Philosophie im öffentlichen Diskurs sichtbarer zu machen, ist ein wichtiges Anliegen. Ich habe gestern den Vortrag von @romyjaster besucht, um herauszufinden, ob die Kritik, die ich als #publicphilosopher an der #publicphilosophy-Strategie der GAP übe, berechtigt ist. /1
Da ich gestern wegen einer Anschlussveranstaltung verhindert war, konnte ich meine Kritik dort nicht mehr anbringen. Warum aber sollte man #publicphilosophy nur an der Akademie diskutieren? Also hole ich hier ein paar Beobachtungen nach, die mir bemerkenswert erscheinen: /2
Das Erste, was mir aufgefallen ist, fand noch vor dem eigentlichen Vortrag statt: Man plauderte über gemeinsame Projekte, lobte einander in sehr positiven Formulierungen und verwies so konstant auf die guten Beziehungen, die man pflegt. Das wiederum war Anlass für die /3
Bemerkung, man könne sehen wie nett Philosoph:innen miteinander umgingen – und die Anschlussbemerkung von Frau Jaster, man könne sich ja die Umfelder aussuchen, in denen man so miteinander umgeht. Soweit, so unproblematisch. Oder? Aus Sicht des kritischen Zuhörers war das /4
allerdings gar nicht so unproblematisch: schließlich wurde mit jeder informellen Betonung gemeinsamer Netzwerke und Interessen klarer, dass man sich sehr genau überlegen muss, was man am Vortrag kritisiert. Die Botschaft war klar: Sie ist eine von uns. /5
Im Vortrag selbst nahm @romyjaster auf „die akademische Philosophie“ Bezug, die sie gleich zu Beginn im Sinne ihres eigenen Philosophieverständnisses bestimmte: Philosophie als Wissenschaft, als in Fachbereiche unterteilte Forschung mit klaren thematischen Linien, als /6
Untersuchung von Erkenntnis und „der Welt“. Dieser recht voraussetzungsvolle – und in vielerlei Hinsicht problematische – Philosophiebegriff, der „akademische Philosophie“ mit Jasters eigenem Paradigma gleichsetzte, sorgte unter den Zuhörer:innen für erhobene Augenbrauen. /7
Der Sinn dieser Gleichsetzung wurde allerdings im weiteren Verlauf klar. Dort wurde zwar die Frage, was akademische Philosophie (sic) der Öffentlichkeit zu bieten habe, mit Kompetenzen und thematischen Anschlüssen beantwortet. In der Diskussion beschwerte sich aber dann nicht /8
nur Jaster darüber, dass die Redaktionen sie nicht vor allem zu ihrem Fachgebiet befragen würden – und dass vorproduzierte redaktionelle Beiträge zu diesen Fachgebieten dann nur ausschnitthaft vorkommen. Dieser Widerspruch – Kompetenzen stark machen, inhaltliche Ausrichtung /9
einfordern – zeigt m. E. den Spagat an, den Frau Jaster in ihrer Behandlung von #publicphilosophy zu machen versucht: Philosophie ja, aber vor allem diejenige, die sie vertritt. So geriet denn auch ihr Vortrag taktisch zu einem ‚trojan horse‘: Die Auseinandersetzung von /10
akademischer Philosophie mit der Öffentlichkeit wurde anhand von wenig kontroversen Punkten verhandelt oder in offene Probleme überführt. Als Lösung tauchte am Wegrand aber immer Jasters Paradigma auf. So geriet die zweite Hälfte des Vortrags zu einer Werbeveranstaltung für /11
die GAP und vor allem für das Portal @PhilPublica, für das Jaster dann auch immer wieder mit einem irritierenden „Wir“ sprach. Schon wieder ein „Wir“. – Ich habe, wie gesagt, nur den Anfang der Diskussion mitbekommen. Aber dort stellte ein Studierender eine interessante /12
Frage: Wie geht @PhilPublica eigentlich mit den Philosoph:innen um, die keine Stelle im dysfunktionalen Wiss.System bekommen haben und sich anderweitig finanzieren müssen? Die erhellende Antwort von @romyjaster „So wie man mit Graubereichen eben umgeht“ – man schaue sich an, /13
ob die Person in letzter Zeit relevante Veröffentlichungen vorzuweisen hat, dann käme sie auch vor. Kombiniert mit dem eilfertigen Verweis auf den Artikel einer befreundeten – und anwesenden – Philosophin machte so @romyjaster selbst die Gatekeeper-Funktion von @PhilPublica /14
deutlich: Nicht das philosophische Argument zählt, auch nicht die wissenschaftliche Arbeit, die man bereits geleistet hat – sondern ob für die Redaktion bei @PhilPublica etwas als relevanter Beitrag zu IHREM Verständnis von Philosophie vorkommt. Man muss sich Augen und Ohren /15
zuhalten, um das nicht als das zu erkennen, was das ist: der Versuch, nach der Durchsetzung der Analytischen Philosophie als bestimmendes Paradigma an den meisten Universitäten diesen Anspruch noch selbstbewusster durchzusetzen: Analytische Philosophie IST akademische /16
Philosophie, zumindest in der Öffentlichkeit. @PhilPublica ist das Mittel, um im Zweifelsfall dort auszusieben, wo ein Beitrag diesem Kriterium aus Sicht der Redaktion nicht gerecht wird. Die GAP als Vorreiterin der „Wissenschaftskommunikation“ „der“ akademischen Philosophie /17
– das sind Ansprüche, die nicht unhinterfragt bleiben dürfen. Philosophie ist wesentlich vielfältiger und wesentlich anders gestrickt, als @romyjaster es sich denkt. Wer nur das Eigene kennt, sollte sparsam mit Ansprüchen umgehen. Sonst findet man nicht mehr heraus. /18

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18 Dec
Viele Philosoph:innen aus der „analytischen“ Ecke der Philosophie argumentieren mit gegenwärtigen Autor:innen, weil sie implizit davon ausgehen, dass „gegenwärtig“ so viel bedeutet wie „state of the art“. Abgesichert wird diese steile These mit Peer-Review-Verfahren in Journals.
Was aber, wenn der Horizont der Gutachter:innen derselbe ist wie der der Autor:innen? Dann bewegt sich das gesamte Peer-Review in einer sich selbst verstärkenden Confirmation Bias. Beiträge über Philosoph:innen außerhalb des eigenen Paradigmas werden ausgeblendet.
Historische Positionen werden am eigenen Paradigma gemessen – und für irrelevant erachtet, wenn sie ihm nicht entsprechen. Man lädt nur noch die eigenen Leute ein und historisiert sie noch zu Lebzeiten mit Hunderttausenden „Standardwerken“ und Etikettierungen.
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18 Dec
Wer erklärt Frau Schneider, dass ihre libertäre Freiheitsauffassung (nicht: „Freiheit“) nicht nur regressiv und strukturell selbstwidersprüchlich ist („logisch absurd“), sondern auch – von Kallikles bis Rand – das ‚Recht des Stärkeren‘ legitimiert?
‚Freiheit‘ ist – wie ‚Wahrheit‘ – ein vieldeutiger Begriff. Das hat mit der Doppelfunktion der Negation zu tun: eine Negation bzw. Differenz kann „von … her“ und „von … weg“ ebenso ausdrücken wie „auf … hin“, „können von …“, „auf … zu“ oder „mehr als …“.
Als Prinzipienfigur wird sie in der Philosophie seit der Antike diskutiert – wer meint, einen ‚Liberalismus‘ zu vertreten, der sich auf den Begriff der ‚Freiheit‘ beruft, sollte diese Diskussion und ihre vielfältigen Freiheitsbegriffe kennen.
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17 Dec
Lustig. Die „Déformation professionnelle“ heißt ja so, weil man sie aus der Innensicht nicht wahrnehmen kann. Mir wäre z. B. nie in den Sinn gekommen, „Prinzipienforschung“ so zu verstehen, dass man sich auf die Suche nach Prinzipien macht.
Vielleicht muss ich das kurz erklären: Die Philosophie setzt sich geradewegs aus prinzipiellen Überlegungen zusammen – positiven (die ein bestimmtes Prinzip oder mehrere behaupten) wie negativen (die prinzipiell feststellen, dass es kein Prinzip gibt).
Arché, Ursprung, das Sein, das Eine, das Verschiedene, das sich selbst denkende Denken, das Absolute, Gott, das transzendentale Ich, die Einbildungskraft, der Urgrund, das Unbewusste, das Atom, Energie, das Gefühl, das Unsagbare, der reine Akt, das sich Entziehende…
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12 Dec
Philosophische Prinzipien nach Nicolas Rescher:

1. Nimm niemals eine methodologische Haltung ein, die systematisch die Entdeckung einer bestimmten Tatsache verhindert, die sich als wahr erweisen könnte
2. Einer positiven Behauptung steht immer eine korrelierte negative zur Seite. Um etwas … zu charakterisieren, muss es von dem unterschieden werden, auf welches diese Charakterisierung nicht anwendbar ist.
3. Alles, was sinnvoll zum Gegenstand einer Erörterung gemacht werden kann, muss identifizierbar sein … es muss in einer Weise spezifiziert werden, die es von allem Übrigen unterscheidet.
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11 Dec
So kann man es machen: sich auf Flasspöhler konzentrieren und Precht ignorieren. Das Negative betreffend ist das eine sachlich treffende Besprechung – aber sie gleitet dann doch allzu sehr ab, ohne die Punkte Flasspöhlers stark zu machen und sie erst dann zu kritisieren.
In der Tat ist der Vulgärnietzscheanismus ein Problem, das ist gut beobachtet; ebenso die wenig reflektierte privilegierte Position, aus der gesprochen wird. Gut auch, dass Gespräch und Buch verklammert werden und das provokante Juden vs. Täterautoren als billig entlarvt wird.
Darin liegt das eigentliche Ärgernis: Freud und Levinas so zu verhunzen und ihnen ein unterkomplexes und ungebrochenes Bild von Nietzsche entgegenzuhalten. Der Gedanke dahinter leuchtet ein – aber die Umsetzung ist grauenvoll. Als würde man ein Holzmodell, an dem man mehrere
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31 Oct
Das ist eine Überlegung, die immer wieder an mich herangetragen wird: ich solle doch bitte meinen „Kommunikationsstil“ ändern, wenn ich wolle, dass meine „Anliegen“ freundlicher, produktiver, mit besserer „Resonanz“ aufgenommen werden sollen. Dazu einige klärende Worte: 🧵 ⬇️ /1
Schon das Wörtchen „Stil“ weist auf eine Wahrnehmung von Diskussion hin, die problematisch ist. „Stil“ ist ein ästhetischer Begriff – seine Beurteilung obliegt dem Geschmack. Diese Einordnung des WIE eines Diskussionsverhaltens ist grundsätzlich sekundär. Das hat damit zu tun, /2
dass wir die Operationen unseres Redehandelns meistens nur implizit wahrnehmen, wenn überhaupt. Wir konzentrieren uns auf den „Inhalt“ – oder auf das, was wir dafür halten. So sind dann auch die immer wieder vorgebrachten Forderungen zu verstehen, ich möge mich doch auf den /3
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