#malwasanderes Ein philologischer Bindfaden zu ausländischen Toponymen:
1. Ortsnamen sind Wörter. Die deutsche Sprache besteht aus deutschen Wörtern. Deshalb sind auch die Namen fremder Städte und Regionen, wenn sie in deutschen Äußerungen verwendet werden, deutsche Wörter.
2. Das ist strukturell auch völlig unvermeidbar. Denn die deutsche Phonetik verändert das fremde Wort bei der Übernahme. Selbst wenn wir anfingen „Parie“ statt „Paris“ zu sagen, würde es sich nicht so anhören wie aus französischem Munde.
3. Wo keine (identitäts-)politischen Konflikte im Hintergrund stehen, ist das überhaupt kein Problem. Niemand stört sich an Ortsnamen wie „Rom“, „Mailand“, „Brüssel“, „Prag“, „Krakau“, „Moskau“ oder „Kopenhagen“. Und wir beschweren uns nicht über „Cologne“ oder „Munich“.
4. Bei „Breslau“ und „Danzig“ wird es auf einmal schwieriger - man will um Himmels willen den Eindruck des Revanchismus vermeiden und bricht sich deshalb die Zunge an einem polnischen Wort, statt einfach das deutsche weiter zu verwenden. Bei „Warschau“ gibt es die Hürde nicht.
5. (S.o.: Wenn wir „Gdansk“ und „Wrotzlaff“ sagen, klingt es natürlich trotzdem noch lange nicht polnisch.) Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine kommen jetzt neue politische Motivationen auf. Um keine Sympathie mit dem Aggressor zu suggerieren, müht man sich,…
6. …die ukrainischen Ortsnamen annäherungsweise zu imitieren. Im Falle von Lemberg und Tschernowitz erscheint das a priori etwas absurd. Aber Ortsnamen wie „Kiew“, „Odessa“ oder „Charkow“ sind dem Deutschen vor Jahrhunderten über das Russische vermittelt worden.
7. Das wird jetzt als problematisch empfunden. Der Versuch, einen unverfänglichen Ortsnamen zu verwenden, führt allerdings zu wachsender Inkonsistenz und Sprachverwirrung. Anstelle von etablierten deutschen Wörtern mühen wir uns mit schlecht ausgesprochenen ukrainischen ab.
8. Eine gewisse Erleichterung kommt dabei aus der Notwendigkeit der Übertragung aus kyrillischer Schrift. Sie zwingt dazu, den fremdsprachlichen Laut mit einem passenden lateinischen Buchstaben wiederzugeben und so wenigstens eine bestimmte Aussprache nahezulegen.
9. Geradezu groteske Ergebnisse bringt das Bemühen um respektvollen Umgang mit den Ortsnamen in der Lokalsprache in Ländern, die lateinische Schrift verwenden, aber logischerweise ein anderes System haben als wir.
10. Z.B. heißt die Hauptstadt der Republik Moldau auf deutsch Kischinau. Recht ähnlich wird der Ortsname auch auf rumänisch ausgesprochen. Geschrieben wird er allerdings Chișinău - und so (aber ohne die wichtigen diakritischen Zusatzzeichen) liest man ihn heute fast überall.
11. Allerdings weiß kein Mensch, wie man das ausspricht. Alle raten herum und landen meist bei so etwas Kryptischem wie „Tschisinau“, das mit dem wahren Namen nichts mehr zu tun hat.
12. Ich empfehle deshalb generell, dort, wo es einen deutschen Ortsnamen für eine ausländische Stadt gibt, ihn auch zu benutzen. Das ist eine allgemeine Empfehlung um sprachlicher Eleganz und Klarheit willen. Es kann nur funktionieren,…
13. … wo alle an der Kommunikation Beteiligten diese Ortsnamen auch verstehen. Bei kleineren Städten und Dörfern im ehemaligen deutschen Osten würde es z.B. eher Verwirrung stiften, weil kaum noch jemand weiß, welcher Ort mit dem deutschen Namen gemeint wäre. /Ende/
Randbemerkung: wenn man allerdings statt der deutschen die englische Transskription verwendet, ist das Chaos komplett. „Straße von Kerch“?!?

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Aug 26
Dank an ⁦@Schuster_MdEP⁩ für die Veröffentlichung. Zum Inhalt des Aufrufs kann sich jeder eine Meinung bilden. Kernsatz und Ausgangspunkt dabei für mich: joachim-schuster.eu/aufruf-zum-ant…
„Dieser Krieg wird keine militärischen Sieger kennen. Eine Fortsetzung des Kriegs wird nur noch mehr Tote und Zerstörung zur Folge haben. Wir brauchen einen schnellstmöglichen Waffenstillstand als Ausgangspunkt für umfassende Friedensverhandlungen.“
1. „keine militärischen Sieger“ - ganz offensichtlich ist zumindest der Angreifer nicht dieser Auffassung. Und greift deshalb weiter an.
Read 8 tweets
Apr 2
Bei den Zielen des russischen Angriffs- und Eroberungskrieges gegen die Ukraine zeichnet sich eine Veränderung ab. Es geht offenbar zunächst nicht mehr darum, die Ukraine in einen Vasallenstaat zu überführen. 1/6
Stattdessen wird die „Novorossia“-Idee wiederbelebt. Mit der Eroberung der Regierungsbezirke Cherson, Lugansk und Donezk hätte man eine stabile Landbrücke zur Krim. Ein Teilerfolg. Ein Waffenstillstand zur Absicherung der Eroberungen… 2/6
…und der einstweiligen Herstellung eines neuen Status Quo wäre der logische nächste Schritt. Die Versuchung würde in Teilen der westlichen Welt groß sein, einen solchen Waffenstillstand diplomatisch zu unterstützen, getreu dem Motto: Hauptsache, die Waffen schweigen. 3/6
Read 6 tweets
Oct 30, 2021
Dazu vielleicht ein Thread aus *seufz* Expertensicht:
1/10 Die lateinische Sentenz drückt das Prinzip sicherheitspolitischen Denkens in der Antike aus (ein Urheber ist nicht nachweisbar). Das römische Reich seit dem Ende der Bürgerkriege richtete seine Strategie daran aus.
2/10 Im Ergebnis konnte die aufgeklärte Despotie des Kaiserreichs in den 250 Jahren zwischen Augustus und Caracalla permanent ca. 99 % der Bevölkerung friedliche Lebensbedingungen sichern - eine ganz gute Bilanz. #erstmalnachmachen
3/10 Unter diesen Bedingungen kam es zu einem beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung, der das römische Reich für Europa und weit darüber hinaus zum Sehnsuchtsort und bis ins 19. Jahrhundert zum historischen Vorbild werden ließ.
Read 10 tweets
Aug 25, 2021
Ok, am Beispiel der Entscheidung von @MatthiasHoehn heute ein bisschen politische Bildung. Ich hab‘s schon öfter erklärt, aber die falschen Vorstellungen sind tief verwurzelt. #Gewissen #Fraktionszwang 1/15
Nach dem #Grundgesetz (Art. 38 Abs. 1) sind #Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen. Das GG kennt keinen „Fraktionszwang“. Mit Ausnahme eines später ergänzten Artikels (53a), der davon ausgeht, dass es sie gibt, kennt es ursprünglich noch nicht einmal Fraktionen! 2/15
Meine Fraktion hat mir also nach dem Grundgesetz überhaupt nichts zu sagen. Warum ist es trotzdem nicht nur normal, sondern im Parlamentarismus zwingend angelegt, dass Abgeordnete fast immer auch dann mit ihrer Fraktion abstimmen, wenn sie inhaltlich anderer Meinung sind? 3/15
Read 15 tweets
Dec 15, 2020
Vor wenigen Minuten hat sich die @spdbt darauf verständigt, einer Bewaffnung der Heron TP Drohnen der Bundeswehr vorerst nicht zuzustimmen, sondern ergebnisoffen breit öffentlich zu diskutieren. Das respektiere ich. Aber die Entscheidung stellt mich auch vor ein Dilemma: 1/5
Entweder ich stehe gegenüber der Öffentlichkeit und der Bundeswehr dazu, obwohl eigentlich alle wissen, dass ich anderer Auffassung bin - nicht sehr glaubwürdig. Dafür bin ich auch zu dickköpfig. Das sage ich selbstkritisch, nicht kokett. 2/5
Oder ich distanziere mich öffentlich und gegenüber der Bundeswehr von meiner Fraktion und Partei. Als Mitglied von beiden erwarte ich aber von einem Sprecher mehr Loyalität und mehr Solidarität mit der Führung und der Mehrheit. Also auch nicht sehr glaubwürdig. 3/5
Read 5 tweets
May 2, 2020
Rolf Mützenich spricht sich für den Ausstieg Deutschlands aus der Nuklearen Teilhabe der #NATO aus - ein Grund sei #Trump, ein anderer, dass es auch andere NATO-Staaten gebe, die dort nicht beteiligt seien. Eine nicht recht schlüssige Argumentation: tagesspiegel.de/politik/spd-fo…
Erstens: natürlich, Trumps fahrlässiges Gerede über den Einsatz von Atomwaffen stimmt besorgt. Aber die USA sind nicht Trump - sie sind und bleiben Deutschlands wichtigster Verbündeter, ihr Engagement in der NATO das Rückgrat europäischer Sicherheit.
Zweitens: Dass andere Länder sich nicht beteiligen, stimmt auch - weil sie kleiner und schwächer sind und den Schutz der größeren und stärkeren brauchen. Wir sind das wirtschaftlich stärkste und bevölkerungsreichste Land und liegen genau in der Mitte Europas. Das heißt:
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