Thread by @zineworkshop

Glaubenssätze sind in Aktivismusbereichen nichts Neues. In zeitlich engen Stressituationen und für die Aufmerksamkeit bieten Slogans und Aphorismen oder Reime einfach nachvollziehbare syntaktische Muster. Syntagma können den Umfang von "Truisms", wie sie von Jenny Holzer

angeschrieben und reflektiert werden, von Wahrheiten annehmen. Extinction Rebellion Hamburg brachte dieses Foto am 20. September 2019. "Liebe Wahrheit Mut" auf der hochformatigen weißen Fahne sind lesbar wie wissensbasierten Statements diametral entgegenstehend. Weder werden

Zusammenhänge von Klima und Erderwärmung angesprochen, noch Argumente gegen Untätigkeit dagegen auf die Praxis der direkten Aktion bezogen. Die Wörter sind allgemeinen Inhalts, referenzieren beziehungsweise verweisen aber auch auf einen ganzen Inhaltskanon.

Dieser entstammt einem religiösen Kontext, der an christliche Glaubenssysteme erinnert. Die drei Worte, eine Variation von "Glaube Liebe Hoffnung" aus urchristlichem Text im Neuen Testament, listen Tugenden auf. Extinction Rebellion "outet" sich oder zumindest ein Teil davon

als moralische Veranstaltung versetzt mit religiösen Anleihen. Die apokalyptische Note dieses "labels" bringt oft vor allem moralisch grundierte Kompetenzen zur Sprache, die gegen die Ignoranz der Macht gegenüber der Klimakrise und dem Artensterben gestellt werden, um

eine Veränderung für Entscheidungen zu erzwingen, die die drohende Apokalypse zu verhindern. Das "Hohelied der Liebe" aus dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs (1 Kor 13,1–13 EU) des Paulus von Tarsus enthält alle Schlüsselwörter, die in der Trias

auf der Fahne auftreten: Liebe und Wahrheit bis auf Mut. Mut ist die Aufforderung zur Handlung. Das Hohelied bringt Ressentiments gegen früh-aufklärerische, vor-wissenschaftliche Programme. Da Kernmoment des Christentums die Erwartung der Apokalypse ist, muss sie beschworen

werden. Denn Apokalypse bedeutet nichts anderes als Offenbarung, die das noch Versteckte sichtbar macht. Und das ist eine theologische "Wahrheit". Deren geschichtliche Finalität das Reich Gottes ist - eine Vorsehung. Dieser prophetische Anteil wird bei Extinction Rebellion

soweit säkularisiert, dass er anschlußfähig für moderne Subjekte auf Orientierungssuche ist und wieder soweit halb-religiös aufgebaut, dass er mit Dringlichkeit und Tragik und mit Trauer und Angst emotional vermixt werden kann. Die Rebellion stellt sich immanent emotional auf.

Ihr Gehalt ist tendenziell ein antimoderner Radikalismus, der das "Beyond Politics" mit Basidemokratie übersetzt und sich selbst als apolitisch bezeichnet.

Das Foto von Extinction Rebellion Hamburg wurde nachbearbeitet, schwarz-weiß gewandelt und gedreht, Gesichter verpixelt.