Es ist interessant, dass die Frage der Endlagerung radioaktiver Stoffe als Thema und Motiv in literarischem Zusammenhang aufgegriffen wird.
Die Notwendigkeit, menschliches Wirken über mehrere Generationen (also über den Horizont des Individuums hinaus)...
...oder sogar über geologische Zeitdauern (d.h. über den Zeithorizont der gesamten menschlichen Kultur hinaus) zu betrachten, erzeugt ein philosophisches Spannungsfeld, da dadurch eben das "Menschliche" mit dem "Nichtmenschlichen" (Kosmos, Erdgeschichte) verknüpft wird.
Dies hat die Definition des "Anthropozäns" motiviert. Nicht nur künstliche Radionuklide -- vieles, was die Menschheit seit der Sesshaftwerdung im Neolithikum hergestellt hat, wird über Zeitspannen existieren und sich auswirken, die den historischen Zeithorizont übertreffen.
Bauwerke, Biosphärenveränderungen durch die Landwirtschaft (hierin waren auch die nordamerikanischen Indianer durch ihre Jagdkultur groß), synthetische Stoffe (Aluminium, Kunststoffe, Stahl, u.v.m.), Veränderungen des Luftgasgemisches...
-- Außerirdische, die die Erde vor 300.000 Jahren beobachtet hätten, wären wohl kaum auf den Trichter gekommen, dass eine pfiffige, felllose Affenart mit Säulenbeinen Auswirkungen haben könnte, die in vorangegangenen Zeitaltern eher für Einzeller oder Insekten typisch waren.
Die Positionen der Frau Hug kenne ich nicht; es ist allerdings unter Kulturschaffenden und linken Akademikern (die eine sehr substantielle Schnittmenge aufweisen) eine verbreitete Ansicht, dass hier eine Form der "Schuld" vorläge.
Die Auswirkungen der Menschen auf der Erde seien eine Art Sündenfall, die Menschheit habe etwas Falsches, Schlechtes getan, wofür sie Abbitte leisten und was sie, soweit möglich, rückgängig machen müsse.
Das Problem liegt hier in dem Konzept "Schuld". Ein abramitisches Konzept -- Sündenfall durch Lossagung des Geschöpfes vom Schöpfer --, das in anderen Kulturen so nicht existiert. Beispielsweise fanden die christlichen Eroberer es chronisch schwierig, den südamerikanischen Indios
...das Konzept einer Trennung des Menschen von der Gottheit zu erläutern (/einzubläuen), da nach deren Weltauffassung der Schöpfergott, die Natur und die Naturgeister, die Menschen und ihre Ahnen stets eine Einheit bildeten.
(Die Amazonasvölker; die Anden-Hochkulturen hatten wieder andersartige Vorstellungen.)
Anstatt die Auswirkungen der Menschheit als eine Art Kollektivschuld zu sehen, wäre es interessanter, den Status unserer Spezies als geologische Kraft, oder sogar als eine Art "Gott-Primat" zu akzeptieren und auf dieser Basis zu arbeiten.
Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein. Aber es kann auch schön sein, ein Gott zu sein.

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29 Nov
Okay, Zeit für einen kleinen Thread zum Thema #Wissenschaft, spezifisch im Sinne von #Naturwissenschaft.

In letzter Zeit entsteht vermehrt der Eindruck, "Wissenschaft" sei etwas, das von mehr oder minder klug aussehenden Menschen getan wird, die im TV erscheinen und Recht haben.
Das ist natürlich eine grob verzerrte Wahrnehmung. Überlegen wir uns deshalb von Grund auf, was Wissenschaft ist bzw. ausmacht.
Die Startfrage lautet: Wie nimmt ein Mensch die Welt wahr? Er empfindet ein "Ich": Das ist die Gesamtheit aller geistigen und emotionalen Prozesse, überhaupt alles, was wir denken, bemerken, empfinden. Image
Read 40 tweets
8 Nov
"Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden"
bundesregierung.de/breg-de/themen…

--> und zwar ausschließlich mithilfe Erneuerbarer minus Kernenergie.

Ist das überhaupt plausibel? Lasst uns rechnen.
Deutschland verbraucht jährlich Strom entsprechend einer Durchschnittleistung von ca. 60 GW.
(Ich rechne hier alles als Jahresdurchschnittsleistung, also "Gesamtmenge Energie / 31.5 Mio S".)

Ferner verbraucht es Erdöl mit einer Rate von ca. 100 Mio t/Jahr
de.statista.com/statistik/date…
...was, bei einem Heizwert von 10 kWh pro Liter und einer Dichte von 0.8 kg/l, einem auf die Masse bezogenen Heizwert von 45 MJ/kg und somit einer "Ölbrennleistung" Deutschlands von ca. 140 GW entspricht.
Read 24 tweets
6 Nov
Idee:
Die wesentlichste Eigenschaft und Stärke der Affenart Mensch ist die Fähigkeit zum Verständnis des Konzepts "Zukunft". Dies ist der kognitive Faktor, der dazu führt, dass die eine Art im Urwald Termiten angelt, die andere, nahverwandte, ins All fliegt.
Dadurch, dass Homo Sapiens sich eine abstrakte, hypothetische Zukunft vorstellen kann, vermag er, Pläne für diese zu machen und zum Erreichen dieser Pläne kurzfristig Erregung des Schmerzzentrums in Kauf nehmen.
Wenn ein Tier einer anderen Art die Möglichkeit zur Wahl verschiedener Handlungsweisen hat, wird es diejenige wählen, die das Belohnungszentrum am stärksten, das Schmerzzentrum am schwächsten erregt.
Read 6 tweets
5 Nov
Interessant ist BTW: Den KP erkennt jeder Leser sofort als Märchen (oder vielleicht eher als Folge von Bildern und Visionen) -- Star Wars oder (in noch etwas höherem Maße) Star Trek dagegen werden als "irgendwie realitätsnäher" empfunden...
...obwohl sie das keinesfalls sind. (E.g. scheint es in diesen Universen auch eine Atmosphäre zwischen den Himmelskörpern zu geben, die Schall leitet, Raumschiffe bewegen sich wie Ozeanschiffe oder Flugzeuge, in SW existiert eine Art Magie u.v.m.)
Dennoch werden sie als "Science Fiction" (d.h. "irgendwie theoretisch möglich") und nicht als Märchen wahrgenommen: weil die Geschichten sich Bildern, Begriffen und Erklärungen bedienen, die ein wissenschaftliches Flair haben.
Read 5 tweets
5 Nov
Das ist ein interessanter Punkt.
Betrachtet man Raumschiffe realistisch, dann gilt es, jedes überflüssige Gramm an Bord zu vermeiden. Die maximale Geschwindigkeitsänderung (das entscheidende Maß ihrer Leistungsstärke) einer Rakete beträgt:
Δ v = v0 * ln(Masse betankt / Leermasse)
wobei v0 die Triebwerksstrahlgeschwindigkeit und "ln" der natürliche Logarithmus ist -- die am langsamsten wachsende mathematische Funktion.
Um Δv möglichst groß zu machen, muss daher das Verhältnis von betankter zu leerer Masse geradezu krampfhaft erhöht werden...
...was man in der Praxis mit Stufenbauweise schafft.

Kissen, Bilder, nichtdigitale Bücher, Topfpflanzen u.ä. verringern dieses Verhältnis und sind deshalb nicht an Bord mitzubringen.
Read 7 tweets
19 Sep
Eine kleine Beobachtung.

Im späten 20. Jahrhundert (und bis in die frühen 2000er) war die postmoderne Auffassung häufig, dass die Naturwissenschaften gar keine sinnvolle Beschreibung der Welt seien, entweder, weil ihnen die wahren Zusammenhänge nicht zugänglich seien...
...oder aber, weil es sich überhaupt nur um sozial ausgehandelte Konstruktionen handle. Stattdessen sprachen sich allerlei Menschen mittlerer Intelligenz für "mystisches" oder "intuitives" Erfassen der Natur aus.

Heutzutage ist diese Auffassung selten geworden.
Man hört nicht mehr viel davon. Was allerdings der Fall ist: Aussagen, die naturwissenschaftlichen Modellen von Grund auf widersprechen, werden als diskussionswürdig oder sogar axiomatisch wahr angesehen, besonders bekannt sind hier die Ideen der "Genderforschung"...
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