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Oct 6 24 tweets 8 min read
Hier auf #Econtwitter ist zuletzt heftig diskutiert worden, wie ein #Gaspreisdeckel / #Gaspreisbremse auszugestalten sei, insbesondere, ob ein Grundkontingent in kWh (pro Haushalt oder pro Person) oder Kontingent orientiert am Vorjahresverbrauch (etwa 80 %) besser sei. Ein 🧵/1
Vorweg: Beide Lösungen wären derzeit super. Es kommt jetzt darauf an, die Haushalte schnell und wirksam zu entlasten. Beide Ansätze leisten das, und darum wäre es klasse, wenn am Ende der #Gaspreiskommission eine Lösung steht, die diesen nahe kommt. 2/
(Für alle neu in der Debatte zur Erläuterung: Die Idee beim #Gaspreisdeckel ist, dass eine bestimmte Menge subventioniert abgegeben wird, darüber aber ein höherer Preis greift, um die Anreize zum Energiesparen über höhere Grenzpreise hoch zu halten.) 3/
Allerdings gibt es deutliche Unterschiede in den Kosten der Ansätze. Ein Grundkontingent orientiert am Vorjahresverbrauch ist fiskalisch deutlich teurer als ein Grundkontingent, lt. @IMKFlash Untersuchung gewählten Parametern fast doppelt so teuer. 4/
imk-boeckler.de/fpdf/HBS-00842…
Hier zeigt sich ein Tradeoff, den wir bei all diesen Ansätzen haben zwischen 1) einem möglichst weitgehenden Abfedern der Mehrkosten, 2) der Administrierbarkeit 3) Verteilungsgerechtigkeit und 4) Effizienz und Finanzvolumen. 5/
Ein prozentuales Grundkontingent ist klar am einfachsten zu administrieren. Zumindest für jene Anschlüsse (ca. 80 %), die im vergangenen Jahr den Anbieter nicht gewechselt haben und deren Inhaber nicht umgezogen sind, haben die Versorger die Daten. 6/
Ein prozentuales Grundkontingent federt auch weitgehender die Mehrkosten ab, da jeder Haushalt – auch bei hohem Verbrauch - zu einem beträchtlichen Teil entlastet wird.
Weniger Haushalte mit großen und/oder schlecht isolierten Wohnungen werden dramatische Belastungen spüren. 7/
Und weil ein prozentuales Grundkontingent hier großzügiger ist als ein Pro-Kopf-Kontingent, ist es einfach auch teurer. 8/
Außerdem gibt es auch unerwünschte Verteilungseffekte. Es gibt zwar auch Haushalte mit geringen Einkommen und hohen Gasverbräuchen. Tatsächlich aber steigt sowohl der Durchschnittsverbrauch als auch der Medianverbrauch im Schnitt mit den Einkommen, 9/
wobei der Durchschnittsverbrauch schneller steigt als der Medianverbrauch.
Anders ausgedrückt: Je höher wir in der Einkommensverteilung kommen, desto größer wird der Anteil der Haushalte, die deutlich höhere Verbräuche als der Medianhaushalt hat. 10/
Von den zusätzlichen Kosten eines 80 %-Grundkontingents gegenüber einem Kontingent nach Haushaltsgröße kommt deshalb ein überproportionaler Anteil den Haushalten in den oberen Einkommensdezilen zugute. 11/
Das bringt uns zu Effizienz und Finanzvolumen: Effizienz sind solche Maßnahmen, wenn mit möglichst geringen staatlichen Mitteln die Belastungen ausreichend abgefedert werden. 12/
Wenn Haushalte, die die Mehrkosten gut selber tragen könnten, subventioniert werden, ist dies weniger effizient. 13/
Wenn wir auf öffentlicher Seite keine Budget-Beschränkung hätten, müsste man sich über diesen Punkt keine Sorgen machen. Allerdings gibt es diese Budgetbeschränkung – nicht zuletzt rechtlich über die Schuldenbremse 14/
und politisch über die Festlegung, für Maßnahmen zur Stabilisierung der Gas- und Wärmekosten 200 Mrd. € auszugeben. 15/
Kurzfristig stehen dadurch die Kosten für den Gaspreisdeckel für die Haushalte in Konkurrenz mit Kosten für die Entlastung anderer Bereiche, etwa dem Gewerbe oder der Industrie.
Langfristig stehen die Ausgaben wegen der Schuldenbremse in Konkurrenz 16/
zu Ausgaben für Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Bildung, aber auch Sozialausgaben oder Steuersenkungen.
Wenn ein größerer Teil der zusätzlich ausgegeben Mittel den einkommensstarken Haushalten zugute kommt, machen wir zudem die Verteilung ein Stück ungleicher. 17/
Hier bleibt dann der Trade-Off: Versuchen wir so großzügig zu entlasten, dass jeder Haushalt möglichst weitgehend entlastet wird oder achtet man stärker auf die fiskalischen Kosten? 18/
Das bleibt am Ende eine politische Abwägung, die auch die #Gaskommission nicht sinnvoll vorwegnehmen kann, sondern die Regierung und Bundestag treffen müssen. 19/
Ein Kompromiss könnte im Prinzip ein 80-%-Grundkontingent mit einer maximal subventionierten Zahl Kilowattstunden sein (unsere Variante C im @IMKFlash Policy Brief). Das würde die Kosten etwas senken, verhindern, dass Villenbesitzer mit Pool 20/
imk-boeckler.de/fpdf/HBS-00842…
übermäßig gefördert werden und gleichzeitig der Heterogenität der Haushalte gerecht werden.
Ein Problem ist hier die kurzfristige Administrierbarkeit: Die Versorger wissen meist nicht, ob hinter dem Gasanschluss eine Villa mit Schwimmbad oder ein Mehrfamilienhaus steckt. 21/
(Allerdings sind die Lösungen mit Grundkontingent nach Haushaltsgröße noch schwieriger umzusetzen.)
Hier bleibt die Frage, inwieweit und wie schnell man Versorger und/oder Vermieter in die Pflicht nehmen kann, diese Daten zu sammeln. 22/
Hier zeigt sich jetzt, dass das Zögern der Regierung in der Gasfrage über die vergangenen Monate am Ende auch relevante fiskalische Kosten haben dürfte: Weil jetzt weniger Zeit zur Vorbereitung der Maßnahmen bleibt, werden diese am Ende teurer und weniger zielgenau sein. /END

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Oct 6
Noch eine kleine Ergänzung zu meinem Thread unten:
Warum Auszahlung basierend auf dem Verbrauch des Vorjahres (ebenfalls Vorschläge, die diskutiert werden) oder große Einmalzahlungen an Gashaushalte derzeit nicht ideal sind: 1/
Der Gaspreis ist derzeit sehr volatil. Wir wissen nicht, ob dieser in 4 Monaten bei 100 oder bei 300 € pro MWh liegt. 2/
Ein Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch „atmet“ mit dem Gaspreis: Wenn der allgemeine Gaspreis fällt, schrumpfen die Subventionen. Wenn der Gaspreis steigt, wird mehr subventioniert. Die Haushalte gewinnen dadurch Planungssicherheit, 3/
Read 6 tweets
Sep 26
In der Diskussion um den #Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch (wie von @IsabellaMWeber und mir vorgeschlagen) wurde hier kürzlich gefragt, was die Logik sei, nur Haushalte mit Gasheizung zu entlasten und nicht die breite Bevölkerung, etwa über Einmalzahlungen. 1/
Die Antwort ist: Weil Haushalte mit Gasheizung ganz massiv stärker durch den Energiepreisanstieg belastet sind. Um das zu illustrieren, habe ich eine kleine Beispielrechnung zu den reinen Brennstoffkosten angefertigt. 2/
Verglichen werden zwei Wohnungen mit 120 qm Wohnfläche, eine mit Gas-, die andere mit Ölheizung. Für den Verbrauch werden gängige Durchschnittswerte von 15 Liter Heizöl pro qm und Jahr und 160 KWh Gas pro qm und Jahr angenommen. 3/
Read 12 tweets
Aug 26
Wenn man sich die jüngsten Äußerungen aus Teilen der #Bundesregierung zur Finanzpolitik 2023 anhört, so könnte man den Eindruck bekommen, dass dort eine wichtige Erkenntnis noch nicht angekommen ist: Deutschland steht gerade vor einem gigantischen makroökonomischen Schock. 🧵1/n
Der Schock war nach der Ukraine-Invasion angelegt, aber er hat sich in voller Größe erst in den letzten Wochen materialisiert.
Haupttreiber sind die Energiepreise (vor allem Gas, siehe Grafik unten), dazu kommen nachgeordnet noch Nahrungsmittelpreise. 2/ Image
Einen Eindruck von der Größenordnung des Schocks bekommt man, wenn man einmal die Nettoimportrechnung Deutschlands für fossile Energieträger abschätzt.
Das habe ich unten einmal getan, und zwar auf Basis der 2019 eingeführten 3/
Read 18 tweets
Aug 2
Mein Tweet über Nudelpreise hat erstaunlich große Aufschreie hier auf Twitter hervorgerufen, bis hin zu der These, es gäbe prinzipiell keine #Gewinninflation und außerdem sei es "absurd", dass ein Kostenschock zu höheren Gewinnen führen könne. 1/
Zunächst einmal: #Gewinninflation ist kein Konzept, dass ich mir ausgedacht hätte. Es geht auf eine lange Diskussion mit akademischen Beiträgen unter anderem von Michal Kalecki zurück und wird in den USA auch heute noch aktiv diskutiert. 2/
Was ist nun #Gewinninflation? #Gewinninflation ist, wenn durch Ausweitung der Gewinnmargen die #Inflation steigt bzw. über den Zielwert der Zentralbank hinausschießen. 3/
Read 23 tweets
Jun 22
Wir haben heute unser neues @imkflash Prognose-Update vorgelegt. Für 2022 haben wir das Wachstum in Deutschland leicht auf 1,9 % (von 2,1 %) herunter revidiert, für kommendes Jahr auf 2,6 % (von 3,2 %). 1/
imk-boeckler.de/de/faust-detai…
Die Inflation wird mit 6,9 % dieses Jahr höher ausfallen als schon im März von uns prognostiziert (als wir unsere Inflationsprognose bereits stärker als viele andere Institute auf 6,2 % erhöht hatten). Kommendes Jahr fällt sie auf 2,6 %. 2/
Damit verzögert sich die Erholung nach der #Covid19-Pandemie weiter: Das deutsche BIP wird erst zur Jahreswende 2022/3 das Vor-Pandemie-Niveau wieder erriechen, der Konsum erst im Jahre 2023. 3/
Read 10 tweets
Mar 23
I think there is a misunderstanding here what it means if the West has to pay natural gas deliveries from Russia in rubles.

Despite what some people here seem to suggest, you do not need the central bank for such a transaction. 1/

Nor is such a transaction limited “because there might not be enough ruble” in the market. 2/
To understand this, remember what a foreign exchange transaction under flexible exchange rate is: You trade a deposit AT A COMMERCIAL BANK in one currency against a deposit AT A COMMERCIAL BANK in another currency. 3/
Read 15 tweets

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