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Mar 14 26 tweets 4 min read
Teil 3: Russland und die Russen sind so widerstandsfähig, weil Leiden in Russland zur Tugend erhoben wurde. Wer sichtbar leidet, das aber stoisch erträgt, erntet soziale Anerkennung und Status; das ist ein Grund, warum Russen oft mit einem leidenden Gesichtsausdruck rumlaufen.
Ein anderer Grund ist, um seine Meinung und Gefühle zu verbergen, die einen schnell in Probleme oder Gefahren verwickeln können, wenn die falsche Person merkt, was man denkt. Und schließlich noch, um Neid zu vermeiden.
Putin hatte das Problem, dass er mit seinem KGB-Training wenig charismatisch war, und wurde daher wie westliche Politiker in Körpersprache geschult, als er zum Präsidenten kandidierte, und viel von dem, was man sieht, ist kalkuliertes Schauspiel, auch seine Emotionen.
Diese ganze Kultur von Lügen, Korruption und Gewalt wirkt sich auch auf das nationale Selbstverständnis Russlands aus. Das ganze Land lebt in einem neurotischen Gefühl der Unsicherheit, stets belagert von Feinden, die das Land erobern und ausplündern wollen.
Daher ist Russland außenpolitisch eher blind für die Logik des Verstandes, aber extrem sensibel für die Logik der Macht. Gesetze und Verträge sind im Zweifel das Papier nicht wert, wenn ihre Einhaltung keinen Vorteil bietet, siehe etwa das Budapester Memorandum, wo...
...im Austausch gegen die Atomwaffen die territoriale Integrität zugesichert, wobei die Ukraine auch vom Westen voll über den Tisch gezogen wurde, denn die USA und UK haben nur militärischen Beistand für den Fall eines nuklearen Angriffs versprochen, nicht bei konventionellem.
Russland ist ähnlich imperialistisch wie die USA, aber mit anderen Zielen. Während die USA aus ihrem Einflussbereich Dinge wie Öl, Rohstoffe, Arbeitskraft oder irgendwas anderes Nützliches extrahieren wollen, will Russland sein Imperium vor allem aus einem Grund: Sicherheit.
Da Russland seine eigene Befindlichkeit auf seine Nachbarn projiziert und glaubt, der Westen wäre auch so wie Russland, also dieselben Probleme hat, den Westen zu verstehen, wie wir haben, Russland zu verstehen, geht Russland davon aus, ...
...dass die NATO militärisch angreifen und das Land ausplündern wird, sobald Russland Schwäche zeigt, und möchte daher den Verteidigungskrieg lieber auf Fremden Boden führen als auf eigenem, weshalb es so auf einem Puffer besteht.
Ansonsten sieht sich Russland wohl als Verteidiger Europas, insbesondere der Slawen. Europa wurde ja laufend von überrannt, vom Islam, von Napoleon, von Deutschland, und zuletzt von den USA, und demnächst vielleicht noch vom russischen Erzfeind und temporärem Zweckfreund China.
Aus russischer Sicht ist die lose Ansammlung europäischer Kleinstaaten zu dekadent, zu uneinig, zu unfähig und daher zu schwach, um für die eigene Sicherheit zu sorgen, und wenn man nur an die Logik der Macht glaubt, stimmt das wahrscheinlich sogar.
Sollte in den USA etwa eine faschistische Regierung an die Macht kommen, was nicht unmöglich ist, wäre Europa schutzlos den Faschisten und Neonazis ausgeliefert, und Russland wäre der einzige Garant für die Sicherheit Europas. Verrückt, aber in sich logisch.
Was also tun, um Putin zu stoppen? Ihn zu beseitigen würde eher wenig bringen, denn es würde mit Sicherheit keine Demokratie in Russland ausbrechen, sondern ein Nachfolger wäre nicht viel anders, aber er würde wohl die Strategie überdenken und sich erst mal zurückziehen.
Putin wird zudem nur dann stürzen, wenn er schwach aussieht, und eine militärische Niederlage in der Ukraine würde genau das bewerkstelligen, und weil er das weiß und für ihn Menschen Objekte sind, wird er so viele opfern, wie nötig, ...
...wobei die legendäre Leidensfähigkeit der Russen auch Grenzen hat, und wenn diese überschritten würde, könnten wir von einem Bürgerkrieg wie bei der Oktoberrevolution mit 7-14 Mio. Toten reden, nur diesmal mit Atomwaffen im Mix. Das wäre schlecht.
Das klügste wäre wohl gewesen, Selenskij auszufliegen und die Ukraine den Russen zu überlassen, und das Angebot gab es ja, aber dummerweise hatte der Westen mit Selenskij keine Marionette im Amt, und jetzt führen wir den 3. Weltkrieg, wobei das viele nicht wahrhaben wollen.
Alle Politiker, die von einer Vermeidung des dritten Weltkrieg reden, haben den Schuss wohl nicht gehört. Was bei Covid die steigende Inzidenz war, sind jetzt die Flüchtlinge, und der Lockdown ist jetzt der Militäreinsatz.
Es ist völlig klar, dass wir in Kürze an den Punkt kommen werden, wo allein die Zahl der Flüchtlinge ein Maß erreichen wird, wo direkt was passieren muss. Kapituliert die Ukraine, kommen auch noch Millionen Männer, die zu ihrer Familie oder einfach weg wollen, ...
...alle auf einen Schlag, alle notfalls mit Waffen, falls wir sie nicht reinlassen. Kommt es zu gewaltigen Opfern in der Zivilbevölkerung oder einer Hungerkatastrophe, werden wir auch nicht weiter Banks vs. Tanks spielen können, sondern militärisch eingreifen müssen.
Die Kräfte wären da, und die NATO mit ihrer 10fachen Überlegenheit könnte die russischen Truppen in der Ukraine in innerhalb von Tagen kampfunfähig machen, aber wir würden dann wohl auch konventionelle Angriffe auf NATO-Länder sehen.
Wir müssten nämlich auch Ziele in Russland angreifen, um die dortige Luftabwehr und Nachschubwege auszuschalten, und würden wohl die russische Baltikflotte und die Schwarzmeerflotte versenken, aber wir hätten auch Verluste. Mit wir meine ich natürlich vor allem die Amerikaner.
Den Einsatz von Atomwaffen müssten wir eher nicht befürchten, so lange wir keine Truppen nach Russland reinschicken, aber selbst das obige Szenario ist nichts, was wir wollen, aber wahrscheinlich auf uns zukommen wird, wenn die Ukraine nicht bald kapituliert...
..oder es zu einem Waffenstillstand kommt. Faktisch scheint mir die Intensität der Kämpfe ohnehin abzunehmen, weil mit zunehmender Ausdehnung der besetzen Gebiete die an der Front verfügbaren Kräfte abnehmen, ...
....und vom Gefühl glaube ich gerade nicht, dass die Russen bis Odessa kommen oder so bald Kräfte für größere Angriffe massieren können; in Wochen oder Monaten aber sehr wohl. Der Krieg könnte sich auch 10-20 Jahre hinziehen, ...
...wobei im März 2024 Präsidentschaftswahlen in Russland sind und da eigentlich Putins Nachfolger antreten soll, der aber in 2023 aufgebaut werden müsste, weshalb eher vorher was passieren muss.

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More from @pavel23

Mar 16
You can not believe anything Putin, his officials, his oligarchs, his media or his useful idiots and bribed politicians in the West say.

Putin does not have friends, only servants.

He is not a private individual, he is a function of Russia - a Russian ruler.
A Russian ruler has one necessary attribute: Appear strong. Everything else is optional.

As long as a Russian ruler appears strong, he can do what he wants, e.g. kill many millions of his own people, and still have the approval of a majority, like Stalin, with 70% recently.
It appears that Putin is unhappy whenever his approval drops below that of Stalin and needs to take appropriate action.
Read 25 tweets
Mar 16
Hörte eben, in Russland ist gerade frisch eine neue Ausgabe von Dostojewskis "Militärische Sonderoperationen und Frieden" erschienen.
Es ist zwar immer etwas peinlich, wenn man Witze erklären muss, aber den fand ich deshalb so großartig, weil er so viel über Russland aussagt:
1) Vordergründig macht er sich über die plumpe Propaganda mit "Militärische Sonderoperation" lustig
2) Zweitens ist "Krieg und Frieden" natürlich von Tolstoi, was ein Pun auf Russlands Umgang mit der Wahrheit und Fake News ist
3) Die Vordergründigkeit von 1) lenkt leicht von 2) ab und spielt auf "Maskirowka" an, die oft praktizierte Täuschung durch Ablenkung, die aber nur..
Read 4 tweets
Mar 15
Kleines Covid-Update oder warum ich glaube, das es vorbei ist. Hier der Graph der 7-Tage-Fallsterblichkeit nach Altersgruppen und insgesamt (blau). Wir liegen bei den vor einem Monat Infizierten jetzt bei 0,09%. Image
Im Dezember 2021 bei Delta lagen wir bei 0,7% Image
Vor den Impfungen Ende 2020 waren es 4,55% Image
Read 14 tweets
Mar 14
Was mir missfällt ist, dass Putin noch immer das Heft des Handelns in der Hand hält, und der Westen nur reagiert und zu berechenbar ist, und es Putin erlaubt, neue Pläne zu schmieden und uns zu überraschen.
Eigentlich sollten der Westen mit seiner wirtschaftlichen Übermacht Putin überraschen und Drohkullissen rund um die Sowjetunion aufbauen und ihn ständig überraschen, und außerdem seine Einflussagenten im Westen, die Oligarchen festsetzen, ...
...und gegen Putins nützliche Idioten wie Gerhard Schröder ermitteln, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Landesverrat, Beihilfe zu einem Angriffskrieg oder irgend so etwas und auch deren Gelder erst mal einfrieren. Der Westen ist voll von Leuten, ...
Read 25 tweets
Mar 14
Teil #2: Lügen, Korruption und Gewalt sind wie gesagt feste Prinzipien russischer Regierung seit Iwan dem Großen, und es scheint nur die Wahl zwischen Autokratie und Chaos zu geben; eine binäre Wahl, und das fehlgeschlagene demokratische Experiment hat das nur bestätigt.
Das russische feudale Herschaftsystem basiert dabei auf wenigen informellen Regeln:
1. Das Wort des Führers ist Gottes Wort
2. Eigentum gibst es nicht, nur Untereigentum und Besitz, die beide ans Amt gekoppelt sind
3. Stehlen ist ein anerkanntes Amtsprivileg mit zwei Regeln:
a) Nicht mehr stehlen, als dem Amt bzw. Rang angemessen ist
b) Nicht von den falschen stehlen
Read 26 tweets
Mar 14
Teil1:Erschreckend, was sich da bei gestern bei #AnneWill abgespielt hat. Unsere Politiker und "Sicherheitsexperten" haben nicht verstanden, dass wir uns im Krieg befinden, und tun so, als könnten wir einen Krieg vermeiden. Sie verstehen Putin nicht, sie verstehen Russland nicht.
Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn hier fallen uns rassistische Vorurteile auf Füße, und zwar umgekehrt als üblich. Unsere rassistische Prägung identifiziert sie eher als Verwandte und nicht als Fremde, und ethnisch sind sie auch noch Christen.
Daher glauben Westeuropäer, Russen würden ähnlich denken wie sie, aber tatsächlich ist die russische Kultur und Zivilisation fundamental anders. Das beginnt damit, dass Russen mehrere verschiedene Realitäten konstruieren und managen, während wir meist nur eine können.
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