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Feb 25 21 tweets 6 min read
Vor etwas über einem Jahr hört ich in #Kiew ein Interview mit Klaus von #Dohnanyi über sein Buch: Die USA seien schuld daran, dass #Russland die #Ukraine bedrohe.

Eine Großinvasion und mehrere Putin-Reden später hat er nichts dazugelernt. Ein Thread:
1/20
deutschlandfunk.de/findet-scholz-…
Kernpunkt seiner Aussage ist erneut der Mythos, die #NATO habe 1990 versprochen, sich nicht nach Osten auszuweiten. Alle russischen Politiker hätten seitdem „gewarnt, was die Erweiterung der NATO bedeuten würde". Diese Warnung ist ihm zufolge nun umgesetzt worden:
2/20
"Der Angriffskrieg ist natürlich nie zu rechtfertigen, aber man muss versuchen, ihn zu verstehen" - durch die Erweiterung der NATO habe sich RU bedroht gefühlt. "Es ist eben eine andere Sache, ob man mit amerikanischen Marines an der Grenze Russlands patrouillieren kann."
3/20
Natürlich ignoriert Dohnanyi zum einen wieder die NATO-Russland-Grundakte von 1997 - in der die "russischen Sicherheitsinteressen" sehr wohl berücksichtigt wurden: U.a. indem in den neuen Mitgliedsstaaten eben *keine* Marines stationiert wurden.
4/20
V.a. aber tut er, als habe die Aufnahme der Ukraine in die NATO kurz bevorgestanden: Brzeziński habe 2015 gewarnt, deren NATO-Mitgliedschaft könne zu einem heißen Krieg führen – und er habe Recht gehabt. Unter den Bedingungen bis zum 23.2.2022 war diese aber ausgeschlossen
5/20
Dohnanyi klagt, es sei "eine verpasste Situation gewesen, dass man im Dezember 21, als Putin gesagt hat ‚Bitte lasst uns über die Nato verhandeln!‘, gesagt hat, das kommt nicht einmal auf die Tagesordnung." Abgesehen davon, dass Dohanyi geflissentlich übersieht, dass dies
6/20
keine Bitte, sondern ein Ultimatum war, ignoriert er, dass Putin damit die Axt an die Charta von Paris legte, die eine freie Bündniswahl beinhaltet. Wie kann man von einer kollektiven Sicherheitsarchitektur reden, wenn man einer einzelnen Großmacht hier Vetorechte zugesteht?
7/20
Ganz kurz blitzt bei Dohnanyi die Erkenntnis auf, dass es Putin beim Krieg gegen die Ukraine vielleicht doch nicht um die vermeintliche Bedrohung durch die NATO geht: Die Russen hätten deren Erweiterung nämlich hingenommen, bis es um die Ukraine ging - da aber dann gesagt:
8/20
"Das ist ehemaliges russisches Staatsgebiet und das ist eine andere Frage als Polen oder Litauen." Dohnayi distanziert sich von dieser Behauptung mit keiner Silbe. Denn das würde von seinem Hauptanliegen ablenken - der Verurteilung der bösen USA.
9/20
Auf die Suggestivfrage, was er über die "Inszenierung" der Rede von Joe #Biden in Warschau denke, sagt er: "Ich fand das schrecklich, wie sich Herr Biden fast wie ein Popstar hat feiern lassen." Putins Rechtfertigung des Angriffskrieges finde er "genauso schrecklich".
10/20
Bitte nochmal kurz innehalten und das sinken lassen: Klaus von Dohnanyi findet eine Rede, in der einem überfallenen Land die Solidarität versichert wird, *genauso schrecklich* wie die Rede eine Kriegsverbrechers, der diesen Überfall rechtfertigt.
11/20
Er halte nichts von der Interpretation, dass Putin als ehem. Geheimdienstler immer falsch gespielt habe und der Westen naiv gewesen sei, sagt Dohnanyi - und belegt selbst, dass er weiterhin naiv ist: 2001 habe Putin im Bundestag überhaupt nicht von der Ukraine gesprochen!
12/20
Er ignoriert, dass diese Rede die erfolgreichste PsyOp in Putins Karriere war: Indem er den geschmeichelten Deutschen Honig ums Maul schmierte, vergaßen diese, dass er in den beiden Jahren zuvor Grozny in Grund und Boden bomben ließ - wie später Aleppo, wie jetzt Bachmut.
13/20
Auf das Stichwort, dass Dohnanyi mit seiner Haltung Gefahr laufe, als Putinversteher diffamiert zu werden, sagt der den entlarvenden Satz:
"Ich bin ein Putinerklärer, und ich versuche auch die USA zu verstehen, die [mit der NATO] ihre Weltmachtposition ausweiten wollten."
14/20
Der Schlüssel, um den Krieg zu beenden, so erklärt Dohnanyi dementsprechend, „liegt in Washington“ - als hätten die USA den Krieg begonnen, nicht Putin.
An dieser Stelle sinkt er dann (weiterhin unwidersprochen, lieber @DLF!) auf Reichsbürgerniveau ab:
15/20
Wir seien "von den USA uneingeschränkt abhängig, viel abhängiger, als wir je von russischen Gas waren." Dohnanyi stellt uns damit als Vasallen Amerikas dar und setzt die Mitgliedschaft in der NATO gleich mit dem Versuch Putins, Nordstream als Waffe einzusetzen.
16/20
Und es kommt noch schlimmer. Dohnanyi greift zu einem strukturell antisemitischen Narrativ: "Europa hat in seinen eigenen Sicherheitsfragen nichts mehr zu sagen ... die USA entscheiden das alleine. Und da entscheidet das eine kleine Gruppe in Washington.“
17/20
Wenn also die USA den Krieg in der Ukraine "bis zum bitteren Ende führen wollen, was sie können, wenn sie wollen", werde keine Friedensinitiative eine Chance haben.
Es wäre eine anspruchsvolle Aufgabe die Unterschiede zu Aussagen von Putin oder Höcke herauszupräparieren.
18/20
Ich war kürzlich anderer Ansicht als @EFDavies über die Frage, ob die @SZ den jüngsten Text von Habermas nicht besser freundlich hätte ablehnen sollen. Aber sie hat recht: Es bringt der Öffentlichkeit nichts, tausend mal widerlegte Mythen ein weiteres Mal zu widerlegen, nur
19/20
weil ein Großphilosoph sie wiederholt. Der Holzweg dröhnt unter seinen Füßen genauso laut. Umso schlimmer, wenn in Sendern wie dem DLF Interviews wie das mit Dohnanyi gesendet werden, dem mit Suggestivfragen eine Bühne für befremdlichen Antiamerikanismus geboten wird.
20/20

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