Hier doch noch ein paar Sätze zu dem (erneuten) Gender Studies-Bashing in der NZZ. Thread: (okay, ist etwas lang, bitte verzeiht).
1) In dem Text von Birgit Schmid werden die einzelnen (politischen) Aussagen EINER Forscherin aus EINEM Radio-Interview herangezogen, um ihre eigene Unwissenschaftlichkeit PLUS die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit der gesamten Gender Studies zu belegen.
2) Erstens: Forscher*innen dürfen sich selbstverständlich politisch äussern, sie dürfen sich sowohl als Wissenschaftlerinnen als auch Aktivistinnen äussern und/politisch tätig sein – sie können auch in einer Partei politisieren, wenn sie wollen.
3) Es gibt viele Bsp v Professoren, die auch Politiker sind: Strafrechtsprof D. Jositsch (SP Ständerat), Wirtschaftsrechtsprof. Hans Vogt (SVP-Nationalrat). sie argumentieren im Parlament nicht nur wissenschaftl., sondern auch ideologisch/politisch. Das ist legitim und erlaubt.
4) Als Wissenschaftler*in gilt es, sich in Publikationen u. Werken auf die Forschung (theoretische und method. Prämissen) zu stützen, als politisches Subjekt/Bürger, Aktivistin usw. aber kann man auch Überzeugungen verfechten.
5) (Inwiefern beides gleichwohl immer wieder verwoben ist und Forschung von politischen Vorannahmen kaum je gänzlich frei sein kann, ist Gegenstand komplexer erkenntnistheoretischer Debatten (auch INNERHALB der Gender Studies).
6) diese Fragen betreffen Wissenschaft überhaupt und sind kein Spezifikum d. Gender Studies. Zur Frage, ob Wissenschaft auch emanzipatorische/politische Perspektiven entwickeln kann und soll (auch hier nicht einfach im Sinne von „Meinung“, sondern methoden- und Theorie geleitet)
7).....--> gibt es ebenfalls komplexe Auseinandersetzungen. Innerhalb der Gender Studies so wie in anderen Disziplinen gibt es hierzu keinerlei Einheitlichkeit/Übereinkunft).
8) Zweitens: Wer unterstellt, dass politische Meinung die Forschung beeinflusst, muss das, wenn schon, systematisch an der Forschung der betreffenden Forscherin aufzeigen. Eine Beschäftigung mit den Werken der von Schmid diskreditierten Forscherin bleibt aber gänzlich aus.
9)Entsprechend zieht Schmid falsche Kausalschlüsse u suggeriert: Radiointerviewaussagen zu polit. Fragen u wissenschaftliche Tätigkeit d. Forscherin sind ein u dasselbe,zudem werden einzelne Interviewaussagen als Beweis f die gesamte Stossrichtung d. Gender Studies deklariert
10)Der Satz „Sie strebt eine andere gesellschaftliche Ordnung an“ lässt offen, ob es die Forscherin ist, die eine andere gesellschaftliche Ordnung anstrebt (ja, klar, darf sie anstreben) oder ob es die Genderforschung insgesamt ist.
11) Die Stelle spielt mit einer suggestiven Interpretationsoffenheit und macht es möglich, dass Leser*innen den Rückschluss ziehen, DIE Gender Studies hätten alle EIN bestimmtes politisches Ziel und Programm.
12) Drittens: Um ihre Thesen fachlich zu unterstreichen (offenbar ist Schmid nicht in der Lage, selbst Bücher d Forscherin oder der Gender Studies zu lesen u einzuschätzen) bezieht sich Schmid auf ein Buch, das die Unwissenschaftlichkeit d Gender Studies angebl. belegen soll.
13) Das Buch heisst «Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?» (von Harald Schulze-Eisentraut u Alexander Ulfig). Dieses Buch ist, achtung, selbst KEINE wissenschaftliche Publikation, sondern ein Publikumsbuch (Populärwissenschaft).
14) Die Herausgeber u meisten Autor*innen sind nicht an Universitäten tätig, sondern freie Autor*innen, die sich die Diskreditierung von Gender Studies zum persönl. Ziel gemacht haben und Fehden,nicht Debatten führen. In extrem fragwürdigen Onlinezeitschriften, Blogs usw.
15) Einige Beispiele: Alexander Ulfig ist freier Autor populärwiss. Bücher“,schreibt f. zeitschrift „Eigentümlich frei“, die personelle wie inhaltliche Überschneidungen mit der Neuen Rechten (Sezession usw.) aufweist.
16) Adorján Kovács schreibt für die „Freie Welt“, das Medium ist Teil des Vereinsnetzwerks Zivile Koalition der AfD-Politiker Beatrix und Sven von Storch, ultra-katholische-fundamentalistische Fraktion, extrem homosexuellenfeindlich usw.
17) Wolfang Tischner findet sich regelmässig auf Podien u.a. von „Demo für alle“ (ebenfalls homo- ua transfeindliche Bewegung). Tomas Kubelik schreibt unter anderem für Cuncti (antifeministische Plattform).
18) Heike Diefenbach ist Betreiberin d. Diffamierungs-Plattform Science Files, die regelmässig Wissenschaftlerinnen wg angebl. mangelnder Wissenschaftlichkeit angreift. Betreiber d Plattform agieren selbst extrem unwissenschaftlich (bieten wissenschaftl. Ghostwriting an usw.)
19) Dies lässt den Schluss zu: Das Buch, mit dem Schmid in der NZZ scheinbar sachlich ihre Thesen untermauert, ist selbst keine wissenschaftliche Publikation. Sein Ansinnen ist keine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten der Gender Studies, sondern eine politische Kampagne.
20)Entsprechend verwendet Schmid unkritisch Begriffe wie „Genderfeminismus“, die jegl. sachlichen Grundlage entbehren und Kampfbegriffe aus der rechtsextremen und christl-fundamentalist Ecke sind.
21) Nicht zuletzt verwendet Schmid klassisch verschwörungstheoretische Narrationen und unterstellt eine flächendeckende Infiltrierung und Vereinnahmung der staatlichen Institutionen, der Universität und Wissenschaft überhaupt durch die Gender Studies und Feminismus.
22) sorry ist etwas lang geworden :-)
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Ich möchte kurz einen Aspekt von Michèle Binswangers Rhetorik im Tagesanzeiger über das „verbotene Buch“ zu Jolanda Spiess-Hegglin analysieren. Thread:
1) Es geht um Jolanda Spiess-Hegglin, aber darüber hinaus wird der "Fall" zum Anlass für subtile antifeministische Rhetorik. M. Binswangers diskursive Vorgehensweise ist 1 Anschauungsbeispiel dafür, wie Antifeminismus zum Topos einer reaktionären Rückschlagbewegung wird.
Binswanger schreibt: 2) „weshalb ich es gerade in der heutigen Zeit, wo soziale Medien und Feminismus den Zeitgeist bestimmen, wichtig finde, dass die Öffentlichkeit nicht nur die eine Seite der Wahrheit erfährt.“
Feminismus wird zur Gefahr stilisiert, zur Anti-Wahrheit
Wie und warum ehemals linke Männer nach rechts wandern. Eine Analyse von Georg Seeßlen:
"Den Übertritt von der Linken zur Rechten ist nahezu immer mit einer Geste der Selbst-Viktimisierung verbunden. Der Ex-Linke betritt die rechte Bühne bereits mit der Mine des Verfolgten, 1/
des Gekränkten, des Opfers „weltweiter Kampagnen“, Opfer der politisch Korrekten, Queeren und Frauen. Unter anderem darf so die Selbstüberschätzung ex negativo fortgesetzt werden. 2/
Die aggressive Selbst-Viktimisierung, eine Spezialität der mehr oder weniger Neuen Rechten, erlaubt es überdies, nun seinerseits die Schranken der gepflegten und „fairen“ Auseinandersetzung zu überspringen. 3/
Spannend und wusste ich nicht: Die Nachgeordnetheit der Eva steht so nicht in der Schöpfungsgeschichte. Diese Hierarchie wurde erst im Zuge späterer frauenfeindlicher Überlieferungen stark gemacht.
1/
Gott schuf Eva als Gleichrangige. Im herbräischen Orginaltext steht „eser kenegdo“, das übersetzt werden kann mit „eine Helferin, die ihm entspricht“. Und den Job auf der Erde gemeinsam angehen soll. Frauen &Männer brauchen sich zwar, aber herrschen nicht übereinander.
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Erst Luthers Übersetzung „Gehilfin“ weist Eva und ihren Nachkommen eine nachgeordnete Assistenzposition zu.
Ferner ist Gott auch nicht zwangsläufig männlich. Denn:
3/
Das "Weibliche" wurde kulturhistorisch im Verhältnis zum Männlichen bestimmt: der Penis ist die Norm, die Frau ist die Abweichung & leidet an Penis-Mangel (Freud). Der Mann ist das Universelle, Allgemeine,die Frau das andere, das spezielle. Mann=Mensch, Frauen=Geschlecht
1/
Die Kategorie Frau basiert, historisch gesehen, auf patriarchalen Zuschreibungen. Der Mann definierte, die Frau wurde definiert.
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Wenn nun Frauen bzw. Menschen, die menstruieren, sich selber markieren und für ihre speziellen Belange und Situationen eintreten – etwa wenn sie sich dafür einsetzen, dass Menstruationartikel gratis sein sollten – reagieren manche Männer extrem angepisst.
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Warum tut man sich in der Schweiz mit der Pandemiebekämpfung so schwer?
Die Gründe sind vielfältig. Ein Grund ist die vorherrschend gewordene rechtspopulistische Mentalität.
Thread:
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Dazu gehört 1) Anti-Elitismus. Zu den sog Eliten werden auch Expertinnen & Wissenschaftler gezählt. Sie stehen in der populistischen Mentalität unter Verdacht, korrupt zu sein & den Willen des „Volkes“ zu hintergehen. Wissenschaftl. Erkenntnissen wird grundlegend misstraut
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(die SVP verbreitete, Wissenschaft wäre "links-grüne Ideologie", bis 2015 wurde Klimawandel im Parteiprogramm geleugnet, man zitierte Bücher des verschwörungsorientierten Kopp-Verlag, etwa "Rote Lügen in grünem Gewand: Der kommunistische Hintergrund der Öko-Bewegung")
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40 Prozent der Frauen geben an, Sexismus in ihrem Alltag nicht so schlimm zu finden. Wie kommt es dazu?
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Gemäss Studie „Sexismus im Alltag“ (2020) gibt es einen Schutzmechanismus, sich von Übergriffen und Angriffen auf die sexuelle Selbstbestimmtheit und Würde nicht betreffen zu lassen. Der Mechanismus besteht darin, sexistischen Übergriffen Harmlosigkeit zuzuschreiben
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Frauen beschreiben, dass sie in übergriffigen Situationen zwar besser offensiv auf Kommentare oder Angriffe reagieren sollten, aber oft darauf verzichten, weil sie zu überrascht sind, sich dem Angreifer oder der Männergruppe körperlich unterlegen und ohnmächtig fühlen
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