Meine aktuellen Modellrechnungen sehen wirklich schlecht aus. Wir haben so lange mit Reaktionen gezögert, dass jetzt auch ein schnelles und entschiedenes Handeln eine zeitnah eintretende Überlastung des Intensiv-Systems in 1-3 Wochen nicht mehr verhindern kann.
Thread/Blog 1/x
Kurzfassung für Eilige 2/x
Der übliche Modellierer-Hinweis für Modellagnostiker. 3/x
Seit Auftauchen von Delta im Sommer habe ich praktisch in allen eskalierenden Modellrechnungen, die ich gezeigt habe, irgendwann im Herbst einen Lockdown eingerechnet, weil die sich sonst ergebenden atemberaubenden Verläufe sehr seltsame Dinge in meinem Kopf gemacht haben.
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In meiner Zeit als Rettungsassistent hatte ich glücklicherweise nie einen lokalen/regionalen Katastrophen-Fall im Dienst miterleben müssen. Aber wie wir gleich sehen werden, gibt es Szenarien, die einem überregionalen K-Fall entsprechen – schon in 2-4 Wochen.
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Bisher konnte ich mir nicht vorstellen, dass Deutschland, Platz 5 von über 200 Ländern auf der Liste des Human Development Index, einer derartigen Entwicklung untätig zuschaut, ohne sich vorzubereiten. de.wikipedia.org/wiki/Index_der…
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Jetzt kommt es noch schlimmer: Wahrscheinlich lässt Politik mit Auslaufen der “epidemische Lage von nationaler Tragweite” am 25.11.2021 auch noch mitten im stärksten Anstieg zu, dass Eingriffe massiv erschwert werden oder am Ende nur unabgestimmt lokal/regional stattfinden.
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Den weiteren Verlauf des Pandemiegeschehens können wir besser berechnen als den Verlauf der politischen Entscheidungen.
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Je weiter und ungestörter wir dabei die Inzidenzen eskalieren lassen, um so weniger mögliche Maßnahmen bleiben noch übrig, die überhaupt noch eine Wirkung auf den nachfolgenden Verlauf haben könnten.
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Daher ist die zu bevorzugende Variante die am sichersten zu berechnende Variante — und das ist die, bei der der R-Wert bei Überschreitung von R=1 möglichst früh möglichst stark durch Maßnahmen gebremst.
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Aber je weniger gebremst wird, je weiter und länger sich R über 1 halten kann, um so unsicherer werden die Bilder. Wie man ein 83 Millionen-Volk sehenden Auges diesen extremen Unsicherheiten aussetzen kann, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.
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Rechnen wir also mal durch, wie einige mehr oder weniger gebremste Durchseuchungsszenarien aussehen. Dabei ist eine Durchseuchung der Bevölkerung, bei der auch x% der Geimpften infiziert werden, keine Garantie, dass wir im späten Frühling oder spätestens nächsten Winter...
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... nicht nochmal eine Welle bekommen ohne wenigstens die einfachsten Schutzmaßnahmen (Masken, Tests, AHA+L) , denn Infektionen schützen deutlich schlechter vor Re-Infektionen und mit der Zeit sinkt der Immunschutz vor Ansteckung für Geimpfte wie für Ungeimpfte.
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Bis zum nächsten Winter könnte sich rechnerisch wieder genügend “Brennstoff” für eine weitere große Welle finden. Wenn wir diese wieder zulassen (gibt es einen Lerneffekt?) und nicht genügend Impfen&Boostern.
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Also schauen wir uns ein paar Szenarien an, wobei ich bewusst offen lassen, wie die Bremseffekte entstehen (Bürgerverhalten oder Maßnahmen? siehe unberechenbare Politik), das macht mathematisch auch keinen Unterschied: 15/x
Wichtige Anmerkung: 16/x
Kommen wir also zu den Szenarien: 17/x
Selbst im Szenario H (“Ein Wunder geschieht”) werden wir mehr ITS-Betten brauchen, als in der 2. Welle, das 2,5-fache dessen was wir im Moment verkraften könnten.
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Nur Szenario F (“Notbremse 22.11.”), das am 22.11. mit 25% vom R-Wert wegnimmt, bleibt noch unter der Zahl der überhaupt Deutschlandweit betreibbaren Betten. Die harte Bremsung des Szenario G in der Woche vor dem 6.12. kommt dagegen viel zu spät.
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Die schrittweisen Bremsungen der Szenarien B bis E führen auch zu riesigen Belastungen.
Insgesamt kann man sagen: Wir bekommen eine Monsterwelle. Aber: Noch könnte schnelles, entschiedenes Handeln von Bürgern und Staat in diesen Modellrechungen das Schlimmste verhindern.
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Versuchen wir mal diese Zahlen einzuordnen
10.000 ITS-Betten, oder 20.000…. Was heißt denn das? 21/x
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Die weiteren Folgen am Beispiel Szenario F (Notbremse wirkt ab 22.11.): Die folgenden Charts zeigen exemplarisch, was sich als Auswirkungen neben den ITS-Patienten entwickeln würde, wenn wir in der Woche des 15.11.2021 deutliche Einschränkungen aussprechen. 23/x
Die Notaufnahmen und Normalstationen würden eine Welle erleben, die fast 3 mal so hoch ist, wie in der 2. Welle, die Anzahl der Verstorbenen pro Woche liegt auf dem Niveau der der 2. Welle. Das läuft dann bis in den März 2022.
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Insgesamt käme es zu ca. 70.000 Toten nach dem 1.11.2021 und zeitweise über 2 Millionen Long-Covid-Patienten.
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Die Doomsday-Szenarien 26/x
Ungebremstes Durchlaufen wäre Ende Jan. abgeschlossen, dann findet Virus keine ansteckbaren Ungeimpften und Geimpften mehr. Bis dahin wären >250.000 Menschen verstorben. Situation im Gesundheitssystem bei 150.000 Hospitalisierungen in der Woche mag sich keiner ausmalen. 27/x
Wenn wir gerade nicht genug tun, also z.B. es nur schaffen würden, den R-Wert um 15% abzusenken, dann sieht das so aus: Die Welle läuft bis März und wir haben 200.000 Tote. 28/x
Jeder/jede, der/die jetzt gegen Bremsmaßnahmen ist, würde die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung in diesen Größenordnungen akzeptieren. Oder er/sie zeigt mir bitte eine Modellrechnung, mit der er/sie zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Die würde ich gerne sehen.
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Die gute Nachricht ist, dass mit “nur” 20% Absenkung des R-Werts die Kurve genügend gebeugt wird, dass die Fallzahlen wieder sinken – auch wenn wir damit zu spät kommen um die große vierte Welle zu vermeiden, wir haben keine Alternative. 30/x
Ich glaube noch daran, dass wir eine Chance hätten, die 20% zu schaffen, gemeinsam. Wenn jeder von uns jeweils einen von drei Kontakten vermeidet, dann wären wir schon in einer guten Größenordnung. Dazu sollte sich jeder in einer möglichst kleinen “Social Bubble” befinden.
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Im Covid Mobility Project kann man sehen, dass wir alle von April bis August stetig mehr Kontakte hatten, die jetzt wieder etwas zurück gehen (grüne Linie), wahrscheinlich teilweise saisonbedingt (weniger Begegnungen draußen). 32/x
Aber: “Buntheit” der Kontakte steigt seit August stetig (rosa Linie). Wir treffen uns wieder mit mehr VERSCHIEDENEN Menschen, und feuern damit Größe unserer Kontaktnetzwerke an und fördern somit die Ausbreitung des Virus. Wir müssten uns weniger mit weniger Menschen treffen!
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Und die Spikes am Helloween-Wochenende machen mir auch große Sorgen, das könnte die explosive Entwicklung der letzten Woche mit angefeuert haben. Man stelle sich nun vor, wie eine Adventszeit mit weitverbreiteten Weihnachtsfeiern in dieser Grafik aussehen würden… Ohje.
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Zu den freiwilligen Verhaltensänderungen kommen 2G-Regeln hinzu, die die Ungeimpften zumindest teilweise “aus dem Verkehr” ziehen, sodass ihr Beitrag zur Verbreitung reduziert wird.
Das müßte reichen. Zumindest aus mathematischer Sicht.
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Es muss allen klar sein: “Durchlaufen” lassen der Infektionen geht schlicht nicht, nicht jetzt, und nicht in 5. Welle. Siehe Doomsday-Szenarien. Weil das Gesellschaft für Wochen an den Rand der Stabilität bringen würde.
Es gibt nur einen Ausweg: Impfen. Alle. Fast alle.
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PS: Als Nachtrag noch ein Vergleich der Ergebnisse meiner o.g. Modellrechnungen mit anderen auf Twitter auffindbaren Modellen.
Spoiler: Kommen alle irgendwie auf etwa das gleiche Ergebnis.
Mein Thread mit den Modellrechnungen für die nächsten 6 Wochen hat eine Menge Aufmerksamkeit bekommen.
Zur Validierung meiner Ergebnisse hier ein Peer-Data Thread, der zeigt, dass Andere mit ganz anderen Methoden ganz ähnliche Werte erzeugen. 1/x
Die Grafik zeigt, dass es bei den nachfolgenden Modellen eine hohes Maß an Übereinstimmung gibt für eine ITS-Belegung über 6.000 Anfang Dezember. Der grüne Balken geht von einem Bremsen bei 400 aus, der gelbe Balken ist der Wert für 1 Woche vorher.
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@ECMOKaragianni1, Wissenschaftlicher Leiter #DIVI Intensivregister, rechnet Anfang Januar mit 6.000 ITS-Patienten, wenn Inzidenz bei 400 stoppt (?). Das entspricht meinem Szenario H ("Ein Wunder geschieht") und ich komme auf 9.000 Betten, Peak an Xmas. 3/x
Schritt 2: Die Inzidenz der Geimpften und Ungeimpften holen wir uns beim LGL Bayern: 60 und 537. Bei unserer gigantischen Positivrate von >12% nehmen wir noch vorsichtig einen Dunkelziffer von 3x an. lgl.bayern.de/gesundheit/inf… 3/x
Rant: Warum müssen ich (und viele andere) unsere Freizeit damit verbringen, Pandemie-Datensammlungen und -Modelle zu pflegen?
Ein Rant-Thread 1/x
Der folgende Thread basiert auf meinem Vortrag anlässlich des “Global Summit to End Pandemics” des World Health Networks am 4.11.2021.
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Ich sehe in Deutschland eine grundsätzliche Kluft zwischen Wissenschaft und Politik. Diese ist meistens verbunden mit einem weitgehenden Mangel an Verständnis selbst für die simpelsten Grundlagen des exponentiellen Wachstums und für wissenschaftliches Denken.
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Sehr langsam kommt die Situation, die sich da bis Ende November zusammenbrauen könnte, in den größeren Medien an. Hier ein guter Artikel in der SZ.
Ein Zitate-Thread 1/x
"Als wären die Dinge vorbei. Die Politiker schließen einen Lockdown aus. Das tue ich als Wissenschaftler und Arzt nicht," sagt der Covid-19-Experte Clemens Wendtner, dessen Intensivstation in der München-Klinik Schwabing bereits wieder mit Covid-19-Patienten gefüllt ist.
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Wendtner sagt: "Die fast 6000 Covid-19-Patienten, die Anfang des Jahres auf Deutschlands Intensivstationen versorgt wurden, würden wir heute gar nicht mehr schaffen."
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Modellupdate 1.11.2021: Was wäre die Wirkung einer Notbremse in einer der nächsten 4 Wochen?
Für dieses Modellupdate habe ich 4 Szenarien gerechnet die jeweils in den nächsten 4 Wochen eine drastische Notbremse ziehen, weil die Anzahl der ITS-Patienten zu hoch wird.
Thread 1/x
Für dieses Modellupdate habe ich 4 Szenarien gerechnet und in eine Grafik eingezeichnet. Die Szenarien gehen davon aus, dass am 8.11., 15.11, 22.11, oder 29.11. eine drastische Notbremse gezogen wird (R-Wert Absenkung um 25%), weil die Anzahl der ITS-Patienten zu hoch wird.
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Eine Notbremse am nächsten Montag 8.11. würde ab dem 15.11. anfangen auf die Inzidenz zu wirken und wir würden im Dezember in der Spitze ca. 5.000 ITS-Betten benötigen (lila Linien).
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Reicht “2G – Lockdown der Ungeimpften” aus, um das Wachstum zu brechen?
Dazu möchte ich einige Überlegungen/Daten zur Diskussion stellen.
Spoiler: Ob 2G ausreicht ist m.E. alles andere als klar.
Thread 1/x
In meinem Modell verteilen sich die wöchentlichen Fallzahlen auf Geimpfte und Ungeimpfte wie folgt.
In der KW 25.10.2021 kommen wir im Modell auf ca. 135.000 Neuinfektionen, davon sind etwa 95.000 Ungeimpfte. 2/x
Um das Wachstum theoretisch stoppen zu können, also um in der KW des 1.11.2021 auf ein Nullwachstum zu kommen, müßten wir 50.000 (also 1/4) der beim aktuellen Wachstum für nächste Woche anstehenden 200.000 Infektionen vermeiden. Das ist sehr viel.
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