Das ist eine Überlegung, die immer wieder an mich herangetragen wird: ich solle doch bitte meinen „Kommunikationsstil“ ändern, wenn ich wolle, dass meine „Anliegen“ freundlicher, produktiver, mit besserer „Resonanz“ aufgenommen werden sollen. Dazu einige klärende Worte: 🧵 ⬇️ /1
Schon das Wörtchen „Stil“ weist auf eine Wahrnehmung von Diskussion hin, die problematisch ist. „Stil“ ist ein ästhetischer Begriff – seine Beurteilung obliegt dem Geschmack. Diese Einordnung des WIE eines Diskussionsverhaltens ist grundsätzlich sekundär. Das hat damit zu tun, /2
dass wir die Operationen unseres Redehandelns meistens nur implizit wahrnehmen, wenn überhaupt. Wir konzentrieren uns auf den „Inhalt“ – oder auf das, was wir dafür halten. So sind dann auch die immer wieder vorgebrachten Forderungen zu verstehen, ich möge mich doch auf den /3
„Inhalt“ beziehen. Das, was wir im Redehandeln TUN, verschwindet in einer ungefähren Wahrnehmung, die wir mit ebenso ungefähren Begriffen wie „Form“ oder eben „Stil“ umschreiben. Weil beide auch einen normativen Sinn haben – man SOLL sich SO und SO äußern, um eine bestimmte /4
„Form“ oder einen bestimmten „Stil“ zu erreichen –, sind sie leicht verknüpfbar mit moralisch aufgeladenen Forderungen, die eigentlich Erwartungshaltungen an ein Gespräch sind. Entsprechend leicht kann man dann das Abweichen von dieser Erwartungshaltung verallgemeinert als /5
„Unhöflichkeit“, „Unfreundlichkeit“ oder auch als „Arroganz“ oder „Überheblichkeit“ deuten – der Andere verweigert einem ja die Normbestätigung, die man selbst an ein Gespräch knüpft. Wie man hier leicht sehen kann, ermöglicht die Vagheit von „Form“ und „Stil“ eine stille /6
Verschiebung der Kriterien: Weg von der Beurteilung des WIE des Geäußerten, hin zur Unterstellung eines WIE der Motivation des / der Äußernden. – Nun sind solche Unterstellungen im Alltag oftmals kein Problem, im Gegenteil: meistens funktionieren sie sehr gut. Das ist /7
besonders dann der Fall, wenn Positionen in „inhaltlich“ noch so konflikthafte Auseinandersetzungen sich im Stillen einander versichern: Ich tu, was Du tust. Natürlich kann man aber die Vagheit von „Form“ oder „Stil“ o. Ä. auch benutzen, um allerlei rhetorische Winkelzüge /8
unterzubringen. Hier kommt mein „Verhalten“ ins Spiel.

In den sozialen Netzwerken trete ich, als Philosoph, oft (nicht immer) in einer besonderen Rolle auf: ich vertrete eine mögliche Position im Gespräch. Diese mögliche Position orientiert sich ausschließlich (!) an der /9
Frage: „Ist das, was geäußert wird, argumentativ überzeugend?“ Anders als andere hier, die diese mögliche Position nur erklären – ich mache das auch, aber nicht nur –, VOLLZIEHE ich sie. Was ich vertrete, vertrete ich performativ. – Das bringt es natürlich mit sich, dass ich /10
ständig in Situationen gerate, in denen mein Vorgehen nach der eben beschriebenen impliziten Wahrnehmung des WIE, oft mit Unterstellungen, beurteilt wird. Das ist – so darf ich sagen – Absicht. Denn jede dieser Konfrontationen ist zugleich möglicher Gegenstand einer Analyse /11
ihrer argumentativen Funktion. Sie ist zugleich für den, der irritiert auf sie reagiert, eine Möglichkeit, etwas über sie und etwas über die eigenen Redeeinsätze zu lernen. Weil meine Position Inhalt und Operation (das WIE und WODURCH) nicht trennt, sondern aufeinander /12
sind Irritation und ein gewisses Maß an Konflikt unvermeidbar. Natürlich könnte ich auch „verbindlicher“ vorgehen – und ich mache das ja auch oft. Aber wenn es darum geht, zu zeigen, was ich zeigen will, kann ich mich nicht einfach aufs Erklären verlassen. Lustigerweise /13
deswegen nicht, weil ich mich ja so über mein Gegenüber stelle. Daher sind selbst noch die Texte von mir, auf die ich oft verweise, als ARGUMENTE angelegt, denen man widersprechen kann. Verbindlichkeit hat eine Rückseite, die Manipulation und Täuschung ermöglicht. Wenn es /14
einem also darum geht, in dieser performativen Vorgehensweise außerdem eine Kritik von Manipulation und Täuschung anzubieten, kann ich sie schlecht selbst einsetzen. Natürlich unterstellt man mir das laufend – aber selbst das hat den didaktischen Effekt, dass der Behauptende /15
das dann eben zeigen und begründen muss – selbst Abweichungen von meiner beschriebenen Rolle, die oft hämisch – aber falsch – als Angriffsfläche wahrgenommen werden (weil man mir wegen meiner durchaus konsequenten Art Absolutheit unterstellt), geben so Gelegenheiten, etwas zu /16
lernen. Mich interessiert dabei in den sozialen Netzwerken vor allem wie das, was die Philosophie unter den Titeln ‚eristische‘ oder ‚sophistische Rhetorik‘ kennt, heutzutage in Kontexten der Intervention und Provokation (Trolling, Ideologie, Spinning usw.) eingesetzt wird. /17
Es ist leicht zu erkennen, dass das hier immer wieder die Themen sind, auf die ich zurückkomme. – Warum bin ich also nicht „verbindlicher“, wenn ich diese Rolle einnehme? Weil es a) zu einem Widerspruch mit meiner Position führt (auch wenn das Kontrafaktische wirkt); weil es /18
b) oft bedeuten würde, genau die Praxis zu unterstützen, die ich kritisiere (womit ich mir selbst den Weg verbaue); weil ich c) der Ansicht bin, dass auch Präzision, Sachlichkeit und Konsequenz ihren Ort haben, gerade dann, wenn das Verbindliche in Krisen gerät; weil ich /19
d) Lehre in dieser Hinsicht exemplarisch, nicht pädagogisch begreife: ich gebe selbst ein zugespitztes Beispiel, aus dem man lernen kann – oder dem man unterliegt, indem man es bekämpft und ihm laufend neue Beispiele schenkt. Es gibt auch ein Drittes, das eher selten ist: /20
eine selbst argumentativ konsequente Auseinandersetzung mit meiner Position. Sie ist für mich der größte Gewinn – weil ich selbst aus ihr am meisten gelernt habe und lernen kann. /21
*bezieht

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