#haltdiefresse - oder wie falsch verstandene Solidarität unser Gesprächsklima vergiftet - ein Thread (1/16) Dass Menschen, die in die gleiche Richtung denken, sich gegenseitig unterstützen, ist wichtig. Wichtig für uns alle, weil eine Gesellschaft
ein großes Gebilde aus vielen kleineren und größeren Netzwerken ist. So weit, so gut. Schwierig wird es allerdings dann, wenn diese Unterstützung in eine Solidarität mündet, die fast schon reflexartig gewährt wird, egal was der ‚Unterstützte‘ sagt oder tut. Um es konkret (2/16)
zu machen: Im Fall von Quattromilfs ‚Halt-die-Fresse-Ausbruchs‘ haben sich ihre Unterstützer – die prominenten ebenso wie die weniger bekannten - sich sofort bedingungslos auf ihre Seite geschlagen. Was grundsätzlich erstmal nicht verkehrt ist. Aber in diesem Fall (3/16)
hätten sich – gerade ihre Freunde und Unterstützer – fragen müssen, ob eine solche ‚Verbal-Attacke‘ wirklich der Umgangston sein darf, in dem wir uns öffentlich streiten wollen. Und damit meine ich nicht: Zurück zum Leisetreten und den Mund halten. Im Gegenteil. (4/16)
Es ist möglich, hart in der Sache zu argumentieren und sich auseinanderzusetzen ohne ordinär zu werden. Denn solche verbalen Entgleisungen sorgen eben nicht dafür, dass die andere Seite zu irgendwelchen Einsichten kommt, sondern sie führen dazu, dass sich Lager bilden, (5/16)
die sich im schlimmsten Fall sogar ‚feindlich‘ gegenüberstehen. Dann sind wir - zumindest verbal - im Krieg. Als jemand mit einer großen Zahl von Followern und einer großen Reichweite in den sozialen Medien haben Menschen wie Quattromilf eine besondere Verantwortung dafür (6/16)
wie gesellschaftliche Debatten laufen. Und bei allem Verständnis für den Frust über den alltäglichen und strukturellen Rassismus, dem Menschen wie @ebonyplusirony
regelmäßig ausgesetzt sind (und den ich mir nur in Ansätzen vorstellen kann): Sie ist eine erwachsene Frau. (7/16)
Kein wütender Teenager, dem mal wieder die Hormone durchgehen. Und sie ist – soweit ich das verstanden habe – Mutter von vier Kindern. Das bin ich auch. Und als solche würde ich ganz bestimmt nicht wollen, dass meine Kinder im ‚Halt-die-Fresse‘-Modus mit anderen (8/16)
Menschen verfahren. Auch nicht im Streit. Wie gut wir als Gesellschaft funktionieren, hängt auch davon ab, wie gut wir miteinander kommunizieren können/wollen. Mit verbaler Derbheit kühlen wir vielleicht unseren ersten Zorn, aber mittel- bis langfristig erreichen wir damit (9/16)
nichts. Und im schlimmsten Fall werden wir als Gesprächspartner auch gar nicht mehr ernstgenommen. Das alles sollten Freunde Freunden sagen können. Bevor die anderen es tun. Ich würde meine Freundin nicht für einen solchen Ausspruch feiern, sondern ihr genau das sagen. (10/16)
Weil mir daran liegen würde, dass sie auch weiter ernst genommen wird und so viel mehr bewegen kann als durch verbales ‚Um-sich-Schlagen‘. Würde ich sie dafür feiern, wäre das nicht viel mehr als falsch verstandene Solidarität. Ähnlich ist es übrigens im Fall (11/16)
von @igorpianist. Gegen den ich persönlich wirklich nichts habe, weil ihn persönlich gar nicht kenne. Ich kann mir trotzdem ein Urteil über sein Auftreten und seine Äußerungen bilden. Wäre ich aber mit ihm befreundet, hätte ich ihm damals, als er sich zu der Bemerkung (12/16)
(wer AfD wählt, habe sein Menschsein verwirkt) verstiegen hat, erklärt, dass er damit deutlich über jedes Ziel hinausgeschossen ist und besser daran täte, das offen zuzugeben als plötzlich mit irgendeiner Erklärung von wegen die jüdische Bedeutung des Wortes 'Mensch' (13/16)
im Sinne von 'guter Mensch' um die Ecke zu biegen. Warum ich das getan hätte? Weil man sich mit solchen Aussagen für einen ernsthaften Diskurs disqualifiziert. Weil sie unbedacht sind und in ihrer Radikalität dazu führen, dass die ‚andere Seite‘ komplett zumacht (14/16)
und der Gesprächsfaden reißt. Zu allen. Auch zu denen, die noch zu erreichen gewesen wären. Und dann? Bleibt dann nur noch der Hass? Bleibt nur noch die Gewalt? Wollen wir so Probleme lösen? Ich denke nein. (15/16)
Mir jedenfalls sind gerade die Menschen besonders wertvoll, die mich – in aller Freundschaft – darauf hinweisen, wenn ich dabei bin, den Blick für Maß und Ziel zu verlieren. Wer immer alles 'großartig' findet, ist mir eher etwas unheimlich... (16/16)
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Die Pöbel-Plattform – Debatten-Kultur auf 'Twitter- #haltdiefresse' - ein Thread. #Twitter ist gut für den Holzschnitt. Schwarz und weiß. Gut und Böse. Freund und Feind. Klare Ansagen. Griffig formuliert. Bloß keine Schattierungen. Nichts, worüber man erst mal länger (1/14)
nachdenken muss. Einfach lesen, liken oder darüber herfallen. Twitter – das ist schneller Pulsschlag, hoher Adrenalin-Pegel und niedrige Hemmschwelle, wenn es darum geht, den jeweils Andersdenkenden herabzuwürdigen. Interessanterweise aber immer so, wie @MickyBeisenherz (2/14)
das in einem aktuellen Post sehr treffend formuliert hat: ‚Halt die Fresse, rede respektvoll mit mir!‘ Will heißen, ICH kann Dir an den Karren fahren, wie ich will, aber DU behandelst mich gefälligst mit Respekt, ja?! Diese Mischung aus permanenter Aufregung, großer (3/14)
Igor #Levit - So müde. Ein Thread.
Ob @igorpianist ein Ausnahme-Musiker ist, kann ich nicht beurteilen. Dazu fehlt mir leider die Expertise.
Aber ich habe jeden Respekt davor, wenn jemand sein Leben ganz und gar der Musik widmet.
Das Gleiche gilt für Menschen (1/11)
die eine Haltung haben – zu den großen Themen, die in unserer Gesellschaft diskutiert werden.
Was mich allerdings an Igor Levit seit einiger Zeit ziemlich unangenehm berührt, ist die die unverhohlene Eitelkeit, mit der er sich u.a. hier auf Twitter präsentiert.
Eitelkeit, (2/11)
die als Bescheidenheit ‚getarnt‘ ist und doch im Grunde nur nach Bewunderung heischt. Natürlich sind wir Medienleute eitel. Alle. Sonst hätten wir uns einen anderen Beruf gewählt. Aber es ist mir deutlich lieber, wenn jemand offen dazu steht. (3/11)