewegung pushen will, dass er vergisst wie Journalismus geht.

Und wir reden über das Medienspektakel Coronabewegung. Über den Nebenschauplatz Demogrösse und was eigentlich wichtiger wäre.

Ein Thread Image
Am 23. Oktober fand in Bern die bisher wohl grösste Coronademonstration statt. Genaue Schätzungen der Anzahl Teilnehmer*innen sind bei Demonstrationen dieser Grösse sehr schwierig. Einige Medien umgingen diese Ungenauigkeit, indem sie von "mehreren Tausend" Personen sprachen.
Das veranlasste Philipp Gut dazu, im "Nebelspalter" gleich 2 Artikel zu schreiben. Einen noch am Abend des Demonstrationstages, den zweiten am Tag danach.

Auf insgesamt 12'000 Zeichen empört er sich, dass Tamedia und SRF nicht von über 50'000 oder gar 100'000 Personen sprachen. Image
Das sind nämlich die Zahlen, die von den Veranstalter*innen und weiteren an der Bewegung Beteiligten behauptet wurden.
Philipp Gut selber übernimmt diese Zahlen ohne jede Prüfung in seine Artikel. Die Belege dafür? Es sei ja schliesslich sehr voll gewesen. Image
Das alles erstaunt nicht weiter: Schon nach der Demonstration vom 8. September nahm Gut die behauptete Teilnehmer*innenzahl der Veranstalter*innen ohne zu hinterfragen für bare Münze (wir berichteten).
Dass Medien wie Tamedia und SRF nicht - wie er selber - einfach die Zahlen der Veranstalter*innen übernehmen, sieht Gut als Propagandaaktion um die Abstimmung über das Covid-Gesetz zu beeinflussen.
Auch für diese abenteuerliche Behauptung bringt er keine handfesten Belege vor. Image
Ist das noch Journalismus?

Vielleicht.

Wenn auch etwas mangelhafter.
Richtig absurd wird es aber in Guts zweitem Artikel. Unter dem Zwischentitel "Die Sache mit den 150'000 Holländern" führt er einen Artikel der "NZZ" aus dem Jahr 2008 an. Dieser sei ein weiterer "Beleg", dass die Demo riesig gewesen sei und bloss kleingeschrieben werde. Image
Laut dem NZZ-Artikel nahmen im Rahmen der damals stattfindenden Fussball-Europameisterschaft nämlich 150'000 Holländer*innen an einer Feier in der Berner Innenstadt teil.
Bebildert war der Artikel mit einem Foto des randvollen Bundesplatzes.
nzz.ch/110000_mensche…
"Daraus kann man logischerweise nur schliessen, dass die Holländer offenbar 30-mal kleiner sein müssen als die Schweizer Demonstranten", schreibt Gut mit Blick auf das Bild, aber offensichtlich ohne Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten von damals.
Was Gut nämlich nicht recherchiert hat: Die 'Fanzonen' erstreckten sich damals über Bundes-, Waisenhaus- und Kornhausplatz. Die gesamte obere und Teile der unteren Altstadt waren voll mit Menschen.

(Quelle: bern.ch/mediencenter/m…) Image
Wenn Gut also ein Bild des gefüllten Bundesplatzes von 2008 nimmt und es mit einem Bild des gefüllten Bundesplatzes von 2021 vergleicht, begeht er einen schweren Denkfehler: Nicht alle 150'000 Holländer*innen befanden sich 2008 auf dem Bundesplatz. Offensichtlich.
Laut dem Berner Polizeiinspektorat vermag der Bundesplatz sowieso nur 15- bis 30'000 Personen zu fassen, je nach Grösse der abgesperrten Fläche. Guts Rückschluss auf die Grösse der Coronademo ist also an sich schon ziemlich absurd.

(Quelle: 20min.ch/story/wie-viel…)
Was aber noch absurder ist: Der gesamte Vergleich, inklusive der Aussage, dass "Holländer offenbar 30-mal kleiner sein müssen" stammt nicht von Journalist Philipp Gut selbst.

Das alles ist direkt den Telegram-Chats der Coronabewegung entnommen.
Keine 2 Stunden nach dem offiziellen Ende der Demonstration tauchte die Aussage nämlich das erste Mal im Chat "Widerstand2020 Schweiz" auf. Von dort verbreitete sie sich in mehr als zwei Dutzend weiteren Gruppen. Stand heute haben rund 24'800 Personen einen dieser Posts gesehen. ImageImageImageImage
Philipp Gut übernahm diesen Gedanken also fast unverändert aus den Telegram-Chats in seinen Artikel. Dieser erschien am 24.10. um 18:59 Uhr. Zwischen dem Original und Guts Kopie vergingen also über 25 Stunden. Eine Deklarierung des Ursprungs der Aussage fehlt im Artikel gänzlich.
Die Zahlen, der Vergleich, ja sogar der Denkfehler in Philipp Guts Artikel stammt also direkt aus den Corona-Chats.

Ohne jede Einordnung.
Ohne Transparenz.
Ist das noch Journalismus?

Nein. Nicht wirklich.

Das ist PR.
Wie viele Personen waren nun aber an der Demo? Das lässt sich kaum genau beurteilen.

Ein Berner Forscher der selber an der Demo war, nach eigener Aussage aber mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet, kommt auf 27'500 bis 38'000 Personen. bernerzeitung.ch/wie-unabhaengi…
Inwiefern dieser Schätzung vertraut werden kann, lässt sich ohne Begutachtung der Methodik nicht beurteilen. Es ist aber bezeichnend, dass auch sein Ergebnis deutlich unter den behaupteten 50'000 liegt. Und um Welten von den 100'000 entfernt ist, die Gut ja ebenfalls propagiert.
Tatsache ist aber auch, dass die von verschiedenen Medien verwendete Formulierung "mehrere Tausend" tendenziell einen zu tiefen Eindruck erweckt. "Einige Zehntausend" hätte die Menschenmasse hingegen wieder überschätzt.
Letzten Endes dürfte die genaue Zahl der Teilnehmer*innen auch gar nicht so wichtig sein. Tatsache ist, dass die Coronabewegung seit Monaten viele Menschen konsistent zu mobilisieren vermag. Das macht sie unbestritten zu einem gewichtigen und ernstzunehmenden politischen Faktor.
Statt zig Artikel zur Frage nach der genauen Zahl der Teilnehmer*innen, wäre es deshalb wünschenswert, wenn sich manche Medien wieder vermehrt auf die Strukturen der Coronabewegung fokussieren würden.
Dass ein nicht vernachlässigbarer Teil der Demos dem verschwörungsideologischen Spektrum zuzuordnen sind; dass die Gewaltbereitschaft steigt; dass antisemitische Erzählungen in bedenklicher Breite herumgereicht werden. Das alles bekommt in den Newsmedien kaum mehr Aufmerksamkeit.
Stattdessen fällt der Fokus der Berichterstattung auf die Aushängeschilder und deren Behauptungen.
Auf die Organisationen und Personen die sich gemässigt geben und der sehr heterogenen und teils stark radikalisierten Bewegung einen homogenen Anschein von Salonfähigkeit geben.
Darüber sollten sich berichtende Medien Gedanken machen. Die Coronabewegung ist nicht zuletzt ein Medienspektakel, das von ständiger und nur oberflächlicher Aufmerksamkeit lebt.

Wer das nicht hinterfragt, wird unweigerlich selbst Teil des Phänomens.
Ist das dann noch Journalismus?

Ja. Klar.

Aber halt einer, der sich instrumentalisieren lässt.

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