Ein Einzelfall.

Polizisten sollen schwarze Männer rassistisch beleidigt und körperlich misshandelt haben. Es gibt Gerüchte über Scheinhinrichtungen, Geschichten darüber, dass Polizisten Gefangene gezwungen haben sich nackt auszuziehen, um sie mit Insektenspray zu besprühen.

/1
Ehemalige Polizisten berichten von Rassisten und Rechtsextremen in Uniform.

Die Polizeiführung und das Innenministerium reagieren so, wie sie immer reagiert haben: Gar nicht. Als der Polizeiskandal immer größere Kreise zieht, kommt Bewegung in die Sache.

/2
Man einigt sich auf dieselbe Wortwahl, die man immer schon gebraucht hat, um Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei zu beschreiben:

Ein Einzelfall.

Das war vor 25 Jahren. Die Geschehnisse sind als “Hamburger Polizeiskandal” in die Geschichtsbücher eingegangen.

/3
Seitdem gab es weitere Einzelfälle. Polizeipanzer, die mit einer Schrift bedruckt wurden, die an das Dritte Reich erinnert. Rechtsextreme Magazine hinter der Windschutzscheibe eines Polizeifahrzeugs, Hakenkreuze, die in Polizeischulen auftauchten, ...

/4
... eilig abgerissene Nazi-Sticker auf Polizei-Schlagstöcken, ein Dienstplan, auf dem sich ein Polizist mit dem Namen “Uwe Bönhardt” eintrug, Whatsapp-Gruppen, in denen Hitlerbilder, KZ-Bilder, Nazi-Bilder, Hakenkreuz-Bilder ausgetauscht werden.

/5
Und immer wieder heißt es:

Ein Einzelfall.

Wie kann das sein? Wie wahrscheinlich ist es, dass all diese Vorfälle Einzelfälle sind? Vorfälle, die seit Jahrzehnten deutschlandweit in die Öffentlichkeit dringen? Und keineswegs bleibt es bei Worten, Bildern oder Karikaturen.

/6
Im Falle des NSU haben Polizisten und Verfassungsschützer mit Nazis kooperiert. Mit Terroristen, die 10 Menschen ermordet haben. Unter Ihnen auch eine Polizistin.

/7
Im Falle Oury Jallohs kann man davon ausgehen, dass Polizisten einen Menschen erst schwer verprügelt und anschließend angezündet haben, mutmaßlich weil er schwarz war. Und immer wieder heißt es:

Ein Einzelfall.

/8
Jede Institution, die von außen in die Polizei hineingeschaut hat, hat feststellen müssen, dass sich Rassismus und Rechtsextremismus virulent in der Polizei ausbreiten. Das menschenfeindliches Gedankengut Raum hat, sich ausbreiten kann, nicht sanktioniert wird.

/9
Dass rechtsextreme Straftäter, dass rassistische Gewalttäter in der Polizei keine Konsequenzen befürchten müssen. Dass sie sich derart sicher fühlen, dass sie sich in Terrororganisationen zusammenfinden. Organisationen, die “Hannibal”, “Nordkreuz”, “Gruppe S.” heißen ...

/10
... und in denen Patronen, Leichensäcke und Löschkalk gehortet werden. All dies mit dem Ziel die staatliche Ordnung zu stürzen, Menschen zu töten, vermeintlich Fremde zu vernichten.

/11
Und immer wieder heißt es, all diese Vorfälle, diese strukturellen Verfehlungen seien Einzelfälle. Seien nicht repräsentativ für einen “latenten” Rassismus in den Sicherheitskräften, struktureller Rechtsextremismus sei kein Problem bei der Polizei.

/12
Schließlich, so lässt der Bundesinnenminister verlautbaren, sei Rassismus verboten. "Generalverdacht" und "Pauschalurteile" seien keineswegs angebracht, angesichts der "überragenden" Arbeit, die die Polizei jeden Tag leiste.

/13
Nun hat die @StayBehindFd eine "Einzelfallkarte" erstellt. Eine Karte mit "Einzelfällen", die in den vergangenen Jahren öffentlich wurden. Einzelfälle, die häufig erst durch die investigativen Recherchen von unerschrockenen Journalist*innen ans Tageslicht kamen.

/14
Vor dem Hintergrund, dass es keine unabhängigen Ermittlungsbehörden gibt, keine Polizeibeauftragten, die den Opfern von Polizeigewalt ans Anlaufstelle dienen, keine überbehördliche oder wissenschaftliche Aufsicht, die die strukturellen Entwicklungen der Polizei begleitet ...

/15
... kann diese Karte nur die Spitze eines Eisbergs darstellen. Die Dunkelziffer ist aller Voraussicht nach immens.

Eines ist sicher. Die rassistischen und rechtsextremen Grenzüberschreitungen in der Polizei sind weder Zufall noch Ausnahme. Sie sind strukturell und latent.

/16
Doch egal was sie sind, eines sind sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht:

Ein Einzelfall.

/17


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5 Oct
Anscheinend wird gerade aus CDU-Kreisen meine Entlassung vom NDR gefordert, weil irgendeine Superspürnase "nd" und "NDR" miteinander verwechselt hat.

Kannste Dir nicht ausdenken sowas.

Und was meine kolportierte Nähe der CDU zur AfD angeht, eine kleine Zusammenstellung:

/1
"Thüringer CDU-Politiker fordern Gespräche mit AfD"

/2


spiegel.de/politik/deutsc…
Chef der sächsischen CDU-Landtagsfraktion "schließt ein Bündnis mit der AfD nach der Landtagswahl 2019 nicht aus, denn "das gebietet der Respekt vor den Wählern"".

/3


zeit.de/2018/41/wahlka…
Read 20 tweets
4 Oct
Naja...

Anbei ein kleine Auflistung warum sich eher die Junge Alternative über den Zusammenhang mit der Jungen Union empören sollte.

/1
„Junge Union: Die Nazi-Party und die viel zu späte Reue“

/2


bz-berlin.de/berlin/junge-u…
„Ausgerechnet zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November singen Mitglieder der Junge Union ein Wehrmachtslied - und schimpfen über „Schwuchteln““

/3


tagesspiegel.de/berlin/berlin-…
Read 6 tweets
3 Oct
Na gut, dann lasst uns mal über das "fehlende Fürsorgesystem" sprechen. Über die fehlende Fort- und Weiterbildung in der Polizei und über die eklatante Mangelwirtschaft, die absurderweise von ebenjener CDU verursacht wurde, die nun all das beklagt.

Ein Thread.

/1
In Sachen Fortbildung gibt es 3 vorherrschende Situationen:

1. Es gibt keine Angebote.

2. Es gibt Angebote, aber die Beamten werden aus Mangel an Einsatzkräften nicht für die Weiterbildung freigestellt.

3. Es herrscht Unverständnis über die richtige Priorität der Angebote.

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Alle diese Verhältnisse sind bereits in sich eine Katastrophe. Denn, und dies ist eine Binsenweisheit, jede Stärkung von sozialer und interkultureller Kompetenz, von Deeskalation und Kommunikation verbessert die alltägliche Arbeit der Polizei mehr als jedes Sturmgewehr.

/3
Read 17 tweets
29 Sep
Eine interessante Kolumne von @NikolausBlome, die mich zum Nachdenken gebracht hat.

Ich finde sie lesenswert, weil sie das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und dem Aushalten der Rückständigkeit Einzelner beleuchtet.

/1


spiegel.de/politik/deutsc…
Auch wenn ich nicht allem zustimme: Wir müssen uns gesamtgesellschaftlich die Frage stellen, an welchen Stellen wir die Grenze dessen ziehen, was sagbar, was aushaltbar, was hinnehmbar ist.

Demokratie bedeutet eben auch Pluralismus, Vielfalt und Meinungsverscheidenheit.

/2
Was dem Text fehlt ist der kurze Hinweis, dass in unserer Gesellschaft immer schon die Rückständigen den Ton angegeben haben. Diejenigen, die die Furcht vor dem Neuen, dem Anderen, dem Fremden geschürt haben. Das gilt ja nicht nur für die CDU und Friedrich "Leitkultur" Merz.

/3
Read 8 tweets
25 Sep
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.

Einerseits freue ich mich, dass die Polizei nun die Nazi-Kollegen in ihren Reihen verfolgt.

Andererseits möchte ich am liebsten ihre Köpfe in dieselbe Jauche tauchen, die sie uns jahrzehntelang vorgesetzt haben.

Ein Thread:

/1
Man kann das nicht oft genug, intensiv genug und hart genug formulieren.

Seit den 1990er Jahren höre ich trotz aller offensichtlichen und gegenteiligen Erkenntnisse, dass es keinen Rechtsextremismus, keinen Rassismus und keine Neonazi-Terroristen in der Polizei gäbe.

/2
Dass Polizist*innen nicht gesetzeswidrig handeln würden, dass sie keine unverhältnismäßige Gewalt gegen Obdachlose, Linke, Grüne einsetzen würden. Dass sie vor Gericht nicht lügen würden. Dass es keine #Copculture gäbe. Dass keine strukturellen Probleme existierten.

/3
Read 40 tweets
21 Sep
Die #BILD ist wieder da. Anbei ein Rekonstruktion, wie sie, gemeinsam mit Friedrich Merz, Medien & Politik vor sich hertreibt.

Ein Thread:

Die BILD stellt verloren gegangenes Vertrauen wieder her. Und nein, damit ist nichts gemeint, was „Kinder betrifft“ (Stichwort: Solingen).
Gemeint ist vielmehr das verloren geglaubte Vertrauen in ihre Fähigkeit politische Kampagnen lautstark in den öffentlichen Diskurs zu überführen - und nebenbei Wahlkampf für ihre Lieblingspolitiker zu machen.

In diesem Fall: Friedrich Merz.
Merz und BILD teilten in der jüngeren Vergangenheit dasselbe Schicksal. Beide machten ihre Inhalts- und Konzeptlosigkeit durch krachlederne Reminiszenen an die „gute alte Zeit“ wieder wett.

bildblog.de/104902/bild-am…
Read 31 tweets

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