Ich übersetze diesen wirklich ausgezeichneten Thread des eines Direktors des Europäischen Bioinformatik- und Molekularbiologieinstituts:
"Omikron-Gedanken aus dem dunklen Weihnachtslondon.
Zusammenfassung: Europe+Welt erwartet ein Omikron-Sturm der zunehmend schlimm aussieht 1/
"Trotz ernsthafter Maßnahmen im UK: diese Virus repliziert schnell. Mehr Maßnahmen sind wahrscheinlich notwendig."
"Kontext: Ich [Ewan Birney] bin ein Experte in Humangenetik und Computational Biology. 2/
"I kenne Experten in Infektionsepidemiologie, Virusgenomik, Immunologie und klinischen Versuchen.
Ich habe einige Interessenskonflikte: bin Berater und Anteilseigner von @nanopore und war Proband im Astra-Zeneca-Trial. 3/
"Zur Erinnerung: SARS-CoV-2 ist ein kürzlich auf den Menschen übergesprungenes Coronavirus, das bei einem Teil der Menschen eine sehr schlimme Krankheit, COVID, verursacht. Das Virus ist in den letzten zwei Jahren über die ganze Welt geschwappt. 4/
"Es wurde durch Lockdowns und dann auch durch Impfungen bekämpft, hat aber vielerorts zu Tod und Krankheit geführt.
Das SARS-CoV-2-Virus hat sich zu seiner ersten "Antigen-Drift"-Variante evolviert - Omikron. 5/
Diese Evolution ist eine gewöhnliche Art und Weise, wie Coronaviren kontinuierlich in Populationen zirkulieren, indem sie genügend Veränderungen in ihrem Spike-Protein entwickeln, um anders auszusehen. 6/
Omicron wurde erstmals in Südafrika beschrieben, das bisher am weitesten in der Omicron-Welle fortgeschritten ist.
Es wäre schrecklich gewesen, wenn in Südafrika viele Menschen gestorben wären oder im Krankenhaus gelegen hätten. 7/
Aber glücklicherweise sieht es so aus, als sei die Welle in Südafrika weniger zerstörerisch als die vorherige Delta-Welle.
"Diese Erfahrung muss jedoch nicht mit der in Europa übereinstimmen. 8/
Die europ. Bevölkerung ist älter und es gab weitaus weniger frühere Infektionen (aufgrund von Lockdowns und Impfungen). Das bedeutet, dass man die Erfahrungen in SA nicht eins zu eins auf Europa übertragen kann (jedes Land hat seine eigene Mischung) 9/
UK und Dänemark [und auch Deutschland, Anm. d. Ü.] wurden, vermutlich zusammen mit dem Rest Europas, vor etwa 3 Wochen mit Omicron gesät (die Zeitskala ist *so kurz*) 10/
Wahrscheinlich aufgrund der Tatsache, dass sich beide Länder auf die Impfung verlassen, hat sich Omicron an beiden Orten schnell etabliert.
An beiden Orten lag die [relative] Verdopplungsrate von Omicron in der Größenordnung von 2 bis 3 Tagen. 11/
Das bedeutet ein [5-10]-fache Steigerung pro Woche - und eine *25-128*-Verfachung alle 2 Wochen. Die Diagramme sind irrsinnig und gruselig. Ich vermute, dass überall SARS-CoV-2-Inzidenzkurven im Laufe dieses Monats einen "Hockeyschläger" bilden werden. 12/
Bei diesem Tempo sind Verzögerungen von Tagen (oder [mehreren] Wochen in einigen Ländern für einige Datenbestände) zwischen Abstrich, Test, Test/Sequenzierung für Omikron, Datenfluss und Analyse bedeutsam. 13/
Zum Beispiel ist mir einfach nicht klar, wie hoch der Omicron-Anteil in Frankreich [oder Deutschland] ist.
"Erfreulicherweise und vor allem aufgrund des prompten Datenflusses aus dem UK können wir ziemlich sicher sein, ... 14/
dass 3 Dosen (3x mRNA oder 2x Adeno [Astra/Johnson] + 1x mRNA) die Symptome stark reduzieren und höchstwahrscheinlich wirklich eine schwere Krankheit unterbinden, d. h., Booster wirken. Boost-Baby-Boost. 15/
Infektionen sind eine Sache, aber was die Entscheidungsträger wissen wollen, sind Hospitalisierungen; auch hier ist die Zeitspanne zwischen der Wahrnehmung veränderter Infektionsmuster bis zur Reaktion darauf wahrscheinlich zu kurz, ... 16/
um auf der sicheren Seite zu sein; man muss Entscheidungen auf der Grundlage von weit weniger Daten treffen, als man es sich wünschen würde.
"Es lohnt sich, auf das Offensichtliche hinzuweisen. Das Virus ist nicht empfindungsfähig (duh!); 17/
Die jüngste (heutige) Veröffentlichung der angesehenen britischen SPI-M-Gruppe [UK-Modellierungsexpertenrat] ist ziemlich eindeutig, was die Risiken im UK betrifft. (assets.publishing.service.gov.uk/government/upl…) 18/
Damit die kommende Welle ohne Intervention bei oder unter 1-2T Krankenhauseinweisungen pro Tag bleibt, sind eine geringe Immunflucht und ein sehr hoher Schutz durch Booster erforderlich, um mit der geschätzten Omicron-Wachstumsrate vereinbar zu sein >> 19/
[vernünftige Modellierungsannahmen] für den Wachstumsvorteil haben im Allgemeinen ein Minimum von 5.000 Krankenhauseinweisungen pro Tag in der Spitze zur Folge, wobei viele Szenarien in den ersten Monaten des Jahres 2022 deutlich schlechter ausfallen. 20/
"Um eine ähnliche Welle von Krankenhauseinweisungen wie im Frühjahr 2020 und Januar 2021 zu verhindern, ohne dass das Wachstum durch Interventionen gebremst werden muss, müsste der Schweregrad von Omicron zwischen 10 und 30% dessen von Delta liegen." 21/
Dies ist ein kleiner Parameterraum für das UK, um "ok" zu sein (für eine Definition von "ok"), und es ist wichtig, dass es zu dem Zeitpunkt, an dem wir gute Beweise für den Schweregrad von Omicron haben, wahrscheinlich schon zu spät ist, um zu reagieren. 22/
Die Zahlen aus SA sind nützlich, aber nicht das UK/Europa-Szenario.
Außerdem verursacht eine wirklich große Infektionswelle unglaubliche Komplikationen im Gesundheitswesen (z. B. Belegungspläne, Umgang mit infiziertem Gesundheitspersonal)... 23/
..., auch wenn sie theoretisch in Ordnung ist, und de facto zu Schließungen im Gastgewerbe führt (aus Gründen des Personals, aus Angst der Kunden). 24/
Andere Länder, in denen viele ältere Menschen geimpft werden und in denen früh eine Boosterkampagne durchgeführt wird - z. B. Dänemark, Portugal und Irland - dürften sich in einer ähnlichen Lage befinden wie das UK. 25/
Länder mit geringerer Impfrate, insbesondere bei Älteren, wie z. B. in einigen Teilen Deutschlands (z. B. Sachsen) haben wahrscheinlich noch geringere Margen. 26/
Die Situation in Osteuropa ist mit einer höheren Anzahl von Vorinfektionen, aber weniger Impfungen schwieriger vorherzusagen - hier müsste man eine Modellierung vornehmen, und auch hier kann man viele Parameter nur raten. 27/
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Westeuropa diese Welle ohne ein gewisses Maß an Lockdowns überstehen wird, vielleicht Circuit Breaker, die den Druck auf das Gesundheitswesen mindern,... 28/
... Booster-Kampagnen fortschreiten lassen und einige Maßnahmen in Platz lassen um die Omicron-Welle zu überstehen.
Für Länder mit einer großen Zahl von Impfskeptikern wird es weitaus schwieriger sein. 29/
Wahrscheinlich ist eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche erforderlich (ich persönlich bin der Meinung, dass man sich zu sehr auf die Peitsche konzentriert hat - Pflichten, Geldstrafen usw.; die Impfbelohnung der Slowakei kehrt dies um). 30/
Wenn wir über Omicron hinausblicken - was im Moment schwierig ist -, werden wir uns regelmäßig mit dem Antigendrift dieses Virus auseinandersetzen müssen (wie wir es, ohne es zu wissen, bei den anderen vier endemischen Coronaviren tun). 31/
Dieser Grad der Disruption ist ... nicht dauerhaft haltbar, so dass wir alles besser machen müssen.
Infektionsrunden werden zweifellos helfen; ich denke jedoch, dass wir uns bei COVID, ... 32/
... einer CFS-ähnlichen, durch Viren ausgelösten Autoimmunerkrankung, in gewissem Maße auf die (unangemessene) Reaktion des Wirts konzentrieren müssen, d.h. die Krankheit und nicht die Infektion bekämpfen müssen. Bis zu neuen Medikamenten ist es allerdings ein langer Weg. 33/
In der Zwischenzeit müssen wir die Omicron-Welle überstehen. Denken Sie daran, gütig zu sich selbst, Ihrer Familie, Ihren Freunden und Fremden zu sein - in Ihrer Nähe und weltweit.
34/
Das bringt die Menschen durch diese Sache, und wir müssen widerstandsfähig und fürsorglich zu allen sein. 35/

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More from @CorneliusRoemer

16 Dec
Welchen Anteil an allen Fällen hat Omikron in Deutschland momentan?
In KW48 (29.11.-5.12.) war der Anteil in der repräsentativen Stichprobe 0,6% [0,3%-1%] (KI meine Schätzung)
Bei einer Anteils-Verdopplungszeit von 2,0-2,3 Tagen ist der Anteil diese Woche (KW50) bei 35% [17%-56%]
Diese Rechnung zeigt genau das Problem der deutschen Surveillance: man verlässt sich komplett auf die wichtige und gute aber ziemlich langsame Vollgenomsequenzierung.
Varianten-PCR wird nur mancherorts gemacht und nicht wirklich systematisch zusammengetragen wie in 🏴󠁧󠁢󠁥󠁮󠁧󠁿🏴󠁧󠁢󠁳󠁣󠁴󠁿🇩🇰🇧🇪
Leider verstehen viele nicht, dass die Zahlen die sie vom RKI bekommen effektiv 2 Wochen alt sind und das bei einer Verdopplungszeit von 2 Tagen bedeutet, dass man sich um Faktor 2^7=128 in Sicherheit wiegt.
Das scheint sogar manche Experten zu treffen.
tagesschau.de/inland/rki-cor…
Read 5 tweets
10 Dec
Omikron ist in Deutschland bereits überall verbreitet.
67 Sequenzen mit Datum 23.11. bis 3.12. sind von deutschen Laboren auf GISAID hochgeladen worden.
Es ist nicht nur ein Cluster, es sind mindestens ein Dutzend unabhängige Eintragungen. 1/
auspice.us/?c=division&f_…
7 mal wurde Omikron in der KW 47 (bis 28.11.) im Rahmen der repräsentativen Stichprobe sequenziert.
Da dort nur 1,3% der Positiven sequenziert wurden heißt das, es könnten damals ca. 500 der insgesamt 400k Fälle Omicron gewesen sein -> ca. 1 in 1000
2/
Bei einer Verdopplungszeit von 3 Tagen, bedeutet das, momentan könnten in Deutschland bereits 2^4 = 16 * 1 in 1000 also etwa 2% Omikron sein.
Ein Vergleich mit Dänemark, England und Schottland zeigt: das ist plausibel. 3/
Read 8 tweets
9 Dec
Ganz schlechter Artikel @WDRaktuell
Nein, das ist keine "Sicherheitslücke", hier wurde nichts "aufgedeckt", das ist alles by Design.
Weil sich Zertifikate einfach kopieren lassen ist es so wichtig, dass IMMER die Identität per Ausweis überprüft wird.
www1.wdr.de/nachrichten/rh… Image
Fragt doch erstmal bei echten Experten nach wie @LilithWittmann @chaosupdates und schreibt keine reißerischen Artikel über Themen, die ihr nicht versteht.
Am Ende nutzen manche wegen eurer Falschinformationen nicht die CWA und es kostet Menschenleben. Verantwortungslos.
Schreibt ihr als nächstes darüber was für eine Sicherheitslücke es sei, dass man beim Alkohol kaufen seinen Ausweis zeigen muss?
Weil das Personal dann Geburtsdatum, Namen, Ausweisnummer etc. kennt?
Read 4 tweets
1 Dec
Ghana has uploaded 33 Omicron sequences with collection dates ranging from 21st to 26th of November.
All samples state "Non-sentinel-surveillance (quarantined traveler)" but do not list the country of origin.
Samples can be seen on a phylogenetic tree here nextstrain.org/groups/neherla…
New additions to GISAID are:
43x 🇿🇦 South Africa
33x 🇬🇭 Ghana
9x 🇬🇧 UK
2x 🇯🇵 Japan
1x 🇧🇪 Belgium
1x 🇮🇪 Ireland
nextstrain.org/groups/neherla…
An explanation of how this tree is generated and what it means can be found here:
Read 6 tweets
1 Dec
If you catch a sample with SGTF (in Europe), what's the probability it's Omicron?
A 🧵excursion into Bayesian statistics.
p(Omicron | SGTF) = p(SGTF | Omicron) * p(Omicron) / p(SGTF)
The first is easy:
p(SGTF | Omicron) ~ 1 (all Omicron shows SGTF)
p(Omicron) is really tricky to estimate and depends on the situation. If you test travellers from South Africa, it could be 10% or even higher (on the Dutch planes it was ~25%). In a random non-traveller, it's much lower - hard to guess how high exactly.
My wild guess for p(Omicron) in representative surveillance in Germany would be 1 in 10,000 to 1 in 1,000 (corresponding to 5-50 daily cases in Germany).
We need one more piece of information: p(SGTF | non-Omicron).
Let's ask @covSpectrum: cov-spectrum.ethz.ch/explore/Europe…
Read 8 tweets
29 Nov
Genetic diversity within #Omicron can give us clues about its age and growth rate.
Omicron's abundant spike mutations and deletions interfere with sequencing, sometimes leading to incomplete genomes.
As a result phylogenetic inference struggles, causing spurious diversity. 1/5
To explore diversity within Omicron while addressing these issues @richardneher and I built a tree ignoring
1. sites mutated with respect to reference in more than 90% of available Omicron sequences
2. homoplasic sites that often fall in dropout regions
nextstrain.org/groups/neherla… 2/
The resulting tree has one big polytomy and a small number of notable clades.
Most sequences are within one or two mutations of the main group.
Though masking might lead to underestimates of the diversity, the resulting tree suggests a recent common ancestor 1-2 months ago. 3/5
Read 7 tweets

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