Ich würde zu diesem Austausch (kudos @Hoellenaufsicht, wie immer on point) gerne etwas sagen:

"Wie kann eine Journalistin nur so schlecht informiert sein?" steht oft über und unter diesem Tweet - das ist zwar eine naheliegende, aber von einer falschen Prämisse ausgehende Frage.
Denn natürlich ist niemand, die oder der im weitesten Sinne im Medienbetrieb arbeitet, derart uninformiert oder intellektuell nicht in der Lage, die Zusammenhänge zu verstehen. Es ist eine Strategie, wie sie auch von Berufslügnern bei Propagandasendern wie RT angewendet wird.
Nach der steilen These folgt der Einspruch und dann wird nach Belegen verlangt. Ob diese erbracht werden oder nicht, spielt für die weitere Argumentation keine Rolle (darum: sehr gut @Hoellenaufsicht, darauf nicht einzusteigen).
Denn diese Belege gibt es seit Wochen von zahlreichen Stellen für alle zugänglich und verständlich. Aber der Kern von Faktenverdrehern ist natürlich nicht, der Wahrheit näher zu kommen, sondern sie im Gegenteil als eine von vielen Positionen erscheinen zu lassen.
Egal, wie renommiert oder oft zitiert die vorgelegte Quelle wäre, passiert dann in der Regel eines von drei Dinge:

1. Es wird eine (oft nicht qualifizierte) Quelle als Gegenbeweis erbracht. "Ja aber diese Handchirurgen / Astrophysiker sehen das ganz anders".
2. Es wird ein winziger Aspekt der Quelle herausgepickt, der oft nur vermeintlich) nicht dem Absolutheitsanspruch gerecht wird, mit dem Faktenverdreher den Leuten einen Strick drehen wollen. "AHA aber hier hat Herr Drosten 1994 mal gesagt, Grippe wäre nicht so dramatisch".
Dass Wissenschaft nicht nach Boulevard-Schlagzeilen funktioniert, sich natürlich permanent korrigiert und i.d.R. nur mit Wahrscheinlichkeiten operiert, kommt Leuten natürlich entgegen, deren gesamter Tiefgang zu einem Thema in einen Tweet passen muss.
Beispiele: "WIESO MÜSSEN WIR 1,5 METER ABSTAND HALTEN, WENN UNS DAS AM ENDE DOCH NICHT VOR DEM VIRUS SCHÜTZT?" "JEMAND HAT EINE MASKE GETRAGEN UND SICH ANGESTECKT? WARUM DANN MASKENPFLICHT?" "WENN DIE IMPFUNG NUR ZU 70% SCHÜTZT, IST SIE DANN NUTZLOS?"
Nochmal: Das ist keine Dummheit, das ist das Handwerkszeug von Berufslügnern, die genau wissen, was sie tun und das macht es ja so verwerflich und gefährlich, weil viele Menschen das eben nicht gänzlich nachvollziehen können und dadurch verunsichert werden.
3. Die Wissenschaft als Ganzes wird diskreditiert und ihr Wert in Zweifel gezogen. Ob "wir werden nun von einem Expertenrat regiert, der nicht gewählt ist und immer Recht hat" oder "man muss auch mal die normalen Leute (wie Til Schweiger) dazu hören, nicht nur Experten"
Auch hier wieder diese False Balance, die auch Böhmermann im Gespräch mit Di Lorenzo thematisiert hat. Wenn ich Parkett verlegen will, frage ich für ein differenziertes Bild nicht einen Eisverkäufer und einen Feuerwehrmann, sondern zwei Fachleute für Bodenbelag.
Auch das passiert, um "die Wissenschaft" als höchstens einen Akteur unter vielen zu framen, die gleichwertig neben den Schwurblern von #allesaufdentisch zum Diskurs beiträgt.
Darum, mein Votum: Nicht mit Leuten auf inhaltliche Diskussionen einsteigen, deren einziges Ziel es ist, inhaltliche Diskussionen zu verunmöglichen, weil sie damit ihr Geld verdienen. /Ende

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More from @Engel_Re

22 Dec
Das nächste Kapitel im FDP-Bestseller "Wie kommuniziere ich möglichst unehrlich zur Corona-Pandemie" - natürlich "LÖST" ein Lockdown das Problem der Pandemie nicht, aber er entlastet Gesundheitssystem + kritische Infrastruktur.
Mehrfach wurde nun bereits darauf hingewiesen, dass auch eine erfolgreiche Booster-Kampagne bei realistischen Impfzahlen mit der Omikron-Variante und 2G/3G nicht ausreichen wird. Die bestehende Impflücke ist viel zu groß dafür.
Wenn wir die absoluten Zahlen nicht nach unten bekommen, wird man sich früher oder später auch mit 70% verringerter Wahrscheinlichkeit anstecken.

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19 Oct
🖤 - out now!

@ebonyplusirony hat ein Buch geschrieben, das ab heute erhältlich ist, schaut mal: rowohlt.de/buch/jasmina-k….

Ich will aber noch etwas anderes sagen, denn selbst am Tag ihrer Buchveröffentlichung zeigt diese Frau uns allen, was das Wort "Haltung" überhaupt bedeutet.
Jasmina Kuhnke zeigt mittlerweile seit mehreren Jahren, was passiert, wenn man eben NICHT vor dem rechten Mob einknickt. Wenn man eben NICHT sagt "ach den Kampf kämpfe ich jetzt nicht", wenn man eben NICHT zurücksteckt - mit allen Konsequenzen.
Von Hass, Gewalt- und Morddrohungen über konkrete Gefahren für ihr Leben und daraufhin nötig gewordenen Umzügen bis zur Absage ihres heutigen Auftrittes auf der @Book_Fair, weil dort auch Rechtsradikale herumlaufen: Sie zeigt uns, was es heißt, den Weg zu Ende zu gehen.
Read 6 tweets
17 Oct
Wirklich niemand darf auch nur von einem einzigen Aspekt Story um Reichelt und Döpfner überrascht oder schockiert sein und wirklich NIEMAND sollte denken, dass das irgendetwas beim Axel Springer Verlag ändern wird.
Matthias Döpfner ist ein gefährlicher Ideologe und weitaus gefährlicher als Julian Reichelt, weil er 1. nicht so plump agiert und 2. viel mehr Geld & Macht besitzt.

Reichelt sein ausführendes Organ. Döpfner wird ihn niemals entlassen, wenn er nicht muss.

Selbst WENN (und das ist ein großes wenn) Reichelt nun wegen dieses Skandals gehen müsste, wird Döpfner jemand anderen finden, der die Arbeit exakt in seinem Sinne fortsetzt. Das ganze Unternehmen ist mit Leuten wie Reichelt besetzt, die Kultur genau darauf ausgerichtet.
Read 9 tweets
10 Oct
Die gleichen Leute, die uns die Korruptions- und Rassismusvorfälle des 27-jährigen MdBs Philipp Amthor als Jugendsünden verkaufen, spielen uns jetzt Empörung vor, weil @xsarahleee mit 13 (!) mal politisch inkorrekt geschimpft hat.

Und genau DAS ist Alltagssexismus und -rassismus
Wirklich, diese erbärmlichen Männeken, wenn sie es wenigstens cleverer anstellen oder besser verschleiern würden. Aber es ist einfach so offensichtlich und plump, wer kann und soll euch denn jemals ernst nehmen.
Aber es wirkt natürlich: Jede WoC überlegt sich zweimal und dreimal, ob sie sich in eine solche Öffentlichkeit begibt, die so offensichtlich mit zweierlei Maß misst. Und genau darum bin ich unendlich froh darüber, dass @xsarahleee genau da ist, wo sie ist.
Read 28 tweets
8 Oct
Was ich nach wie vor seltsam am Diskurs auf twitter dot com finde: Dass Nuancen und Zwischentöne nicht nur fehlen, sondern dass ihr Fehlen sogar gefordert und gefördert wird.

Aktuell am Beispiel von Armin Laschet, aber man kann das an zahlreichen Themen runterbeten:
Naürlich finde ich so gut wie alles falsch, was Armin Laschet politisch vorhat. Ich bin der festen Überzeugung, dass er als Kanzler sehr schlecht für das Land wäre. Gleichzeitig komme ich nicht umhin, dass der Mensch hinter dem Politzirkus mir leid tut.
Ich weiß, Mitleid ist nichts, was man in diesem Geschäft brauchen kann, aber ich persönlich empfinde keinerlei Freude daran, zu beobachten, was mit diesem Mann in den letzten Wochen passiert ist. Ähnlich ging es mir bei Nahles, bei Schulz, bei Steinbrück u.v.a.
Read 17 tweets
7 Oct
Was für eine bizarre Pressekonferenz von Armin #Laschet. Er verkündet seinen Rückzug, wird also vollends zur Lame Duck, aber die Union soll trotzdem weiter für Jamaikaverhandlungen offen bleiben? Wer solte die führen? Wer sollte dann Kanzler werden?
Ich frage mich wirklich aufrichtig: Wer heckt solche strategischen Geniestreiche aus? Wer sitzt da am Tisch und sagt: „Ja, so machen wir es, das ist der beste Weg nach vorne!“ Wer rät Armin Laschet als PV, der alles verloren hat, den Prozess für seine Nachfolge zu „moderieren“?
Selbst WENN (und das ist nahe an der Unmöglichkeit, denn Lindner liebt Laschet buchstäblich) FDP und Grüne jetzt sagten „Ok CDU, mit einem neuen PV machen wir es“ - wie wäre der legitimiert, wenn er sich gar nicht zur Wahl gestellt hat? Und wie sollte die CSU das mittragen?
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