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Hier - über den Tag verteilt - ein #Thread zu meinem gestrigen Vortrag auf der OeNB-Tagung "NS-Digital" #GameStudies
Warum das Thema gerade heute so wichtig ist? Nun, zum einen hatten wir zuletzt in Ö, D aber auch in den USA erschreckende Umfrageergebnisse zum Wissensstand über den Holocaust
Dass nicht jedeR ÖsterreicherIn auf den Punkt genau sagen kann wieviele Juden im Holocaust starben ist klar, aber wenn 42% der Bevölkerung sich nicht an den Tod von 4 Millionen erinnern klingt das schon verunsichernd.
Die ganze Umfrage findet sich hier: claimscon.org/austria-study/
Wir haben es also zum einen mit einem zurückgehenden Wissen über den Holocaust zu tun. (42% der ÖsterreicherInnen haben noch nie von Mauthausen gehört) Und die Frage ist, wie kann man diese Menschen erreichen?
Gut, ich will ja nicht zu optimistisch klingen. Aber hier haben wir ein Medium, dessen Reichweite weiterhin wächst.
Und tatsächlich ist der Zweite Weltkrieg ein sehr populäres Setting für digitale Spiele. Hier eine Statistik, die ich für das @WASDMagazin gemacht habe. Dass heisst hier liessen sich potenziell viele Millionen Menschen erreichen (CoD:WW2 wurde knapp 20 Mio mal verkauft)
@WASDMagazin Der zweite Grund warum das Thema gerade so relevant ist, war das wir hier gerade Zeug*innen eines grossen erinnerungspolitischen Paradigmenwechsels werden.
@WASDMagazin Nach einer vorangegangenen medialen Debatte hat sich 2018 die USK erstmals dazu entschieden in zwei ausgesuchten Spielen die Sozialadäquanzklausel anzuwenden. Ich komme auf beides noch am Ende noch ausführlicher zurück.
- Pausenmusik -
So, in der Geschwindigkeit, wird das wohl eher ein #Thread für die nächsten Tage.
Also Sozialadäquanzklausel, was heisst das jetzt? Nun in D sind laut §86 und §86a des StGB ist jegliche Verbreitung verfassungswidriger Symbole (des NS Regimes aber auch der KPD des IS usf.) strafbar. Das betrifft v.a. das Hakenkreuz, SS-Runen, den Hitlergruss und AH Profile
In Ö gilt das Abzeichengesetz von 1960, das aber weniger harte Strafen umfasst. Tatsächlich wirkt aber defacto auch für Ö das Dt. Gesetz, weil Computerspiele für den deutschen Markt portiert werden und es im Regelfall keine öst. Versionen gibt.
Jetzt ist es aber so, dass wir in Filmen, Comics etc. immer wieder Hakenkreuzen begegnen. Wie ist das möglich? --> Die Sozialadäquanzklausel besagt, die Ausnahmen definiert nämlich Wissenschaft und Lehre, Kunst und staatsbürgerliche Aufklärung.
Die Sozialadäquanzklausel wurde bisher grosszügig auf nahezu alle Medien (weil Kunst. Siehe Bsp. Iron Sky) angewandt nicht aber auf digitale Spiele.
Als die USK (übrigens wohlüberlegt) entschieden hat zwei Spielen eine Altersfreigabe zu gewährend trotz Nutzung von NS Symbolen, folgte recht reflexartig eine scharfe Kritik aus der Politik.
Zum einen von Familienministerin Giffey (der ich noch heute dankbar bin für das knackige Zitat für meine Titel)
Zum anderen vom Deutschen Gewerkschaftsbund:
Franziska Giffey hat übrigens nachdem sie eines der zwei Spiele gespielt hat, ihre Meinung revidiert: facebook.com/franziska.giff…
Mir geht es nicht darum, Politiker*innen hier blosszustellen. Der reflex ist - finde ich - nachvollziehbar. Die Vorstellung von NS-Inhalten in Verbindung mit Kinderspielen lässt alle Alarmglocken aufläuten.
Das Problem ist aber, dass die Gesetzgebung, die helfen sollte Jugendliche vor negativen Einflüssen zu schützen, in den letzten Jahrzehnten eine gegenteilige Wirkung hatte.
Die oberflächliche Entfernung von NS-Symbolen finde ich nämlich in ihrer Praxis problematisch.
De Facto führte nämlich diese kosmetische Oberflächenreinigung von 2. WK Spielen nicht zu einem kritischen Umgang mit den NS-Regime sondern suggerierte im Gegenteil, dass sonst ja alles ok ist.
Aber fangen wir mal mit einem historischen Rückblick zum 2. WK in Spielen an. Schon in den 1980er Jahren gab es extrem viele 2.WK-Spiele, vor allem Strategie- und Fahrzeugsimulationen aus der Tradition der Avalon Hill und Victory Games Tabletops heraus.
Die Cover dieser Spiele sahen dann so aus. Aus heutiger Sicht unvorstellbar und - höflich formuliert - historisch etwas unbedarft.
Klar, diese Spielen sahen dann beim Spielen recht basal aus:
Wir dürfen also keine aufwendigen Story-Cutscenes erwarten. Geschichte wurde hier v.a. im Cover, Handbuch und Mechanik vermittelt. Und das war ein völlig entpolitisierter Wettstreit ebenbürtiger Gegner.
Die Grafik hat sich verbessert. Guderian und Rommel sind von den Covern verschwunden, ebenso wie das Hakenkreuz im Spiel. Die Darstellungsstrategie ist aber grossteils gleichgeblieben.
Panzer General ist insofern ein gutes Beispiel, weil es aus diesem Grund indiziert wurde in D. Das zeigt @LehramtsStudent in seiner Diplomarbeit:
@LehramtsStudent "Das Spiel ist kriegsverharmlosend, weil die Schrecken und Leiden des Krieges, seine zahlreichen ... Auswirkungen verschwiegen werden. Das Kriegsführen wird reduziert auf ... Strategie, auf die Vorstellung, daß Kriegsführen eine ‚saubere‘ Angelegenheit sein kann"
@LehramtsStudent Ich habe das Spiel 1995 wirklich viel gespielt und kenne mich noch heute viel zu gut in der Kriegsmaschinerie der Wehrmacht und Luftwaffe aus. Krieg wird aber nur zum Spiel. Die Annexion Polens wird zum gelungenen Schachzug. Der Krieg wird eben zum sauberen Spiel.
@LehramtsStudent Nächstes indiziertes Spiel:
@LehramtsStudent Auch hier spielte vor allem die "Verherrlichung von Selbstjustiz" bei der Indizierung eine Rolle. Trotzdem führte es dazu, dass alle Spiele viel vorsichtiger wurden, wenn es um NS-Symbole ging.
@LehramtsStudent Wirklich Verbreitung fand das Setting 2.WK in Spielen aber erst mit FPS und hier war Steven Spielberg federführend, der seinen Film Saving Private Ryan mit einer Fernsehserie und einer Spielreihe begleitet sehen wollte:
@LehramtsStudent Spielberg wollte ein Spiel, das auch die dunklen Seiten des 2.WK beleuchtet. Die Entwickler*innen sollen verzweifelt gewesen sein, weil FPS angeblich nur mit Aliens funktionierten und der 2.WK viel zu hart für all die Jugendichen wäre.
@LehramtsStudent Tatsächlich sprachen die Intros der Spiele erstmals die Verbrechen des NS-Regime an. Auch wenn Heinrich Himmler zB für die europäische Version rausgeschnitten wurde.
@LehramtsStudent Die Verbrechen aber wirklich beim Namen nennen, traute sich niemand. Der Holocaust wurde nie angesprochen oder erwähnt.
@LehramtsStudent Doch auch wenn die FPS im Gegensatz zu den Strategiesimulationen bewusst die dunklen Seiten ansprachen, blieb der 2. Weltkrieg, der identitätsstiftend für so viele Nachkriegsgesellschaften ist, seltsam leer.
@LehramtsStudent Klar die Nazis sind böse, aber auch irgendwie austauschbar. Es könnten auch einfach Orks oder das Imperium sein. Sie sind böse, weil sie böse sind. Oder wie @freejsf so schön sagt: Man erkennt Nazis daran, dass sie immer Uniformen anhaben und immer Krieg führen.
@LehramtsStudent @freejsf Dabei kam es zu vereinzelten Versuchen den Holocaust in Spielen zu thematisieren. Ein erster Versuch war leider nicht sehr gut überlegt und führte zu einem mittleren Eklat. Der Mod Sonderkommando Revolt von jungen israelischen Programmierern (2010 ein Mod für Wolfenstein 3D!)
@LehramtsStudent @freejsf Irgendwie (ich weiss nicht wie) wurde die Anti defamation League in den USA und das Simon Wiesenthal Center auf den Mode aufmerksam.
@LehramtsStudent @freejsf Dazu muss man wissen, dass Rabbi Abraham Cooper schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor auf ein Spiel aufmerksam gemacht wurde, nämlich den furchtbaren "KZ-Manager"
@LehramtsStudent @freejsf Auch die Anti Defamation League zeigte sich wenig begeistert:
@LehramtsStudent @freejsf Ein negativer Präzedenzfall, der dazu führte, dass folgendes Spielprojekt vom Publisher Nintendo fallen gelassen wurde:
@LehramtsStudent @freejsf Dabei bekundete die Anti-Defamation League prinzipiell keine Abneigung gegen neue Formen der Vermittlung.
@LehramtsStudent @freejsf Indessen durfte in Strategiesimulationen wie HOI4 weiterhin das Deutsche reich gespielt werden ohne sich auch nur kurz mit den Hintergründen und Auswirkungen auseinandersetzen zu müssen: Hier die internat. Version
@LehramtsStudent @freejsf In der deutschen Version ist das Profilbild von AH geschwärzt, aber der kurze Einführungstext im Hauptmenü vermittelt nicht unbedingt kritisches historisches Wissen: "Ein neues D hat sich erhoben ... wirts. Stabilität ist nach schweren Jahren wieder eingekehrt ..."
@LehramtsStudent @freejsf Nicht nur wird der Holocaust nicht erwähnt, Paradox verbietet auch in Mods jede Erwähnung. Das Motiv mag sein, rechtsradikale Mods zu unterbinden. Zugleich wird das Deutsche Reich so weiss gewaschen.
@LehramtsStudent @freejsf Man muss es ja nicht zur Spielmechanik machen, aber Infoboxes wären dringend notwendig. Das nanking Massaker hatte zB in HOI2 eine "Event"
@LehramtsStudent @freejsf In den Kommentaren zeigt sich das mangelnde Wissen über die rechtliche Lage, wenn ein Kommentar behauptet, es sei verboten den Holocaust zu erwähnen. (Ping @Tasten_hauer)
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer So ist es möglich unzählige Stunden zu Deutschen Märschen Mikromanagement der deutsche Rüstungsindustrie und Strategiedoktrinen zu betreiben, ganz Europa zu erobern ohne sich kurz mit den Auswirkungen des eigenen virtuellen Tuns auseinanderzusetzen.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Hier sieht man ganz stark die Tradition des entpolitisierten Kriegsspiels aus der Tabletop Ära
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Obige Steam-Kommentare wie auch manche Letsplays zeigen aber, dass SpielerInnen durchaus ein Bewusstsein für die Verbrechen des NS-Regimes haben.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Ein Letsplay fand ich besonders schön, in welchem ein junger Youtuber auf den Mangel an historischen Hintergrund hinwies und deshalb auf Götz Alys "Hitlers Volksstaat" verwiesen hat.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Noch ein Beispiel für das Nichtfunktionieren des Symbol-Verbots ist der Multiplayer von CoD: World at War. An sich ein Spiel, das bemüht war die Schattenseiten des Krieges darzustellen.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Allerdings muss man ja auch Deutsche im Multiplayer spielen können. Halt ohne Hakenkreuz. Dafür aber Königgrätzer Marsch und Adolf Hitler im O-Ton "Rede an die Jugend" von 1934 :o
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Status Quo Ende der 2000er Jahre: Spiele zum 2. Weltkrieg müssen ideologiefrei bleiben, weil Spiel. Man war bemüht den Krieg darker und grittier zu zeigen, die Wehrmacht blieb aber Abziehbild des Bösen wie halt Orks oder das Imperium.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Historische Forschung blieb dazu grossteils stumm. Trotzdem gab es plötzlich Spiele die die Verbrechen des NS-Regimes thematisierten, wenn auch in unerwarteter Form:
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Vor allem aber natürlich im jüngsten Wolfenstein Reboot
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Wolfenstein: The New Order war das erste Spiel, das derart eindeutig eine Konzentrationslager thematisierte und dabei auf alle gängigen Ikonographien zurückgriff: Ankunft im Viehwagen, Schriftzug am Gatter, Schornsteine die ständig Asche ausspeien
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Interessant fand ich auch den Anfang der "Mission", als den Spieler*innen jegliche Agency genommen wurde, wenn sie die "Selektion" durchlaufen müssen. (Das Level ist trotzdem problematisch, wie ich anderorts ausgeführt habe).
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Für viele Menschen werden diese Bilder der erste Kontakt mit der Ikonographie des Holocaust gewesen sein. Allerdings wurde in diesem Teil der industrielle Massenmord an JüdInnen, Homosexuellen, Sinti, RussInnen, PolInnen und vielen anderen nicht explizit angesprochen.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Folgende Säule verstorbener WiderstandskämpferInnen erinnern zumindest mich auch an die Hall of Names in Yad Vashem
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Im Nachfolgespiel gingen die EntwicklerInnen dann noch einen Schritt weiter und thematisierten den Holocaust explizit (in der engl. Version)
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Aber natürlich, die Wolfensteinreihe ist ja auch kein "authentischer" WW2-Shooter, weil Panzerhunde, Mond- und Venusbasis usf.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Eine Alternate History Phantasie in der Tradition von Plot against America, Man in the High Castle und Fatherland.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Dabei aber mit einem eindeutigen Pendant zum Trashigen in der Tradition der Naziploitation Filme wie Ilsa She-Wolf of the SS (Und ja, ich hab jetzt lang überlegt und mich dagegen entschieden den Slide auf Twitter zu zeigen. Einfach googeln).
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Ein Freund vom Simon Wiesenthal Institut hat mich hier auf eine interessante historische Parallelle hingewiesen: Die pronographischen Stalag-Hefte in Israel in den 1960er Jahren, die für viele Jugendliche der Erstkontakt mit der Geschichte des Holocaust waren.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Vorsichtig formuliert ermöglichte die Übersetzung in Schund erstmals über etwas zu sprechen. Hierzu müsste ich mich aber noch viel gründlicher einlesen.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Wolfenstein: The New Colossus war aber auch das Spiel, das u.a. mit zum Umdenken der USK geführt haben dürfte. Denn nicht nur wurden die NS-Symbole ersetzt
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Nicht nur wurde in der deutschen Version AH in Heiler umbenannt und rasiert, nein es wurde auch konsequent jede Erwähnung von Juden entfernt.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Statt Millionen von "JüdInnen" wurden in der dt. Version Millionen von "VerräterInnen" in Konzentrationslagern umgebracht. Motif mag es gewesen sein, der fantastischen Spielwelt der dt. version treu zu bleiben. Das Ergebnis ist aber katastrophal.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Das Entfernen von JüdInnen für die deutsche Version und die Entideologisierung des NS-Verbrecherregimes in Wolfenstein für den deutschen Sprachraum ist moralisch nicht tragbar.
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Ob Millionen "VerräterInnen" von einem faschistischen Regime umgebracht werden oder Millionen Menschen aufgrund einer rassistischen Ideologie ist ein Unterschied. Das führte auch in den Deutschen Medien zu einem mittleren Aufschrei
@LehramtsStudent @freejsf @Tasten_hauer Auch hier gibt es einen historischen Präzedenzfall: Für die dt. Fassung von Hitchcocks "Notorious" wurde die Geschichte des Films umgeschrieben um jede Erwähnung von Nazis zu entfernen, da dies dem deutschen Publikum nicht zugemutet werden wollte: de.wikipedia.org/wiki/Ber%C3%BC…
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