"Wenn's dir nicht gefällt, mach neu!", sang einst Peter Fox. Und jetzt zum Jahreswechsel nehmen viele sich genau das vor: weg mit den schlechten Angewohnheiten, her mit dem guten Leben. Hier kommen (wie versprochen) ein paar praxistaugliche Strategien, wie das klappen kann.🧵 |1
2| In Teil 1 dieses Threads habe ich aus neurologischer und psychologischer Perspektive erklärt, warum es so schwer ist, alte Gewohnheiten zu ändern (unten verlinkt). Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Kriterien für gelungene Veränderungen ableiten.

3| Kurz: Der Ärger mit Gewohnheiten ist, dass es sich um automatisierte Lösungen für wiederkehrende Probleme handelt. Auf einen Impuls hin löst das Gehirn die gespeicherte Routine einfach und ungefragt aus. Das ist der "habit loop": Problem (bzw. Impuls), Routine, Belohnung (Q1).
4| Die effektivste Veränderungsmethode wäre, einfach den Impuls abzuschalten, der die ungeliebte Routine auslöst. Wenn das Problem (z.B. akutes Verlangen nach Erleichterung) wegfällt, brauchen Sie auch das Lösungsverhalten nicht (z.B. Wein). Leider geht das häufig einfach nicht.
5| Die Gewohnheit ersatzlos streichen, ist auch schwierig, weil diese ja ein wiederkehrendes Problem löst. Besser: die schlechte Gewohnheit durch eine gute mit ähnlicher Belohnung ersetzen. Im Beispiel: akute emotionale Erleichterung durch ein gutes Gespräch statt durch Wein.
6| Wie macht man das? Schritt 1: Introspektion. Sie kennen die schlechte Gewohnheit, jetzt müssen Sie Ihren "habit loop" verstehen. Was ist der auslösende Impuls? Was ist die Belohnung? Beobachten Sie Ihr Verhalten, machen und testen Sie Theorien. Was wäre ein besseres Verhalten?
7| Schritt 2: Damit die alte Gewohnheit wirklich ersetzt wird, müssen Sie das neue Verhalten automatisieren. Das gilt auch für ganz neue Gewohnheiten (z.B. Sport machen). Automatisierung ist der Kern erfolgreicher Veränderung. Am Anfang geht das nur durch bewusste Umsetzung.
8| Die zentrale Frage ist, wie bekommt man sich dazu, die gute Gewohnheit konsequent umzusetzen, bis sie automatisiert ist? Hier sind 5 empirisch gestützte Strategien dazu (Q2, Q3): 1. Plan verbindlich machen: aufschreiben, wann, wie oft, wie lange Sie das neue Verhalten ausüben.
9| 2. Hängen Sie die neue Gewohnheit an eine alte Gewohnheit an, die Sie sowieso zuverlässig ausüben. Beispiel: Immer wenn ich mir einen Kaffee mache (etablierte Gewohnheit), trinke ich ein Glas Wasser dazu (angehängte neue Gewohnheit). James Clear nennt das "habit stacking".
10| 3. Strukturieren Sie Ihre Umgebung im Voraus so, dass Sie, wenn es darauf ankommt, an Ihre neue Routine erinnert werden und keine Willenskraft oder Aufmerksamkeit brauchen. Am Wasser-Beispiel: Stellen Sie das Wasserglas von Anfang an unübersehbar auf/neben die Kaffeemaschine.
11| 4. Machen Sie Abweichungen vom Plan teuer. Besonders effektiv ist, wenn Sie gutes Verhalten an Ihre soziale Reputation knüpfen. Erzählen Sie Ihren Kindern, ihrem Partner, ihrer Chefin, wie Sie sich verändern werden. Wetten Sie mit ihren Freunden, am besten mit hohem Einsatz.
12| 5. Klein anfangen: Wenn Sie sich tägliche Rückengymnastik vornehmen, planen Sie nicht 30 Minuten, sondern 2 Minuten. Am Anfang geht es ja gar nicht um Ihren Rücken, sondern um die Automatisierung der Gewohnheit selbst. Je einfacher das Vorhaben, desto eher machen Sie es.
13| Und wie lange dauert es, bis neues Verhalten zur automatischen Gewohnheit wird? In einer Studie zu Ess- und Gesundheitsgewohnheiten brauchten Probanden zwischen 18 und 254 Tagen dafür, je nach Komplexität des Vorhabens. Besonders lang dauerte es bei Sportgewohnheiten (Q4).
14| All das macht hoffentlich zwei Dinge deutlich: 1. Veränderung ist wahrlich kein Selbstläufer. 2. Sie ist möglich, wenn man weiß, wie. Machen Sie einen verbindlichen Plan, machen Sie Erfolg einfach und Scheitern teuer und dann ziehen Sie es durch. Das gute Leben ist möglich.
15| Quellen:
Q1: ISBN: 978-3492304078
Q2: doi.org/10.1177/174569…
Q3: ISBN: 978-3442178582
Q4: doi.org/10.1002/ejsp.6…

Wenn Sie mehr lesen wollen, empfehle ich zum Einstieg Q3: James Clear, Atomic Habits (deutscher Titel: Die 1%-Methode).

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13 Dec
Dass Männer- und Frauenkörper so unterschiedlich sind, dass viele Sportarten der Fairness halber besser nach Geschlecht getrennt werden, sollte eigentlich unkontrovers sein. Ist es aber nicht, deshalb hier mal ein paar Daten zum (durchschnittlichen) männlichen Vorteil. |1
2| Besonders kontrovers: Transfrauen im Leistungssport. Welche Vorteile eines männlichen Körpers behält eine Person, die als Mann erwachsen geworden ist und dann dank Testosteronsuppression Zugang zu Frauenwettbewerben erhält? Auch hierzu ein paar Daten: sehr erhebliche Vorteile.
3| Ich bin natürlich nicht vom Fach. Ob es auch Daten gibt, die ganz andere Ergebnisse bieten, weiß ich nicht (gerne ein Hinweis), aber auf dieser Grundlage kann man eine Öffnung der Frauenwettbewerbe nur auf Basis von Testosteronsuppression nicht mit gutem Gewissen befürworten.
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20 Nov
Die EU plant die #Chatkontrolle, eine anlasslose, flächendeckende Überwachung elektronischer Kommunikation. Beim Nachdenken darüber kam mir die Frage in den Sinn: Was macht das eigentlich mit den Leuten, dieses ständige Sich-beobachtet-Fühlen? 🧵 zur psychologischen Forschung |1
2| Um es gleich vorwegzunehmen: Beobachtet werden ist keine Kleinigkeit, sondern ein profunder Eingriff in fundamentale kognitive Abläufe. Ich sehe mich selbst, schreibt Sartre, weil ich weiß, dass andere mich sehen. In den Augen der Anderen werden wir uns unserer Selbst bewusst.
3| Steckt man Leute in fMRI-Scanner, kann man diesen Effekt sichtbar machen. Unter Beobachtung werden für dieselbe Handlung andere Hirnregionen aktiviert, verstärkt z.B. Bereiche für soziale Kognition, motorische Kontrolle und die Neuorientierung von Aufmerksamkeit. Q1
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12 Nov
Dass Gene nicht bloß unsere Augenfarbe, sondern auch komplexe Aspekte des Lebens wie Bildungserfolg erheblich prägen, wissen wir längst aus Zwillingsstudien. Jetzt enthüllen wir langsam konkrete Genvariationen, die dafür verantwortlich sind. Was machen wir mit diesem Wissen? |1 Image
2| Die blauen Linien in der Grafik (Q1) stehen für die Erblichkeitsschätzungen einzelner Merkmale aus Zwillingsstudien. Orange steht für die Erblichkeit, die wir mit heutigem Wissen aus Genanalysen auf Bevölkerungsebene mit teils Millionen von Probanden (GWAS) errechnen können.
3| Beispiel: Zwillingsstudien suggerieren eine Erblichkeit von Bildungserfolg von ~40%. ~12% Erblichkeit können wir heute schon auf additive Effekte konkreter Genvarianten zurückführen. Vor ein paar Jahren waren es bloß ~2%. Dank immer größerer Samples wächst unser Wissen rasant.
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27 Oct
Alle Menschen haben Vorurteile. Ob wir wollen oder nicht, das Gehirn überträgt wahrgenommene Muster auf Menschen, bevor wir sie als Individuen erleben. Unklar ist, wie groß dieser Effekt in der Praxis ist. Eine schöne neue Studie über "erste Eindrücke" geht der Frage nach. |1
2| Im Fokus steht die Frage, wie viel eines ersten Eindrucks von Gruppenzugehörigkeiten (hier: nationale Herkunft als Proxy für Kultur) abhängt und wie viel von individuellen Faktoren der Beteiligten. Grundlage sind 2 Experimente mit 24.886 Bewertungen zu 13 einzelnen Merkmalen.
3| Hier das Resultat: Gerade einmal 3,2 % der Varianz wird von den Herkunftsvariablen erklärt, 29 % von Eigenheiten der Bewerter, 16 % von Eigenheiten der Bewerteten. Anders gesagt: Erste Eindrücke sind hier extrem individuell und hängen nur marginal von kultureller Herkunft ab.
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19 Oct
Schlafmangel, freiwillig und unfreiwillig, ist ein echtes Problem. Das ist Teil 2 meiner kleinen Werbekampagne für den Schlaf. Auch dieser Teil enthält wieder einen guten Grund und einen kleinen Tipp für guten Schlaf. Zum Einstieg aber eine Statistik: Schlafmangel und BIP (Q1) |1
2| Unser guter Grund heute: Schlafmangel macht dick. Mutmaßlich. Die Korrelation ist schon mal deutlich (Bild, Q2). In einer Metastudie war 1 verpasste Stunde Schlaf pro Nacht mit ca. 1,4 kg Zusatzgewicht assoziiert. Die Kausalität ist noch unklar, beide Richtungen sind möglich.
3| Studien haben aber schon einige Mechanismen identifiziert, wie Schlafmangel eine solche Gewichtszunahme auslösen könnte (Bild), darunter hormonale Veränderungen, die hungrig machen. Experimente ergeben: Wer weniger schläft, isst nicht nur mehr, sondern auch ungesünder (Q3).
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17 Oct
Der Mensch ist das vielleicht einzige Lebewesen auf dem Planeten, das freiwillig regelmäßig auf Schlaf verzichtet. Die Hälfte der Leute schläft 6h oder weniger pro Nacht (Q1). Jeder weiß (oder ahnt jedenfalls), dass das keine gute Idee ist. Ein bisschen Werbung für den Schlaf. |1 Image
2| Anders als sonst wird das hier kein langer Thread, sondern eine kleine Serie: immer ein guter Grund für mehr Schlaf und ein guter Tipp für besseren Schlaf. Kurz und knackig. Mal sehen, ob ich Ihnen etwas aus der Schlafforschung erzählen kann, das Sie noch nicht wissen.
3| Ein guter Grund für mehr Schlaf: Ein Experiment mit unausgeschlafenen Managern zeigt, dass müde Chefs ihre persönlichen Beziehungen im Team beschädigen, ohne diese Dynamik überhaupt zu bemerken. Sie sind emotionaler, konfrontativer und ungeduldiger (Q2).
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