#Gaspreisdeckel und Entlastungen werden die soziale Krise weiter verschärfen und sind eine Umverteilung von unten nach oben.

Meine Einschätzung in einem 🧵:

N.B. Dies ist nicht primär eine Kritik an der Expertenkommission, sondern der Politik, die die Rahmenbedingungen vorgibt.
Die Bundesregierung hat in Bezug auf Gas und Strom einen wichtigen Erfolg zu verbuchen — die Mobilisierung von zusätzlichem Gas und Strom, was zB zur Auffüllung der Gasspeicher geführt hat, auch wenn es Knappheiten und Preise anderswo in der Welt erhöht hat.
Aber die Bundesregierung macht drei große Fehler:

1. Die Bundesregierung hätte sich im Sommer bereits für eine Lösung entscheiden müssen. Eine Gaspreisbremse, die im März o April 2023 greift, wenn der Winter vorbei ist, kommt für viele viel zu spät — trotz Abschlagszahlung Dez.
2. Die Bundesregierung verlässt sich zu sehr auf den Preismechanismus um knappes Gas und Strom zu verteilen. Dies bedeutet in der Praxis, dass Menschen mit mittleren und geringen Einkommen den größten Beitrag für Einsparungen werden leisten müssen, …
… obwohl sie am wenigsten verbrauchen, relativ wenig einsparen können und kaum Möglichkeiten des Schutzes haben.
3. Der Gaspreisdeckel ist eine massive Umverteilung von unten nach oben, von Arm zu Reich.
Vier Fakten, die als Hintergrund wichtig sind:

A. Eine Person, der zu den 10% der höchsten Einkommen zählt, verbraucht ca. vier Mal mehr Energie als jemand, der zu den 40 % mit den geringsten Einkommen gehört. Image
B. Die Einsparpotenziale für Besserverdiener sind enorm:

"Würden alle Deutschen ihren Energieverbrauch auf das Niveau der unteren 50 Prozent beschränken, brächte das gar eine Ersparnis von 41 Prozent."

@MalteConradi @datentaeterin @yl_oswald in der SZ:

sueddeutsche.de/projekte/artik…
C. 40 % der Menschen in Deutschland haben praktisch keine Ersparnisse — und zudem meist geringe Einkommen — um höhere Kosten für Gas oder Strom stemmen zu können.
@DIW_Berlin Image
D. Menschen mit geringen Einkommen erfahren eine drei- bis viermal höhere Belastung durch höhere Energiekosten, relativ zum eigenen Einkommen, als Menschen mit hohen Einkommen. HT @SBachTax Image
Somit bedeutet die Gaspreisbremse, dass Menschen mit hohen Einkommen ca. viermal mehr Geld der knapp 66 Milliarden € bekommen als Menschen mit geringen Einkommen (das allerdings für Menschen mit hohen Einkommen steuerlich geltend gemacht werden muss).
Fehlende Einkommen und Rücklagen bedeuten, dass hohe Preise Menschen mit geringen Einkommen zu viel stärkeren Einschränkungen des Verbrauchs zwingen (oder technisch: die Preiselastizität der Nachfrage nach Gas und Strom ist deutlich geringer für Menschen mit hohen Einkommen).
Muss dies alles so sein? Nein! Die Politik hat sich bewusst dafür entschieden, die Verteilung von knappem Gas und Strom primär über den Preismechanismus zu machen. Und auch dies macht der Staat in einer Art und Weise, bei der die Hauptlast Menschen geringen Einkommen trifft.
Wenn schon primär der #Preismechanismus für die Allokation benutzt wird, sollten Menschen mit mittleren und geringen Einkommen durch Direktzahlungen kompensiert werden. Und Besserverdiener sollten keine Entlastung bekommen.
Dies würde immer noch zu starken Einsparungen bei Menschen mit geringen Einkommen führen, aber Besserverdiener würden sich dann stärker als jetzt an den Einsparungen beteiligen.
Notwendig ist jetzt eine Ergänzung des Preismechanismus durch konkrete Restriktionen/Einsparungen,bspw durch Substitution von einheimisch produzierten, energieintensiven Produkten durch Importe, und strikte Regeln (Beispiel Tempolimit). Das ist ein blinder Fleck der Ampel Pläne.
Wichtig: Wohlstand lässt sich nicht oder kaum durch Preise in Euro messen. Beispiel: Der Wohlstandsverlust einer einkommensschwachen Rentnerin durch €100 Einsparungen beim Heizen ist sicherlich höher als der für einen Topverdiener durch €100 beim Heizen der Sauna.
Ein fundamentaler Konstruktionsfehler der Politik ist daher, dass ihre Maßnahmen vor allem Menschen mit geringen Einkommen zu den stärksten Einsparungen zwingen und sie dafür zudem viel zu wenig entlasten.
Einwand: nun wird der übliche Einwand kommen, durch „die Bürokratie“ könne keine optimale Lösung umgesetzt werden. Das Argument kaufe ich schlichtweg nicht. Die Bürokratie macht Vieles schwierig, aber wo ein politischer Wille, dort ist auch ein Weg.
Fazit: die Kosten der Energiekrise gehen vor allem zulasten der einkommensschwächsten und verletzlichsten Menschen und Unternehmen. Diese werden noch nicht einmal für ihren Wohlstandsverlust ausreichend kompensiert.
Das Resultat wird unweigerlich eine Zunahme der sozialen Polarisierung und Schieflage in Deutschland sein.
Ich fürchte, diese Entscheidungen werden Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die Füße fallen und massiven Schaden anrichten.

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1. Die heutige Krise und #Inflation in Deutschland und Europa sind aus mehreren Gründen (ua Rolle der Gewerkschaften, Instrumente der Geldpolitik, Energieintensität) nicht mit denen der 1970er Jahre vergleichbar.
Diese Grafik illustriert das überzeugend:
2. Es gibt keine Lohn-Preis-Spirale oder eine Entankerung der #Inflationserwartungen. Ja, das Handeln der EZB jetzt ist richtig um die Erwartungen weiterhin zu verankern, nicht aber um die Inflation auf absehbare Zeit merklich reduzieren zu können.
HT

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Sep 9
Wir sehen eine dramatische Verschlechterung für die Wirtschaft in 🇩🇪 und Europa. Die neuen Prognosen (hier @ecb und @kielinstitute) sind ernüchternd und weisen auf eine anhaltende Rezession (für D) und eine nur schleppende Erholung hin.

Ein 🧵 mit den mMn wichtigsten Fakten:
Die deutsche Wirtschaft dürfte nun für 3-4 Quartale und für das gesamte Jahr 2023 schrumpfen. Die Wirtschaft der Eurozone ist auch hart getroffen, aber nicht so stark.
Drei der Gründe: höhere Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten, Exporten und globalen Lieferketten.
Die wirklich schlechte Neuigkeit ist jedoch eine andere: die wirt. Erholung dürfte 2024 (und möglicherweise auch darüber hinaus) sehr schleppend sein, da Energiepreise auf absehbare Zeit hoch bleiben werden und der Wirtschaft eine riesige strukturelle #Transformation bevorsteht.
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Sep 7
Ich verstehe die Kritik an den Aussagen von Wirtschaftsminister #Habeck zu #Insolvenzen nicht, denn sie sind zutreffend. Zwei Beispiele, bei denen Unternehmen nicht produzieren können, ohne zwingend insolvent zu werden: 🧵

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1. Manche Hotels werden im Winter schließen müssen, weil Kunden ausbleiben (viele Menschen werden weniger reisen, da sie höhere Kosten für ihre Grundversorgung haben) und die Kosten massiv steigen (Beispiel Energie). Temporäre Schließungen sind in der Branche nicht ungewöhnlich.
2. Wenn es zu einer #Gasknappheit kommt, dann werden eine Reihe von energieintensiven Unternehmen gezwungen werden, ihre Produktion einzustellen. Dies wird der Staat nur machen können, wenn er die Unternehmen ausreichend kompensiert, so dass diese in Zukunft wieder öffnen können.
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