Ich halte nichts davon, Asow zu verharmlosen. Es ist eine gefährliche Bewegung - aber so ziemlich vieles an der Debatte in Deutschland läuft trotzdem falsch. 🧵 (1/x)
Seit 2014 gibt es Asow. Ich kannte einige Kämpfer der ersten Stunde, als ich das Lager mal aufgespürt habe und in ein paar Kalaschnikowmündungen blickte. Damals war es ein wild gemischter Haufen, mitnichten rechtsradikal. (2/x)
Warum gibt es Asow? Weil 2014, als Russland die Ukraine verdeckt überfallen hat, die ukrainische Armee handlungsunfähig war. Es fehlte an ALLEM. (3/x)
Ich erinnere mich an eine Zugfahrt mit ukrainischen Soldaten zur Front in einem Zivilzug, und sie zeigten mir, dass alles, was sie hatten, aus Spenden stammte. Selbst die Schuhe. Und das zu einem Zeitpunkt, als das Land angegriffen wurde. (4/x)
Also entstanden Freiwilligenbataillone, so um die 30, und eine Nationalgarde. Die Bataillone waren zunächst eher klein und wuchsen mit der Zeit. Sie waren hochmotiviert (5/x).
Die russische Propaganda nahm sich damals den Rechten Sektor vor,der Maidan sei ein Aufstand der Faschisten war (Unsinn. Alle gesellschaftl Gruppen trugen ihn mit. Darunter eben auch Faschisten. Sie waren wenige. Aber je brutaler Janukowitsch vorging, desto sichtbarer sie. (6/x)
Natürlich sind solche Bataillone gefährlich - und jeder, der die Bundeswehr für überflüssig hält, sollte seine Lehren daraus ziehen, was passiert, wenn das Gewaltmonopol des Staates wegen Unfähigkeit plötzlich in privaten Händen liegt. (7/x)
Der ukrainische Staat hat es mit den Jahren geschafft, diese Bataillone zu zähmen und zu inkorporieren. Auch wurde die ukrainische Armee aufgerüstet und professionalisiert (was die Linke ja so gern verdammt). (8/x)
Asow blieb ein besonderer Fall. Mit Ambitionen, eine breite politischgesellschaftliche Bewegung zu werden, was @ColborneMichael hervorragend dokumentiert hat. Nein, es sind nicht nur Nazis bei Asow. Aber es gibt da mehr als genug Nazis. Verharmlosen nützt da nix. (9/x)
Das ist allerdings nicht Selenskyjs Schuld - er hat das Problem geerbt, u.a. von einem sehr umstrittenen Innenminister namens Avakow, der ein rotes Tuch für so ziemlich die ganze Zivilgesellschaft in der Ukraine bedeutet. (10/x)
Was also läuft falsch in Deutschland? Natürlich geht es nicht darum, über Asow zu schweigen. Aber warum ausgerechnet jetzt SO VIEL darüber sprechen? (11/x)
Wieso interessieren sich so viele JETZT, angesichts von unzähligen russischen Kriegsverbrechen, für die Nazis in Asow? Ist es wirklich überraschend, dass in militärischen Strukturen sich Nazis tummeln? (12/x)
Nun, blickt nach Russland, blickt in die von Russland besetzten Gebiete oder meinetwegen auch in die Bundeswehr, auch da gabs den ein oder anderen Skandal. In Friedenszeiten. (13/x)
Das Reden über Asow ist eine Ablenkung, vielleicht auch eine Form der Gewissenentlastung, weil man nichts tun will oder kann. Weil es doch nicht sein kann, dass Russland einen mörderischen Krieg entfacht aus territorialem Hunger. (14/x)
Und so setzt sich fest: Ach, der Krieg ist kompliziert. Ach, irgendwie sind beide Seiten schuld.
NEIN!
Der Krieg ist nicht kompliziert, er ist einfach zu verstehen: Wladimir Putin will die gesamte Ukraine unter seine Kontrolle bringen koste es was es wolle. (15/x)
Tausende Tote&Kriegsverbrechen und eine gefährliche Radikalisierung seines Regimes. Die Ukraine ist nicht schuld. Selenskyj war der beste mögliche Präsident für den Kreml, der zu Kompromissen bereit war. Aber um Kompromisse geht es nicht, das hat Putin oft genug gesagt.(16/x)
Und noch etwas: es gibt keine Nazis im ukrainischen Parlament oder in der Regierung. Es gab sie direkt nach dem Maidan in Gestalt von einigen Ministern von Swoboda, die rechtsradikal ist. (17/x)
Aber Swoboda hat es bei den Wahlen nicht mal ins Parlament gesagt. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass im deutschen Bundestag mehr Nazis sitzen als in der ukrainischen Rada. (18/x)
Und was Asow angeht: Die Bewegung bleibt gefährlich, die ja mittlerweile versucht hat, zu einer politisch-gesellschaftlichen Bewegung zu werden. Nicht, weil in der Ukraine Nazis sind, sondern weil sie Nazis aus aller Welt anzieht, aus Russland, USA, Polen, aus Deutschland. (19/x)
Das ist die Gefahr, die eben uns alle betrifft: eine internationalisierte Rechte. Und wo Krieg herrscht, da kommen die Freischärler hin. Es kann koch hässlicher werden als bisher. Das werden wir womöglich auch noch erleben. (20/x)
Wer Asow jetzt entdeckt, wem nicht viel mehr einfällt zur Ukraine als das, dem geht es weder um die Ukraine noch um einen Kampf gegen Faschismus, sorry. (21/x)
Zu den Hintergründen: gern alles von @ColborneMichael, der zu Asow ein Buch geschrieben hat. Zur internationalen Rechten das Dossier meiner KollegInnen: zeit.de/2021/07/faschi…
So, Baby ruft, 🧵 ist zu Ende!
Ein Nachtrag: während in Deutschland über Asow diskutiert wird, ist ein Tschetschenisches Bataillon in Mariupol, so wird es berichtet. Guess what: die Kämpfer tragen eher nicht die Genfer Konvention bei sich. Deshalb sind sie da.
Korrektur: swoboda ist im Parlament und hat einen Sitz! Sorry für den Fehler!
Zwei Nachträge: Swoboda ist an der 5%-Hürde gescheitert bei den Wahlen 2019, hat aber ein Mandat. Und da sind einige fiese Wortfehler drin (gesagt statt geschafft zB), bitte um Nachsicht.
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
Seit vielen Jahren hat der Kreml den 9. Mai und damit den Kampf gegen den Faschismus als unbegrenzte ideologische Ressource entdeckt. Wie sagte mir ein Gesprächspartner? Der Kreml hat die Kontrolle über die Wälder, das Öl und nun auch die Erinnerung (14/x).
Jetzt kommt’s: Der 9. Mai 1945 hat eine Schlüsselstellung für den Kreml. Immer wieder wird darauf zurückgegriffen, wird aktuelle Politik verwoben mit der Vergangenheit. Alles schreibt sich ein in den Kampf gegen den Faschismus, wird zum fortdauernden vaterländischen Krieg. (15/x)
Warum redet Wladimir Putin fortwährend davon, den Faschismus in der Ukraine zu bekämpfen (was unfassbarer Unsinn, eine infame Lüge ist)? Ein paar Gedanken. (1/x)
Fragt man Russen nach großen historischen Ereignissen, auf die sie stolz sind werden vermutlich die meisten zwei nennen: Juri Gagarins Flug ins All als erster Mensch. Und der Sieg über Nazi-Deutschland am 9. Mai 1945. (2/x)
Mit diesem Datum, dem 9. Mai 1945, endet in Russland nicht etwa der Zweite Weltkrieg, sondern „der Große Vaterländische Krieg“. Wichtig: Das ist nicht dasselbe. (3/x)
Fallt nicht auf die Behauptung herein, eine Neutralität der Ukraine hätte den russischen Angriffskrieg verhindert.
Drei Argumente, die das meiner Meinung nach widerlegen (1/3):
1. Bündnisneutralität war in der ukrainischen Verfassung verankert, als Russland 2014 Ukraine in einem Tarnkappenkrieg überfiel.
2. Auslöser des Konflikts war nicht ein NATO-Beitritt, sondern ein EU-Assoziierungsabkommen, das nicht unterzeichnet wurde. Maidan begann. (2/3)
3. Die VerbreiterInnen dieser These sollten doch bitte endlich Wladimir Putin beim Wort nehmen.
Er hat oft - schriftlich! - dargelegt, dass Ukraine keine eigenständige Nation ist, sondern ein künstliches Gebilde. Seine Neutralität = Ukraine als russischer Vasallenstaat (3/3).
Wladimir Putin spricht also vom Genozid im Donbas, russische Staatsmedien erzählen von „Lagern“ - aber von wem ist überhaupt die Rede?
Da fängt das Problem schon an. Ein langer Thread. Los geht’s. (1/x)
Geht’s um die Russen im Donbass oder um die Russischsprachigen? Ein wichtiger Unterschied, den der Kreml selbst verwischen will: (2/x)
Der Donbass ist keineswegs mehrheitlich russisch; es gibt einen beachtlichen Anteil an ethnischen Russen, aber sie sind in der Minderheit. Der Donbas ist sehr spezifisch für die Ukraine, wie Professorin Tanja Penter schreibt . (3/x)
Es handelte sich um einen Flug zwischen zwei EU-Staaten (!). Belarussen sind also selbst im Exil nicht sicher, so die Nachricht. Eine solche ruchlose Aktion muss Konsequenzen haben.