Thread by @pavel23

Cummings hat vermutlich die entscheidenen Prozentpunkte für den Brexit geholt hat, und im Blog lässt er sich darüber aus, wie er über Politik denkt und warum er von Trump enttäuscht ist und wie die Republikaner neu aufgestellt werden können.

https://twitter.com/plinz/status/1465147943611101188

Seine zentrale These ist, dass die Regierung heutzutage nicht mehr die Kontrolle hat, sondern die Verwaltung. Oder wie ich es ausdrücken würde: Wir werden nich regiert, sondern verwaltet. Da ist sicher einiges dran, aber ganz so ist es auch nicht.

Allerdings würde die Aussage „wir wurden verwaltet und nicht regiert“ in besonderem Maße für die Ära Merkel gelten, die ich gedanklich mit keinem einzigen nennenswerten politischen Projekt verbinde.

Rot-Grün hat wenigstens regiert, und Hartz4, Unternehmenssteuerreform und Atomausstieg auf den Weg gebracht - alles äußerst schlecht gemacht, aber immerhin etwas gemacht. Bei Angela Merkel fällt mir dagegen nichts ein, was sie bewegt hätte.

Cummings sieht Wahlen als reine Show-Veranstaltung fürs Volk, die nichts substanzielles ändern können und wo die Wähler mehr oder weniger alle medial manipuliert sind und sich nur einbilden, selbstbestimmt zu wählen. Da ist sicher was dran, aber nicht so absolut.

Eine weitere seiner Thesen ist, dass man Institutionen praktisch nicht reformieren kann, sondern sie besser zerschlagen und neu gründen muss, wenn man etwas verändern will. Dem kann ich gut beipflichten; Berlin hat das mal erfolgreich mit dem Landesverfassungsschutz gemacht.

Wenn ich überlege, welche Institutionen der Regierung ich zerschlagen und welche ich beibehalten würde, fällt mir wenig ein, wo ich sagen würde: Das läuft gut, das behalten wir.

Ginge es nach mir, würde ich auch alles zerschlagen: Ministerien, Polizeien, Gerichte, Krankenversicherungen, Krankenhäuser, Autobahnverwaltung, Militär, Geheimdienste, Staatsanwaltschaften, Schulen und Hochschulen, Luftfahrtbundesamt, BSI, RKI, PEI, MPG, THW, egal, was …

…mir so einfällt, ich finde darunter nichts, wo ich sagen würde, das soll so bleiben, wie es ist, und ein bisschen Reform reicht aus. Nein, ich würde alle rund 5 Millionen Beschäftigen des öffentlichen Dienstes erst mal feuern oder in den Ruhestand schicken und dann…

…mit neuen Leuten an der Spitze in neuen Institutionen zusammen fassen. Ach ja, und die politischen Parteien und ihre Stiftungen würde ich auch komplett zerschlagen, ihr Vermögen einziehen.

Und wenn wir schon dabei sind, ARD und ZDF und DW würden natürlich auch zerschlagen, alle Rundfunklizenzen auch an Private würde ich entziehen und alle Zeitungsverlage und Online-Imperien dicht machen. Und die berufständischen Vertretungen hättr ich fast vergessen, aber die auch.

Die könnten sich dann alle neu gründen, unter neuem Namen und unter neuen Statuten. Ja, ich gebe zu, das sind alles eher unrealistische Gewaltphantasien, aber im Grundsatz scheint es mir in der Tat als der zielführendere Weg, Institutionen zu zerschlagen und neu zu errichten…

…als sie zu reformieren, wo einem auf jedem Stück des Weges Widerstand entgegen schlägt und die politische Kraft in der Regel nicht ausreicht, allzu viel Substanzielles zu verändern.

Bisher scheinen nur Konservative bzw. Rechte systematisch und strategisch in diese Richtung zu planen, wobei Cummings der Meinung ist, dass Trump in dieser Hinsicht weitgehend unfähig war und bei „Drain the swamp“ nicht mal ein Eckchen trockengelegt hat.

Cummings möchte daher das Silicon Valley mobilisieren und politische Führer rekrutieren, die, wie er sagt, große Pläne entwerfen und in großem Maßstab umsetzen können, Leute vom Schlage eines Bezos, Gates, Jobs, oder Musk.

Ich bin da eher skeptisch, denn Politik ist etwas anderes als ein Konzern, der aus meiner Sicht vergleichsweise simpel ist im Gegensatz zu Politik in einer modernen Industrie- und Informationsgesellschaft.

Es scheint mir die Sehnsucht nach einer politischen Führung zu sein, die endlich mal wieder durchregiert und Dinge bewegt kriegt und mit scharfer Klinge das Dickicht der Bürokratie durchschneidet und das verkrustete Establishment aufbricht.

Ich bin skeptisch, dass das eine gute oder gar praktikable Idee ist, aber es ist auch nicht völlig von der Hand zu weisen, dass viele unserer Institutionen disfunktional sind und es viele Fehlincentivierungen und Fehlverteilung von Befugnissen und Verantwortung gibt.

Die Pandemie hat uns diese Schwächen und Fehler unseres Systems deutlich vor Augen geführt, und auch die ungenügenden Fortschritte bei Klimaschutz liessen sich dadurch erklären, dass unsere Regierungen nicht regieren, sondern die Bevölkerung verwalten.

Auf jeden Fall aber lohnt es sich, einen Blick auf die Gedanken von jemanden zu werfen, der die Mehrheit für den Brexit organisiert hat und zu verstehen, wie moderne Konservative ticken und wie sie den Staat umkrempeln wollen, nämlich durch Zerstörung und Neuaufbau.

Und leider muss man konstatieren, dass sie nicht mit allem falsch liegen, sondern durchaus einen Punkt haben und eine Lösung anbieten, im Gegensatz zur Linken, die unser Heil eher in mehr Bürokratie sieht und die sich dieser Gefahr von Rechts gar nicht bewusst zu sein…

…scheint und wenig davon zu verstehen scheint, wie man Staat und Gesellschaft so umbauen kann, dass sie Probleme strategisch, intelligent und effizient angehen und lösen kann.

Bleibt es dabei, sehe ich eine große Wahrscheinlichkeit, dass es auf Dauer den Rechten gelingen wird, mehr Einfluss zu gelangen und Institutionen zu zerstören. Ob sie für besseren Ersatz sorgen werden oder können, scheint mir aber sehr fraglich.

Die Linke bzw. die Mitte sollte sich daher dringend überlegen, wie sie es hinbekommen möchte, dass der Staat handlungsfähig und regierbar wird. Im Moment sieht für mich die Ampel noch handlungs- und regierungsunfähiger aus als die Verwalterin Angela Merkel. Wir werden sehen.