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Über das Umfragehoch der #AfD sind einige einseitige, teils abwegige Deutungen im Umlauf („Die Ampel ist schuld!“, „Die Union ist schuld!“, „Wokeness ist schuld!“), manche davon spielen der AfD direkt in die Karten. Ein Versuch, den (multikausalen) Zuspruch zur AfD zu sortieren🧵
1. Der größte Sprung in den Umfragen (+5) gelang der AfD nicht (!) in den letzten Wochen, sondern ab Juli 2022 im Verunsicherungskontext von Inflation, Energieknappheit und Wirtschaftsabschwung. Die AfD profitierte, weil sie Ängste in Wut aufs "Establishment" verwandeln konnte. Image
2. Der derzeitige, moderate Aufstieg (+2) ereignet sich im Zuge der aktuellen Migrationsdebatte, in der AfD-Positionen (Zäune, Asylrecht beschneiden) etwa von Union & FDP z.T. legitimiert werden, sowie der Heizungsdebatte, die ökonomische und materielle Verunsicherung produziert. Image
3. Ursache für die Verunsicherung beim #Heizungsgesetz ist u.a., dass anfangs die Belastung sehr konkret (und überfordernd) bekannt wurde und die Entlastung (Förderung) bis heute unklar ist - verstärkt durch (Verlust-)Angstmache von der BILD („Wir haben Angst um unser Zuhause!“).
4. Der Ampel gelang es nicht soziale Ängste aufzufangen. Die Opposition hingegen kulturalisiert Veränderungsängste zusätzlich mit der Reproduktion rechtspopulistischer Alltagskultur-Narrative, z.B. "Woke-Wahn" (Söder) oder zuletzt "Energie-Stasi" ImageImage
5. Der AfD gelingt also eine angststiftende & antagonistische Kulturalisierung ökonomischer Themen, wenn es an einer ausreichenden Materialisierung sozialer Fragen durch die Regierung mangelt und die Opposition den kulturellen Diskurs mit den Schlüsselbegriffen der AfD befeuert.
6. Und wo kommen die hinzugewonnenen Umfragepunkte der AfD her? Dazu kann man nur informiert spekulieren: 1. Die AfD verlor 2021 (im Vergleich zu 2017) ca. 810.000 Wähler ans Lager der Nicht-Wähler. Einige davon wird sie im jetzigen Verunsicherungskontext wieder aktivieren können Image
7. Zweitens verlor die AfD 2021 auch viele Wähler an die FDP, von denen sie in den letzten Monaten einige zurückgewonnen haben könnte. Bei FDP-Wählern hat die AfD ohnehin noch am ehesten ein Potenzial (vgl. kas.de/de/monitor/det…). Das deckt sich mit aktuellen INSA-Daten.
8. Allein von "Protest" bei AfD-Anhängern zu reden war noch nie richtig. Die AfD-Klientel ist eindeutig rechtspopulistisch eingestellt (siehe z.B. home.uni-leipzig.de/decker/wahlpra…). In der Bevölkerung sind laut Mitte-Studie 13,5% rechtspopulistisch und 33,3% teilweise derart eingestellt: Image
9. Am meisten beunruhigen sollte die gesellschaftliche Normalisierung der sich radikalisierenden AfD. Hierzu tragen u.a. Gewöhnungseffekte, Kooperation anderer Parteien mit der AfD auf Landes- & Kommunalebene und Übernahme rechtspopulistischer Rhetorik im politischen Diskurs bei. Image
10. Abschließend: Von den anderen Parteien hängt auch ab, wie glaubwürdig das Ziel der AfD der (indirekten) Regierungsbeteiligung nach den Landtagswahlen 2024 in Ostdeutschland ist ➡️
derhauptstadtbrief.de/was-wenn-der-w…

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Jan 24
Ein merkwürdiger Text über eine merkwürdige Studie: Die CDU wollte "politische Präferenzen" von ARD, ZDF & RTL auswerten lassen. Angeblich kam raus: "Grüne und SPD kommen besonders gut weg". Die Studienmacher (Media Tenor) folgern "wozu drei Sender?". Ich habe ganz andere Fragen: Image
1. WELT nennt keine konkreten Zahlen, bezieht sich nur selektiv auf "Anteile" der Berichte über Parteien in der ARD-tagesschau, ZDF-heute & RTL-Aktuell. Bei SPD & Grüne sei "der Anteil der 'positiven' Berichte am höchsten". Die konkreten Zahlen erzählen eine ganz andere Story... Image
2. Media Tenor hat einen Teil der Daten bereits 2021 veröffentlicht: Der Anteil "positiver Berichte" ist demnach bei allen Parteien sehr gering, die große Mehrheit "neutral". Das dürfte sich 2022 kaum geändert haben, schließlich wurden Nachrichten und keine Kommentare analysiert. Image
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Nov 28, 2022
Der Begriff der "Entwertung" der #Staatsbürgerschaft (FDP, CDU/CSU) suggeriert den Staatsbürgerinnen, ein Teil ihrer Identität verliert an Wert, ihnen wird etwas genommen. Einbürgerungs-Anwärtern suggeriert es, sie sind weniger wert. Eine perfides #Framing der Ungleichwertigkeit.
Zusätzlich zur Abwertung von Menschen: Die Emotionalisierungsstrategie gegenüber den adressierten Staatsbürger/innen besteht darin, dass Menschen Verluste intuitiv vermeiden wollen. Deshalb sind Verlust-Frames so wirkungsvoll. #Staatsbürgerschaft #Einbürgerung
Besonders lebensweltlich und somit emotional ist auch die Metapher vom “Sonderangebot” oder “Ramschware”, die bei vielen Leuten das Bild vom “Grabbeltisch” beim Discouter evozieren dürfte, und auf dem angeblich ein Teil der Identität verscherbelt werden soll. #Staatsbürgerschaft
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Nov 2, 2022
Die AfD will Angst vor einem Blackout schüren. Da ein großflächiger Stromausfall aber laut Experten sehr unwahrscheinlich ist, tut sie mit ihrer neuen Seite "Blackoutmelder" einfach so, als gäbe es welche. Auf der Karte kann jede/r ungeprüft einen eingetragen (Emden war ich). 1/3
Es entsteht eine Landkarte voller "Blackouts", die es entweder nicht gegeben hat oder die einen herkömmlichen Stromausfall dokumentieren, der nicht als Blackout gelten kann. Kurze, lokale Stromausfälle gibt es natürlich, die haben aber i.d.R. nix mit der Energiekrise zu tun. 2/3
Im "News"-Bereich der Seite wird im Sinne der eigenen Desinformationserzählung über Stromausfälle im Land berichtet, die aber von lokalen Ursachen statt der Energiekrise ausgelöst wurden. Hier in Offenbach lag es z.B. an einem defekten Kabel (vgl. faz.net/agenturmeldung…). 3/3
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Oct 1, 2022
"Wir leben heute in einer Mediokratie, Medienwissenschaftler nennen das so" ist eine weitere wissenschaftlich unhaltbare Aussage von #Precht. „Mediokratie“, die Herrschaft der Medien (analog zu "Virokratie" - Herrschaft der Virologen), ist eine überspitzte & veraltete These (1/4)
Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer hat den Begriff "Mediokratie" 2001 geprägt. Demnach ersetzt die Medienmacht (v.a. bezog er sich aufs Fernsehen) die Macht des Demos und demokratischer Institutionen. In der Literatur wurde die These vielfach als überzogen kritisiert. (2/4)
"Heute" kann von Meyers Mediokratie noch weniger die Rede sein: Die Digitalisierung hat die Machtverhältnisse verändert, politische Akteure sind auf Journalismus weniger angewiesen, können mit Social Media direkt kommunizieren. Plattformen haben dagegen an Einfluss gewonnen (3/4)
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Sep 30, 2022
„Totaler Vertrauensverlust in die Medien“ wurde bei #Lanz behauptet. Zum Medienvertrauen sollte man die Medienwissenschaft konsultieren: Seit 2008 hat sich der Anteil der „Medienvertrauenden“ in der Bevölkerung fast verdoppelt. Sagt das @ifp_mainz, an dem ich auch forschen durfte Image
Hier die Behauptung zum „totalen Vertrauensverlust in die Medien“
Und hier die Studie zum Medienvertrauen: ard-media.de/fileadmin/user…
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Sep 1, 2022
Paradebeispiel #Desinformation: Ein sinnverdrehend zusammengebastelter Clip will eine Debatte über Baerbock anzetteln. Um zu behaupten, sie interessiere das eigene Land nicht, wird dieser Satz weggeschnitten:„Wir sind solidarisch mit allen in unserem Land wie auch in der Ukraine"
Hier die ganze Veranstaltung, auf der #Baerbock gesprochen hat:
Hinzukommt: @WELT füttert die Desinformationserzählung über #Baerbock mit einer falschen Übersetzung: Sie hat nicht "die deutschen Wähler" gesagt, sondern "meine deutschen Wähler" ("my german voters"). Ein wichtiger Unterschied.
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