Mein Papa ist nicht mehr.
Bernd Pfister (02.04.1942 - 09.10.2020). Image
Meine Grossmutter, die ich nicht mehr erlebt habe, hatte meinen Papa als Grafikerin ein Fotoalbum gebastelt. ImageImageImageImage
Mein Papa ist wie mein Grossvater in Prag geboren. ImageImageImage
Aufgewachsen ist mein Papa in der Rumunska im Vinohrady. Meine Grosstante Medi hat im Haus der Familie noch bis zur Jahrtausendwende gewohnt. Image
Es war mitten im Krieg. Sein Vater war gerade eingezogen worden, war aber auf dem Weg an die Ostfront schwer verletzt worden und verbrachte meines Wissens die letzten Jahre als Zivilingenieur in Prag. Image
Der Krieg und das NS-Regime finden im Buch bis auf ein Bild meines Grossvaters in Uniform keine Erwähnung ImageImage
Mein Papa erzählte mir früh vom Krieg und auch - ganz ohne Bitterkeit - von der Ausreise nach Wien nach dem Krieg. Sie hatten freiwillig ausreisen können, mussten aber Geld, Habe und Verwandte zurücklassen. Die Bilder der Zerstörung haben mich als Kind fasziniert. ImageImage
Aus der Zeit stammt vermutlich die Bewunderung meines Papas für die USA. Er hatte sogar eine ganz kleine 🇺🇸 Fahne in seinem Büro hängen. Interessanterweise hat er aber auch nie ein schlechtes Wort über die ČSSR oder die Sowjetunion verloren. Seine ganze Verachtung traf nur Nazis. ImageImage
Der kleine „Bertl“ ist übrigens mein Papa im Kurier. Image
Dann ab Drei und bis zuletzt gab es bei meinem Papa nur die grösste Wien-Liebe. Es ist arg im Nachhinein zu sehen wieviel Orte wir beide teilen. ImageImage
Bis in die 1970er Jahre wohnte er dann in ihrer Wohnung in der Strozzigasse. Er ging zu Fuss in seine Schule. Und in der Distanz ging es sich angeblich dreimal aus den „Gschupften Ferdl“ zu singen. Im Gegensatz zu mir konnte er Wienerisch reden wenn er wollte.
Das Theater am Kärntnertor war sein Lieblingscabaret und war prägend für seinen Humor wobei er Bronner immer dem Qualtinger vorzog. Er mochte immer den „feinerern“ Humor, der natürlich aber such immer etwas zahmer war.
Aus der Zeit - auch geprägt durch die französische Schule - stammte auch seine Liebe zu Fernandel und Tati. Mir hat er sich mit seiner Pfeife im Mund als „Hulot“ vorgestellt. (Man muss dazu die Filme gesehen haben)
Wobei er mir die Filme immer nur empfohlen hat und nie mit mir geschaut. Ich glaub er hätte gern mehr Nähe gehabt, wusste aber nicht wie.
Von seiner Mama hat er übernommen, gerne einzelne Aspekte seiner privaten Projekte unvollendet zu lassen. In unserer ersten Wohnung lebten wir fünf Jahre in einem ungefliesten Bad. Der Estrich hatte aber seinen eigenen Charme. ImageImage
Mit meiner Urgrossmutter Blanka in Millstatt. Blanka war für meinen Papa ein Fenster in die Monarchie, das er nie ganz geschlossen hat. Image
Die Photoalben danach sind vor allem von den Reisen. Immer Österreich und ganz viel Italien. Rimini, Venedig Florenz. Ab 1960 wurde dann ein Haus mitten im Wald beim Lengbachl gebaut. ImageImageImageImage
Mein Grossvater hat bis zuletzt den Habitus des Mathematik-Uni-Professors gelebt. Tatsächlich war er Zivil Ingenieur wie später sein Vater. Image
Seine Mutter hat mein Papa abgöttisch geliebt und bewundert. Ich weiss aber nicht, wie sie wirklich als Mutter war. ImageImage
Gern hat er mir erzählt, wie er als Student nachts betrunken nachhause kam und sich seine Mutter dazu gesetzt und mitgetrunken hat. Kommuniziert haben sie mit witzigen Post Its am Kühlschrank. Image
Mein Grossvater - der Herr im Hut - hat nach dem Krieg übrigens eine Genehmigung der Stadt Wien bekommen Tauben mit dem Flaubert Gewehr zu schiessen. Angeblich. Ich glaub nicht, dass er das jemals in die Tat umgesetzt hat. Image
Seinen Grossvater Carl - hier mit seinem Papa Josef und seiner Grossmutter Blanka im Bild - hat mein Papa nie kennen gelernt. Image
Als Jugendlicher hat mein Papa gern gezeichnet: vor allem Autos, Flugzeuge, Kriegsschiffe und Kreuzgewölbe. Image
In seinen Teenagerjahren hat er dann ein südpazifisches Königreich erfunden. Trovatoria. Image
Landkarten, Stadtpläne, Verkehrsknoten, Architektur und natürliche Kriegsschiffe wurden gezeichnet. Image
Er erfand das Land 1958. Es war eine ehemalige preußische Kolonie. Seit 1917 konstitut. Monarchie mit zwei frei gewählten Kammern, enger Verbindung zur USA aber in der Nomenklatur des Militärs und der Verwaltung noch durchspickt von NS-Begriffen: Wehrmacht, Gauleitung. Image
Ende der 1950er als 15jähriger zeigten sich dann doch noch antikommunistische Sentiments. Spannend, das davon später nichts mehr zu spüren war. Jetzt wüsste ich gern, was seine Meinung wann geändert hat. Image
Mit dem 1. Gymnasium / der 6ème kam mein Papa ins Lycée. Damals noch in der französischen Besatzungszone. Er hat schnell Französisch lernen müssen und war absurd stolz schon in den ersten Jahren bei den jährlichen Concours den 3. platz gewonnen zu haben. Preis waren diese Bücher Image
Dabei war es ihm sehr wichtig mir in seinen Erzählungen zu versichern, dass er ein ur schlimmer Schüler war mit einem Rekord an „Retenus“. Unangepasstheit war ihm sehr wichtig.
Er hat Zeit seines Lebens seine Biographie sehr bewusst selbst gestaltet. Ich werde nie herausfinden wie und wer er wirklich war. Für mich war es teilweise schwer mit ihm mitzuhalten.
Ich glaub er war sehr oft der Neue, der Zugereiste, der ohne Netzwerke und musste sich immer wieder neu beweisen. Das hat er mehrfach geschafft. Es ist aber fraglich, ob er je das Gefühl hatte das erreicht zu haben.
Durch die Unterbrechungen - der frühe Tod meines Urgrossvaters, die Reise von Prag nach Wien - mangelte es meinem Papa an Traditionen. Deswegen hat er ganz viele erfunden. Viele halte ich heute noch ein. Manche zum Glück aber auch nicht.
Quasi ausgelebte Invented Traditions (Hobsbawm & Ranger)
Mit zehn kam mein Papa ins Lycée und hat sich anfangs noch extrem ins Zeug geworfen. ImageImage
Von da an ging’s bergab. Von Esprit Vif zu Könnte wesentlich mehr leisten. ImageImageImage
Da gab es schon recht geistreiche Lehrer: „Beaucoup de réfléxions, pas assez de réfléxion.“ Image
Mit 15 kam dann die erste Punition. Image
Das eskalierte rasch. Image
Dann im letzten Jahr gleich zwei Disziplinarverfahren. Die Drohung, dass er das nächste Mal aber wirklich von der Schule verwiesen würde verliert aber beim zweiten Mal an Schärfe. ImageImage
Die Zeit muss ihn sehr geprägt haben, denn mir hat er vor allem von seiner Schulzeit erzählt. Voller Stolz auf deine Renitenz. Angepasstheit war ihm ein Gräuel. Zugleich muss ihn das alles extrem gestresst haben.
Dann mit 18 hat er sich an der @univienna und der Technischen Hochschule immatrikuliert. Wirklich studiert hat er nur an zweiterer Bauingenieurwesen. ImageImage
Der Kinnbart. Gut, ich hatte auf meinem Studentenausweis Dreadlocks. 😬 Image
Zeitgeschichte in den tausenden Dias meines Papas Image
1977 besuchte meine Papa seinen Onkel Awi in Israel und ich hab über 400 Dias von der Reise, die ihn am nachhaltigsten beeindruckte. Image
Mein Papa 1972 in Perpignan. Wenn ich mich richtig erinnere hat er dort amerikanischen Studentinnen Französisch gelehrt. Image
Was insofern lustig ist, als er in meiner Erfahrung ein furchtbar schlechter Lehrer war. Er war laut eigenen Angaben Ski-, Tennis- und Französischlehrer und konnte mir keines der drei beibringen. Er hat es einmal vorgemacht, dann war ich dran, dann hat er gesagt „das ist falsch.“ Image
Alles was ich von ihm gelernt hab, war immer beiläufig durch Beobachtung und Kopieren und nie im Rahmen offizieller Lernmomente. 🤣
1977er Selfie. Image
Bis 2001 war mein Papa als Zivilingenieur tätig. Da er mich manchmal mitnahm, gibt mir der Geruch von feuchtem Estrich nach wie vor ein Gefühl der Zugehörigkeit. Jedes Jahr verschickte er eine Weihnachtskarte mit seinem Lieblingsprojekt. Image
Daran hab ich leider gar keine Erinnerung. Ich war also sechs Jahre alt, als mein Papa die Westtribüne vom Horr-Stadion der Austria gerechnet hat. Image
Ich war übrigens nie auf einem Fußballspiel mit ihm.
Spätestens hier ging es mit der Karriere steil nach oben: das Hundertwasser-Haus. Ich erinnere mich nur schemenhaft an die Abende wo der Hundertwasser bei uns zu Hause war. Image
Danach soll Hundertwasser darauf bestanden haben alle (bis auf ein) Haus mit meinem Vater als Statiker zu machen. Die Erzählung ging, dass zwar beide schwierig gewesen sein aber gut miteinander gekonnt haben. ImageImage
Der Leberberg war in meiner Erinnerung sein grösstes Projekt. Die Betonung der 350 Wohnungen und die Platzierung des Wohnbaustadtrats ist Indiz, dass mein Vater das auch so kommunizieren wollte. Image
Meinen Papa hat es immer schon sehr zu Künstler*innen hingezogen. Als nächstes entstanden nämlich zwei Projekte mit Alrik Brauer, u.a. ein Wohnhaus der Gesiba. Image

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