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Ich habe mir (HT @articolo71) "Freiheit Fankurve - Die Kultur der Ultras" bei @ARTEde angesehen - eine 7-teilige Mini-Serie mit Kurzfilmen über die Fankultur verschiedener Städte/Vereine. Ich finde, sie sind sehr unterschiedlich - auch qualitativ. 1/20
arte.tv/de/videos/RC-0…
5 Orte (Bordeaux, Saint-Étienne, Marseille, Lyon, Lens) liegen in doppelter Hinsicht naheliegend in Frankreich, hinzu kommen Liverpool+Donezk, kein deutscher Standort, etwas merkwürdig für einen dt.-frz. Sender. 🤷‍♀️ Die Mischung ist insgesamt ein bisschen crazy. 2/20
3 Filme (Bordeaux, Liverpool, Donezk) sind von Dimitri Kourtchine @KourtchineDimit, 2 (Marseille+Saint-Étienee) von Pauline Horovitz, und jeweils einer von Maxence Voiseux (Lyon) und Frédéric Hocké+Mohamed El Khatib (Lens). Ich fange mit letzterem an: 3/20
Mohamed El Khatib hat bereits in seinem Dokumentartheaterstück "Stadium" Fans von RC Lens auf die Theaterbühne gebracht. Der Film, der den bekannten Vorsänger Ludovic ("Ludo") aus seiner Perspektive erzählen lässt setzt dieses Unternehmen in gewisser Hinsicht fort und ... 4/20
... ist vielleicht die konventionellste Folge der Serie. Sie zeigt uns Ultras von Lens beim Marsch auf dem Weg ins Stadion, während "Ludo" kommentiert. Man erfährt hier imo nichts überraschendes. Ultras singen, sie prügeln sich, sind treu, dies das, so plätschert es dahin. 5/20
Sehr mäßig sind für meine Begriffe die beiden Filme von Pauline Horovitz über ASSE und OM. Hier hat man 2 der (maybe DIE beiden) wichtigsten franz. Szenen am Start, aber es gelingt einer nur mäßig interessierten Filmemacherin nicht, das angemessen darzustellen. 6/20
Die einzige Frau unter den Autor:innen wählt eine Draufguck-Perspektive, bei der ihre eigene, (Upper-Middle-Class?)-Distanz jederzeit spürbar ist. Immerhin lässt sie mit "Cécile" (MTP/Les Cagoles) aus Marseille die einzige Frau der gesamten Serie als Protagonistin sprechen. 7/20
Warum sie sich aber als einzige dafür entschieden hat, in den wenigen Minuten einen Off-Text einzusprechen, der nicht nur überflüssig ist, sondern auch noch die eigene Ahnungslosigkeit ("Ich gehe nicht zu Konzerten und meide Stadien ...") betont, ist ein einziges Rätsel. 8/20
Ich gebe zu, dass ich mit diesem Reporter:innnen-reden-über-sich-Quatsch jenseits von autobiographischem Material eh nicht so viel anfangen kann. Ich würde gerne mal wissen, wie valide die entsprechende Medienforschung wirklich ist, die behauptet, das Publikum wolle das so. 9/20
Wir erleben dadurch weniger die Welt derjenigen, um die es gehen sollte, hören dafür aber die Sichtweisen einer unsichtbaren Autorin, die imo vollkommen irrelevant sind. Dass sie an beiden Orten eher die erste Generation trifft, wäre nicht so schlimm, wenn man mehr erführe. 10/20
Sehr berührend+überzeugend dagegen das Lyon-Porträt von Maxence Voiseux, der vor allem die Klassenfrage aufmacht, die untrennbar mit der Ultrà-Bewegung verknüpft ist. Der Verrat am Vater, der Verrat des Vereins an seinen treuesten Fans, der Verrat des modernen Fußballs ... 11/20
... an denjenigen, die ihn groß gemacht haben: All das gießt Voiseux in meisterhafte zehn Minuten, die man gesehen haben sollte. Am Ende wird mir die Überhöhung der Vater-Figur genau wie bei Eribon und Édouard Louis zu viel und zu pathetisch, aber dennoch: großes Kino. 12/20
Dimitri Kourtchine steuert gleich drei extrem starke Filme bei: Der Liverpool-Film hat zwar nichts mit Ultras zu tun (some might say: like England😝), handelt dafür aber erneut auf sehr eindrucksvolle Weise von der Verdrängung der Working Class aus den Stadien. 13/20
On a side note: Man erfährt hier auch wieder einmal, warum das YNWA-Gesinge jenseits der Anfield Road endlich aufhören muss. Weil: Liverpool, weil: Hillsborough, weil: It's just not your fucking song. Stop it already. Looking at you, St. Pauli, Dortmund, usw. 14/20
In Donezk sieht man dann Ultras, die in einen echten Krieg verwickelt werden. Protagonist Vitali muss aus Donezk nach Kiew fliehen, sein Verein hat keine Heimspiele mehr. Nebenbei wird dadurch auch die Gewalt-Hysterie hierzulande der Lächerlichkeit preisgegeben. 15/20
"Wir waren nur Jungs, die sich gerne mal schlugen", erzählt Vitali von der Zeit vor dem Krieg. Vielleicht könnten Polizei, IMK und manche Medien diese Differenz zwischen Krieg+Ultra zum Anlass nehmen, ihr permanentes Kriegsspielen einzustellen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 16/20
Genau um diesen entgrenzten Sicherheitsdiskurs dreht sich ein weiteres Highlight der Serie, nämlich die Bordeaux-Folge. Es wird deutlich, dass die dauernde Thematisierung einer angeblich überhand nehmenden Gewalt keine zufällige ist. 17/20
Sondern dazu dient, ein cleanes Produkt namens Fußball an zahlungskräftige Ober- und Mittelschichten zu vermarkten, mit Stadien als Shopping Center mit integriertem Rasen und entsprechenden Renditen. Es handelt sich um einen Klassenkonflikt par excellence. 18/20
Der von oben geführt wird von einer Funktionärs- und Besitzer-Elite reicher Clubs, die keinerlei moralisches oder sonstiges Problem mit RB Leipzig oder Regimen wie Katar haben, dafür aber mit vereinsinterner Demokratie, Salary Caps und "Jungs, die sich gerne mal schlagen". 19/20
Die Mittel sind Preiserhöhungen, Sitzplätze, personalisierte Tickets, Überwachung, Alkohol-, Stadien- und andere Verbote - die natürlich nicht als "Gewalt" gelten. Auch Corona lässt sich dafür trefflich instrumentalisieren. Davon erzählt die Arte-Serie - avant la lettre. 20/20
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