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BVerfG zur Ausland-Auslands-Fernmeldeüberwachung des BND: Maßnahmen nach BNDG sind verfassungswidrig, Gesetzgeber muss ändern. Voller Sieg für @ReporterOG, @freiheitsrechte und @BackerMatthias.
Einige Details:

- BVerfG hat die Maßnahmen nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber eine Frist zur Abhilfe gesetzt.
- Die "Ausländertheorie" des BND ist tot. Grundrechte, die Menschenrechte sind, schützen auch Ausländer im Ausland. Das gilt jedenfalls für Abwehrrechte.
- Die Auslands-Auslands-Fernmeldeüberwachung ist deshalb schon ganz simpel am Zitiergebot gescheitert (das Gesetz "erkennt nicht an", dass es in das Fernmeldegeheimnis eingreift). Aber auch die verfassungsrechtlichen Checks und Balances sind nicht eingehalten.
Hier die Pressemitteilung des BVerfG: bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pre…
Weitere Highlights auf Basis der Pressemitteilung:

- Die Neufassung muss Spezialregelungen zum Schutz u.a. von Journalisten und Rechtsanwälten enthalten
- Weitergabe der Daten an ausl. Geheimdienste wird eingegrenzt. Daten als Handelsware des BND sind damit hoffentlich vom Tisch
- Das BVerfG bemängelt das Fehlen einer "ausgebauten unabhängigen objektivrechtlichen Kontrolle". Die Zersplitterung der Aufsicht hat wohl nicht die Zustimmung des Gerichts gefunden.

Notwendig: "kontinuierliche Rechtskontrolle" und "umfassender Kontrollzugriff".
Made my day: Das BVerfG sagt, dass es den Schutz von Ausländern durch deutsche Grundrechte gerade deshalb als notwendig ansieht, weil der Grundrechtsschutz sonst durch Geheimdienstkooperationen unterlaufen werden kann.
Bislang nutzen Geheimdienste einen "Ringtausch", um gesetzliche Schranken der Überwachung zu umgehen: Jeder Geheimdienst überwacht dabei die Bürger des jeweils anderen Staates und gibt die Erkenntnisse dann dorthin weiter.

Auch hierbei gelten Grundrechte, sagt nun das BVerfG.
Auch die sog. #Funktionsträgertheorie des BND (laut der Menschen angeblich keine Grundrechte haben, wenn sie in einer beruflichen Funktion für eine ausländische juristische Person handeln) verwirft das BVerfG explizit:
Folgende "Checks und Balances" sieht das BVerfG als zwingend notwendig an für eine Auslands-Auslands-Telekommunikationsüberwachung:

1) Volumenmäßige Beschränkungen des überwachbaren Verkehrs für die jeweiligen (!) Übertragungswege.
2) BVerfG differenziert zwischen automatischer Filterung/Scanning und manueller Sichtung. Der ohne Rechtsgrundlage erhobene Inlandsverkehr muss vor manueller Sichtung nach Stand der Wissenschaft und Technik ausgefiltert werden.
👆Dies war übrigens ein zentrales Argument auch in den Klagen des DE-CIX gegen die Fernmeldeüberwachung des BND. Auch automatisiertes Scanning muss rechtmäßig sein.
3) Spannend: BVerfG erlaubt dem BND zwei Kategorien von Überwachungszwecken: (1.) Gefahrenabwehr bzw. Früherkennung von Bedrohungen, (2.) Vorbereitung von Entscheidungen der Bundesregierung. Bei (2.) sind Zweckänderungen (d.h. Verwertung von Zufallsfunden) aber ausgeschlossen.
Die Operationalisierung dieser Vorgabe wird spannend. Das BVerfG spaltet die Auslands-Auslands-Fernmeldeüberwachung damit in zwei Kategorien auf. Dies dürfte schon bei der Erstellung der Suchbegriffe (Selektoren) beginnen und zu zwei voneinander getrennten Datenbanken führen.
4) Der Grund und Anlass der Überwachungsmaßnahme muss zukünftig genauer beschrieben und umgrenzt werden, auch um den Grundrechtsschutz durch Verfahren zu verbessern und die Verhältnismäßigkeit der Datenverwendung prüfen zu können.
5) BVerfG erlaubt dem BND grundsätzlich eine eigene #Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten, sagt aber: Maximal 6 Monate. Und, wichtiger: BND darf Daten nicht als "Beifang" aus Datenverkehren erheben, auf die er technisch Zugriff hat, obwohl er sie gar nicht überwachen darf.
6) Die "strategische" Überwachung darf auch gezielt personenbezogen erfolgen (z.B. mit Namen oder Email-Adresse als Suchbegriff). Aber: Sie muss dann auch als solche behandelt werden. Es muss einen zusätzlichen Schutzmechanismus geben.
👆Auf Basis der Pressemitteilung ist mir noch nicht klar, was mit dem "eigenen Schutzmechanismus" gemeint ist. In der bisherigen Rspr. des BVerfG erfordert die gezielt personenbezogene TK-Überwachung konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr oder einen Tatverdacht.
7) Notwendig sind Maßnahmen zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern. Das war eines der Kernanliegen von @ReporterOG - mit Erfolg.

BND hatte eingewandt, bei Schleppnetz-Überwachung ließen sich schlecht Einzelpersonen ausnehmen.

Das BVerfG entgegnet nun:
- Trotzdem müssen diese Personen zumindest dann geschützt werden, wenn sich Suchbegriffe gezielt auf sie beziehen

- Jedenfalls dann, wenn auffällt, dass es sich um solche Personen handelt, muss deren Kommunikation ausgefiltert werden.
8) Weitere unverzichtbare grundrechtsschützende Maßnahmen:

- Kernbereichschutz (insbesondere Intimsphäre)
- Löschungspflichten und -fristen
9) Weitergabe der Daten ins Inland:

BND darf Ergebnisse an andere deutsche Behörden, die nicht "strategisch" überwachen dürfen (z.B. Polizei und Bundesverfassungsschutz) nur dann weitergeben, falls eine "hypothetische Datenneuerhebung" durch diese Behörden zulässig wäre.
👆Diese Einschränkung ist auch deshalb wichtig, weil der BND bei der strategischen Telekommunikationsüberwachung mittlerweile auch Befugnisse hat, die sehr nah an Polizeiaufgaben herangerückt sind, z.B. bei Bekämpfung von Menschenschmuggel und Hacking.
10) Weitergabe der Daten ins Ausland (an andere Geheimdienste) wird eingeschränkt.

- Der "Ringtausch" ist generell, ohne Ausnahme, untersagt. BND darf nicht per Tauschgeschäft Daten über Inländer sammeln.
- BND darf nicht ausl. Dienste bei TK-Überwachung im Inland unterstützen.
11) Kooperationen mit ausl. Geheimdiensten bleiben zulässig, werden aber begrenzt.

- Nutzung zugelieferter Selektroren ist zulässig, aber nur nach Prüfung sowie "Plausibilisierung" durch den anderen Geheimdienst
- Anderer Dienst muss "gehaltvoll" Grundrechtsschutz zusagen
- Etwas hart finde ich, dass der BND offenbar sogar die auf Vorrat gespeicherten Verkehrsdaten an andere Dienste weitergeben darf - offenbar allerdings "nicht kontinuierlich", und nur wenn der "Partner" zusagt, die Daten nach 6 Monaten zu löschen.
👆 An dieser Stelle bin ich skeptisch: Wenn der BND etwas "nicht kontinuierlich" durfte, dann hat er bisher einfach die "nicht kontinuierlichen" Maßnahmen lückenlos aneinander gereiht. Und dass andere Geheimdienste deutsche Löschfristen einhalten, halte ich für unwahrscheinlich.
12) Die bisher i.W. nur durch das Unabhängige Gremium (UG) gewährleistete externe Kontrolle muss ausgebaut werden. Notwendig sind:
- Kontinuierliche+umfassende Kontrolle, keine Einschränkung der Überwachungsbefugnisse
- Gerichtsähnliche Kontrolle, teils "ex ante" (also vorab)
...
- Administrative Kontrolle, die stichprobenartig alles prüfen kann
- Eigenständigkeit: Eigenes Budget, eigene Personalauswahl, eigenes Ermessen bei "ob", "wie" und "wo" der Kontrolle des BND
- Kontrollinstanzen müssen miteinander sprechen dürfen
- Kritik darf veröffentlich werden
Zusammengefasst: Ein Urteil, das mich zu 99 % nicht überrascht. Das BVerfG setzt seine bisherige Rechtsprechung zur strategischen Überwachung fort. Die "Theorien" des BND (#Ausländertheorie, #Funktionsträgertheorie) hat das BVerfG allesamt verworfen.
Insgesamt ist das Urteil ein Meilenstein für den Schutz der Menschenrechte in der digitalisierten Welt. Das BVerfG zeigt anschaulich, dass das Fernmeldegeheimnis im 21. Jahrhundert weiterhin gebraucht wird.
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