Der Anruf kam nach Mitternacht und ich bin kurze Zeit später auf der Autobahn. Ein unbekannter Kollege aus der Notaufnahme: "Ein Notarzt bringt einen instabilen Patienten".
Warum ich? Ich habe gar keinen Dienst. Die diensthabenden Kollegen stehen im OP. Sie haben gebeten, dass
ich angerufen werde. Der Patient fällt unter mein Spezialgebiet.
Der Schneeregen hämmert gegen die Frontscheibe. Von dem Geräusch werde ich aus meinen Gedanken herausgeholt. Ein Blick auf das Tacho. Ich bin viel zu schnell unterwegs. Die Autobahn ist zwar leer, aber das Wetter
und die Strassenverhältnisse erlauben nicht diese Geschwindigkeit. Ich zwinge mich die Geschwindigkeit zu reduzieren.
Am Telefon habe ich geklärt, was los ist. Bereits die ersten Anweisungen gegeben. Der Patient soll eine Computertomographie (CT) bekommen. Bereits mit der
Intensivstation gesprochen und ein Bett organisiert. Irgendwas angezogen und aus dem Haus gestürmt. Nun klingelt erneut mein Telefon. Die Klinik. Die Durchwahl ist mir unbekannt. Der Radiologe möchte wissen, wie er das CT fahren soll - bzw. was ich genau sehen will. Ich erkläre
es. Seine Stimme ist voller Unsicherheit. "In weniger als 10 Minuten bin ich da. Wir können uns die Bilder gerne zusammen ansehen", sage ich.
"Oh, das wäre gut." Sagt er. "Ehrlich gesagt, habe ich sowas noch nie gesehen."
Inzwischen ist der Patient da. Vor mir. Instabil aber
besser als gedacht. Ohne zu merken habe ich wieder beschleunigt. Ich gehe im Kopf bereits die Optionen durch. Viele was-wäre-wenns. Stimmt die Diagnose der Notärztin? Wie wird er beisammen sein wenn ich da bin? Bin ich zu spät dran? Was machen wir wenn die Diagnose stimmt?
Die Lichter der Stadt tauchen vor mir auf. Tiefgarage. Maske auf. Treppen im Laufschritt. Als ich im CT ankomme, ist die Untersuchung gerade fertig. Ich bin gerade noch pünktlich.
Ich stelle mich vor und beuge mich mit über die Bildschirme. Die Diagnose lässt sich nicht sicher
stellen. Der Patient ist ängstlich. Er hat Luftnot. Aber er ist wach, ansprechbar. Halbwegs stabil. Erneut stelle ich mich vor. Währenddessen arbeitet mein Kopf. Die Müdigkeit ist weg. Die Uhrzeit merke ich nicht. Die Konzentration ist da. Versuche den Patienten zu beruhigen.
"Wir machen ein Echo. Ist das Labor schon weg?" "Die Notaufnahme hat schon Blut abgenommen." "Bitte meldet noch paar Sachen nach."
"Könnt ihr ihn auf die ITS bringen? Ich hole Ausrüstung und komme dahin." Erneut laufe ich los.
Es sind zum Glück sehr nette und kompetente Kollegen auf der ITS. Trotz der späten Uhrzeit werde ich beinah fröhlich empfangen. Ich erkläre meine Gedanken. Sie stellen Fragen. Der Patient bedankt sich bei uns für unseren Einsatz. Echo. Labor. Inzwischen ist gefühlt eine halbe
Ewigkeit vergangen. Tief in meinem Inneren bin ich dankbar, dass der Patient stabil genug für Diagnostik ist. Er lässt uns Zeit gut zu Zielen. Dennoch ist die Entscheidung nicht eindeutig. Wir stehen vor dem Bett und schauen auf alles was wir haben. CT, Echo, Labor. Ich bin mir
recht sicher. Aber eindeutig ist die Diagnose nicht. Zumindest nicht 100%. Die einzige Therapie ist potentiell Lebensgefährlich. Das Risiko ist in der speziellen Konstellation besonders hoch. Der Patient kennt die Situation sogar. Er hat Angst. Richtig Angst. Er würde sich lieber
unters Messer legen als die Therapie, sagt er. Leider kann ich das Problem nicht mit einem Messer lösen. Operieren ist keine Option. Wir - ehrlich gesagt ich - entscheide mich für die Therapie. Ich übernehme die Verantwortung. Bespreche das mit dem Patienten während die Kollegen
alles vorbereiten. Versuche ihm seine Angst zu nehmen. Er versteht es. Hat dennoch Angst. Über Indikation, fehlende Alternativen, Durchführung und Risiko kläre ich auf. Dann geht es los. Die Therapie wird die Nacht über dauern. Ich habe keinen Dienst. Der Patient ist in besten
Händen auf der Station. So verabschiede ich mich. Deutlich langsamer als vorhin kehre ich zu meinem Auto zurück. Auf den Treppen schaue ich auf die Uhrzeit. Inzwischen ist es fast 3 Uhr. Die Nacht ist fast herum. Ich merke wie müde ich bin. Im Geit und körperlich. Langsam fahre
ich durch die Nacht nach Hause. Die Sicht ist schlecht. Es ist glatt. Ich bin müde. Meine Gedanken sind in der Klinik bei dem jungen Mann. War meine Entscheidung richtig? Zweifel nagen an mir. Wird er Komplikationen der Therapie entwickeln? Wird er morgen früh - also in paar
Stunden noch leben? Als ich nach Hause komme ist das Haus nachwievor still. Die Familie schläft. Ich schleiche mich ins Bett. Schaue auf mein Telefon. Keine Nachrichten. Ist das eine Gute Nachricht? Trotz der kreisenden Gedanken übermannt mich der Schlaf.
Ich schrecke auf. Das
Telefon hat gepiept. Eine kurze Nachricht von der Kollegin. Es hat alles super funktioniert. Das Problem ist gelöst. Der Patient hat alles überstanden. Ihre Schicht ist zu Ende. Sie wollte mir nur noch die guten Nachrichten zukommen lassen. Ich lege mich wieder hin. Tja... der
Samstag ist hin, denke ich. Die Nacht kaum geschlafen. Von der geplanten Familienzeit wird wieder ein Teil hin sein, da ich zu müde, zu ungeduldig und gereizt sein werde. Der Tribut für Schlafentzug. Aber ich will auf jeden Fall mit den Kids frühstücken. Ich habe sie seit 3 Tagen
nicht gesehen. Der einzige Trost: Der Patient hat es gut überstanden...
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vielen Dank für deinen Text. Wir kennen alle die Beispiele, die du und einige wie @Chrissip81, @Flying__Doc, @drluebbers erleben nur zu gut. Ich bewundere Euer Durchhaltevermögen und Mut nicht aufzugeben. Ich werde weiterhin anonym bleiben und natürlich weiter
machen. Wenn man für Aufklärung und Alltagsgeschichten Hass abbekommt, sollte man nicht schweigen. Denn diese laute Minderheit soll wissen, dass man uns nicht durch Aggression zum Schweigen bringen wird.
Während viele Zeitungen und Fernsehsender direkt nach Interviews fragen,
finde ich die Haltung der @welt mal wieder erstaunlich. Klar - Axel Springer Verlag. Man erwartet nicht all zu viel aber kann dennoch enttäuscht werden.
Ach ja: Ich gebe keine Interviews unter Klarnamen. Das wissen auch die Journalist:innen, die mit mir Kontakt haben und
Ich breche nun zwei meiner Twitter regeln. Ich erzähle keine aktuellen Ereignisse aus der Klinik und werde nicht konkret, damit ich meine Anonymität wahren kann.
Es gibt aber Gründe, die am Ende klar werden.
Morgens habe ich erfahren, dass die Kollegen des letzten Tages die ganze
Nacht durchoperiert haben und noch am OP Tisch stehen und ich eine Ablösung organisieren soll. Drei Leute wollen nach Hause, drei Kollegen sind zusätzlich krank. Es sitzt eine ziemlich kleine Gruppe in der Frühbesprechung. Ich gehe selber in den Saal und löse die Kollegen mit
einem frischen Team ab. Ich erfahre bei der Übergabe dass dieser Patient aus einer anderen Uniklinik zu uns verlegt wurde, weil diese Klinik auf absehbare Zeit kein Intensivbett bekommen hätte, um ihn zu versorgen. D.h. der Patient wurde in akuter Lebensgefahr über 1h von der
Achtung ein Rant.
Zu Beginn der Pandemie haben wir uns in die vorderste Linie gestellt und dabei hatten wir die Hosen voll. Gestandene Intensivmediziner hatten Angst, da wir unseren Gegner nicht kannten. Berichte über massenhaft sterbende Kolleg:innen aus anderen Ländern,
fehlende Schutzausrüstung, kaum Tests, Desinfektionsmittelmangel, keine wissenschaftlichen Erkenntnisse... was haben wir gemacht? Wir haben unser Leben riskiert um eures zu schützen. Ihr habt geklatscht, wir haben geschwitzt.
Zwischen den Wellen haben wir gewarnt, gebettelt,
gehofft, geprädigt, erklärt - um zu sagen: Die Pandemie ist nicht vorüber.
Was ihr- und damit meine ich Journalisten wie @MatthiasMeisner, damit meine ich die ignoraten Politiker aller Parteien, damit meine ich die Zuschauern gestern in Köln, damit meine ich die Impfverweigerer
Hin und wieder kommt die Frage auf: "Müssen wir als medizinisches Personal Ungeimpfte behandeln? Die sind ja selber Schuld."
Diese Frage macht eine Tür auf, durch die wir nicht gehen dürfen. Wir sind dafür da um festzustellen, wer eine Behandlung braucht und nicht wer
eine Behandlung verdient. Wenn wir so anfangen zu denken, müssen wir Raucher bei Herzinfakt und Lungenkrebs auch ablehnen. "Die sind ja auch selbst Schuld". Oder wer betrunken Autogefahren ist und einen Unfall hatte. Wir dürfen nicht darüber nachdenken ob ein Patient diese
Behandlung verdient hat. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind auch gar nicht in der Lage dazu diese Entscheidung zu treffen.
Auf der anderen Seite, sind wir auch nur Menschen. Wir sind von den ersten drei Wellen mitgenommen. Körperlich und psychisch. Dass eine die
Ein junger Mann wird durch einen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen. Trotz rechtzeitiger Intervention ist das Herz nicht mehr funktionstüchtig. Er erholt sich nicht. Obwohl er vor dem Infarkt noch schwer körperlich arbeiten konnte, schafft er plötzlich nicht mal mehr selber auf
die Toilette zu gehen - weil er Luftnot hat. Man weist ihn uns zu. Auf dem Untersuchungstisch am Aufnahmetag muss er kurz reanimiert werden. Auf der Intensivstation kann er sich auch nicht erholen. Wir entscheiden ein temporäres Herzunterstützungssystem zu implantieren. Auf dem
OP Tisch muss ich ihn zwei mal reanimieren. Zum Glück erst als das Unterstützungssystem implantiert wurde. Er braucht lange um sich auf der Intensivstation zu erholen. Er wird für Transplantation gelistet und wird dann auf ein permanentes Herzunterstützungssystem in einer großen
Der Anruf kommt von der diensthabenden Assistenzärztin: "Ich wurde von der Intensivstation angerufen. Sie haben angefangen die Patientin in der 10 zu reanimieren. Ich bin inzwischen da. Sie tamponiert. Die bekommen aber unter Rea keinen Druck zusammen."
Der Schlaf ist weggewischt
Bin komplett da und stehe schon vorm Bett. Sammle meine Klammotten. "Die kriegen sie nicht stabilisiert".
"Du musst sie rethorakotomieren. Sofort. Ruf die OP Mannschaft und fang an. Ich bin unterwegs."
Stocken am anderen Ende.
"Du weißt ich bin keine Fachärztin"
"Das weiß ich. Du
kannst das. Ich habe es dir oft genug im OP gezeigt. Wenn du es nicht tust, ist sie tot bis ich da bin."
Ich brauche vielleicht unter Mißachtung aller Verkehrsregeln 10 Minuten vom Anruf bis in die Klinik. Muss aber noch OP Klammotten anziehen. Auf die Intensivstation kommen.
Sie