Thread by @florianaigner

Ein wirklich grauenvoller Text, geschrieben vom Filmemacher Bert Ehgartner. Mit ihm diskutierte ich schon vor Jahren mal im Fernsehen über Impfungen. Damals hielt ich ihn noch für eher harmlos, doch das hier ist harter Tobak. Sehen wir uns das kurz an. 🧵brennstoff.com/artikel/corona…

Zu Beginn kann man ihm durchaus folgen: Ja, die Impfung wirkt gegen Omikron nicht mehr so gut. Ja, manche Wissenschaftler verwenden manchmal allzu reißerische Begriffe. Ja, es gibt Leute, die das Risiko einer Hospitalisierung überschätzen. (Klar, und andere unterschätzen es.)

Aber dann wird es übel: Menschen mit Vorerkrankungen verlangen, dass sie geschützt werden, beklagt sich Ehgartner. Na sowas aber auch!
Sie fordern sogar das Recht, einzukaufen oder ins Büro zu gehen, ohne in Lebensgefahr gebracht zu werden!
Wie findet Ehgartner das? Katastrophal!

Warum? "Wenn Menschen mit Vorerkrankungen von anderen etwas fordern, öffnet das die Tür zu eine Hygiene-Doktrin."
Wie schön! Das "slippery-slope"-Argument! Der UhuStick unter den Rhetoriktricks. Hat man immer in der Schublade, aber hält halt selten.

"Wenn an erster Stelle der Schutz der Schwachen (..) steht, so bedeutet dies, dass das Immunsystem der Mehrheit manipuliert werden muss."
Wow. In dieser Reinform findet man Sozialdarwinismus selten. Und Ehgartner scheint sich nicht einmal mehr dafür zu schämen.

In gewissem Sinn hat er ja sogar recht: Natürlich muss das Immunsystem der Mehrheit manipuliert werden - durch das Virus oder die Impfung. Das bleibt uns nicht erspart. Aber Ehgartner meint das natürlich als dunkle Bedrohung:

Jetzt gleitet er völlig ab und vergleicht die Impfung mit Tierfabriken: In der Landwirtschaft bekommen Kühe nämlich Antibiotika, und das ist böse und deswegen... ist die Impfung irgendwie auch böse?
Ok, und Pizza Hawaii ebenfalls? Dieser logische Sprung wäre nämlich ähnlich groß.

Es folgt ein Rant über "kranke Gedanken" und "vollständige Umformung" der Gesellschaft, bevor dann der pathetische Schlussteil kommt: "Raus aus der Isolation! Wenden wir uns dem zu, was ein gutes Leben ausmacht!"

Und da werde ich sauer. Ich verzichte nämlich seit 2 Jahren auf viel von dem, was gutes Leben ausmacht. Ich bin vorsichtig, lebe zurückgezogen, teste mich, bevor ich Leute treffe. Will ich das? Nein! Aber warum muss ich das? Wegen Leuten wie Ehgartner!

Wären alle impfbaren Leute geimpft, könnte ich die Sache längst vergessen. Klar bliebe ein Restrisiko, aber das würde ich in Kauf nehmen, wenn es keine Gefahr galoppierender COVID-Wellen mit Überlastung des Gesundheitssystems mehr gäbe. Leute wie Ehgartner verhindern das.

Der entscheidende Faktor in einer Pandemie ist der Reproduktionsfaktor. Und den bestimmen wir nicht individuell, sondern gemeinsam. Wenn Leute wie Ehgartner gegen Masken und Vorsichtsmaßnahmen wettern, steigt der Reproduktionsfaktor. Leute wie ich werden dadurch mitgeschädigt.

Und das wirklich Furchtbare an Ehgartner ist seine absolute Rücksichtslosigkeit. Wie er über Menschen mit Vorerkrankungen schreibt, ist entsetzlich. Was ist mit deren Recht auf "gutes Leben"? Das kommt im pathetischen Schlussabsatz nicht mehr vor. Sollen die einfach sterben?

Deshalb fällt es kaum noch auf, wenn er am Ende schreibt "wir befinden uns inmitten einer schweren Grippe-Epidemie". Nein. Es ist keine Grippe. Ich atme sorgsam durch. Er hat wirklich "Grippe" geschrieben. Nach 2 Jahren Pandemie.

Womit er beweist, weder moralisch noch logisch noch virologisch auch nur irgendetwas verstanden zu haben. Ok, null Punkte, kein weiterer Abzug mehr möglich.
"Das ist Wahnsinn" schreibt er am Ende. Ja, ist es.