In einer für den Gesetzgeber atemberaubenden Geschwindigkeit wurde nach dem Hochkommen des #Wirecard Skandals ein Referentenentwurf erstellt, um die Defizite bei Prüfung, Aufsicht und Rechnungslegung zu adressieren. Genau das ist es, ein in Teilen „dahingerotzter“ Entwurf

Thread
Vorab: ich bin weder Jurist noch Prüfer, noch bin ich persönlich betroffen. Die nachfolgende Analyse ist für meine Verhältnisse oberflächlich, jedoch fehlen mir für eine detaillierte Analyse Zeit & eine Kostenstelle, auf die ich den Aufwand buchen kann ;-)

/1
Wie komme ich zu meinem Urteil? Ich habe mir zunächst eine Übersicht erstellt, was aus meiner Sicht die Probleme sind, die durch das Gesetz zu adressieren sind. Danach habe ich mir den Entwurf unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung nach folgendem Schema angeschaut:

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1.Wird das Problem überhaupt adressiert?
2.Ist der Lösungsansatz im Entwurf geeignet, die Problemstellung zu adressieren?
3.Sind die ergriffenen Maßnahmen angemessen, um das gewünschte Ziel zu erreichen?

/3
Welche Probleme sehe ich? Bei dieser Frage hangele ich mich stark an dem #ESMA-Bericht entlang, ansonsten bemühe ich mein Gedächtnis zum #Wirecard-Skandal, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

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Die Kapitel „Erfüllungsaufwand der Wirtschaft“ sowie „Alternativen“ von Gesetzesentwürfen hatten bei keinem Gesetzesentwurf, den ich bisher gelesen habe, auch nur annähernd Bezug zur Realität, daher schaue ich mir diese Märchen nicht genauer an.

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Schwerpunkte abgeleitet aus dem #ESMA-Bericht:
Unabhängigkeit der #BaFin vom BMF
Informationsrechte zwischen #BaFin, #BMF & #BMJV erheblich ausgeweitet, vielmehr besteht kein Hindernis mehr, Informationen weiter zu geben. Hierdurch wird die

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Unabhängigkeit der #BaFin tendenziell weiter beschränkt. Maßnahme daher im klaren Gegensatz zu den Befunden des #ESMA-Berichts. Hier wäre eine Stärkung der Unabhängigkeit angezeigt gewesen.

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Informationsfluss zwischen #BaFin & #DPR
Zwischen Prüfungsstelle & BaFin wird der Informationsfluss erheblich ausgeweitet, hemmende Vertraulichkeitsregeln um erforderliche Ausnahmen ergänzt (u.a. § 107 IV WpHG).

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Explizit von Verschwiegenheit ausgenommen ist der innerbehördliche Infoaustausch zwischen #BaFin, Prüfstelle, BaWA (§107b IV WpHG). Für mich auf Anhieb nicht erkennbar, warum trotz § 107b IV WpHG noch § 107 IV WpHG erforderlich ist. Maßnahmen m.E. geeignet & angemessen.

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Strafanzeigen
Explizite Regelung Informationsweitergabe von #DPR an StA mit Kenntnisnahme an BaFin, BaWA, Abschlussprüferaufsichtsstelle (§ 107a X WpHG), sofern Prüfer gegen Berufspflicht verstoßen Info an Abschlussprüferaufsichtsstelle. M.E. geeignet & angemessen.

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Insiderhandel von Mitarbeitern der #BaFin
Künftig dürfen Mitarbeiter der BaFin de facto nur noch in Investmentfonds anlegen (§ 11a FinDAG). Diese Regelung ist in meinen Augen weder geeignet noch angemessen. Gerade in Zeiten, wo Jeder aufgefordert ist, private Vorsorge

/11
zu betreiben, ist eine derartig weitreichende Regelung ein Schlag ins Gesicht von ansonsten so von mir gescholtenen Bediensteten der BaFin. Wie komme ich zu dem Urteil? Die Begrenzung der Finanzinstrumente ist exzessiv, d.h. viel zu viele Arten von

/12
Finanzinstrumenten sind ausgeschlossen. Es spräche m.E. nichts dagegen, die Beschränkungen erheblich lockerer zu gestalten und mit einer Mindesthaltefrist von beispielsweise 6 Monaten zu verbinden. Gerade Mindesthaltefristen sollten auch der BaFin

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als effektives Mittel bekannt sein, um Insiderhandel durch Frontrunning vorzubeugen. Gerade die umstrittenen Derivatetransaktionen wären dadurch vermieden worden. Aber auch der Umfang der geregelten Personen ist stümperhaft umgesetzt. Künftig wird dann halt

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nicht der Beschäftigte der BaFin handeln, sondern sein Ehepartner, die Eltern oder das Kind. Anstatt eines solchen Unsinns hätte sich der Gesetzgeber einfach mal an den Vorgaben für Prüfungsgesellschaften, ggf. auch an den Vorgaben der SEC orientieren können und so ein

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vernünftiges System aufbauen können. So ist das weder geeignet noch angemessen. Daran ändern auch die Wischiwaschi-Regelungen des Absatz 2 wenig, dass zwar vieles scharf geregelt ist, die BaFin aber trotzdem Ausnahmen zulassen kann. Verschlimmert wird die

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Bewertung, da viel verboten ist, für Verstöße aber keine Konsequenzen geregelt sind.

Schwerpunkte abgeleitet aus der Causa #Wirecard
Unzureichende Prüfung der Prüfungsgesellschaft
Persönliche Haftung des WP von 1 Mio. € auf 2 Mio. € erhöht, bei einer Kapitalgesellschaft

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von öffentlichem Interesse auf 20 Mio. €. Die Erhöhung ist m.E. bei Fahrlässigkeit weitgehend Augenwischerei, da genau dafür Versicherungen Standard sind. Da in den seltensten Fällen bei Privatpersonen so viel zu holen ist, dürfte das Thema Vorsatz nicht nur

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kaum beweisbar, sondern auch kaum praxisrelevant sein. Unangemessen hingegen finde ich, dass ein leichtfertig falscher Bestätigungsvermerk mit Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren geahndet werden soll (§332 HGB). Hier kann ich die Prüfungsverbände gut verstehen, dass

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sie Sturm laufen. Verschärfte Haftung der Prüfer klingt zwar schön und lässt sich gut verkaufen, ist jedoch völlig ungeeignet, die zugrunde liegenden Probleme zu lösen.

Hier habe ich schon mal einen Teil davon aufgegriffen



/20
die wichtigsten Gründe habe ich m.E. jedoch in diesem Thread aufgeführt:



Aus den Gründen der vorgenannten Threads sind die Strafverschärfungen weder geeignet noch angemessen, um die Problemstellung zu adressieren. Eher stimme ich den

/21
Branchenverbänden an dieser Stelle zu, dass hierdurch die Attraktivität der Branche „Wirtschaftsprüfung“ darunter leiden wird. Es wird schwieriger werden, jemanden zu finden, der zu solchen persönlichen Risiken bereit ist die er selbst nur sehr begrenzt beeinflussen kann.

/22
Unzureichende Prüfungsbefugnisse der Aufsichtsbehörden
Prüfungsrechte in Unternehmen erheblich ausgeweitet, nun darf die BaFin nicht nur bei regulierten Unternehmen, sondern allen Unternehmen, die dem WpHG unterliegen & deren

/23
Tochterunternehmen prüfen & im Zweifelsfall sogar Durchsuchungen in Unternehmen und auch Privaträumen derer Organe durchführen (§ 107 Vff WpHG). Bemerkenswert ist, dass die BaFin bei Gefahr in Verzug sogar ohne Richtervorbehalt die Durchsuchung anordnen

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kann. Das ist ein massiver Grundrechtseingriff, der separat durch qualifizierte Juristen zu bewerten wäre. Den Wunsch verstehe ich, jedoch ist m.E. bedenklich, dass die BaFin den Verfahrensstand und „im Laufe des Verfahrens gewonnene Erkenntnisse“ veröffentlichen

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darf. Mir stellt sich dabei die Frage, ob hier übergriffig in Grundrechte von Beschuldigten eingegriffen wird. Über eine Rückmeldung von Juristen zu diesem Thema würde ich mich freuen.

/26
Mir fehlt hier noch die Möglichkeit, bei Konzernmüttern zu prüfen. Insgesamt sind die vorgeschlagenen Änderungen m.E. geeignet & überw. angemessen mit Anpassungsbedarf im Detail & erforderlichem Klärungsbedarf, ob Grundrechte nicht zu weit eingeschränkt werden.

/27
Unzureichende Mitwirkung der #Wirecard
Gesetzliche Mitwirkungspflicht geprüfter Unternehmen und ihrer Organe an der Prüfung durch die #DPR, jedoch sind keine Konsequenzen für Verstöße definiert. Damit wird die

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Vorschrift zum Papiertiger. Möglicherweise habe ich aufgrund der vielen Verweise an dieser Stelle etwas übersehen. Dann wäre ich für Hinweise dankbar.

Sonstiges:
Positiv fällt mir auf, dass künftig Anordnungen von Sonderprüfungen bei öffentlichem

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Interesse veröffentlicht werden dürfen (§ 107 WpHG). Neu aufgenommen wird eine Haftung der #DPR für fehlerhafte Prüfungen, jedoch nur bei Vorsatz (§ 107a WpHG). Hier wäre m.E. auch grobe Fahrlässigkeit angemessen. Neben den Prüfungsbefugnissen der #BaFin bei

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Auslagerungsunternehmen bekommt die #BaFin auch die Befugnisse, Auslagerungsunternehmen direkt zu prüfen und Anordnungen gegen Auslagerungsunternehmen zu treffen (§ 25b i.V.m. § 44, 45b KWG). Ich gehe aus Gründen,

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auf die ich hier nicht näher eingehen kann, davon aus, dass die Causa #Wirecard nur einer von vielen Gründen war, diese Norm aufzunehmen. Wahrscheinlich war es sogar weitgehend nicht #Wirecard. Ich persönlich begrüße diese Regelung ausdrücklich & finde,

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dass dies viel zu spät kommt. Hinweis: mit dem ZAG, GWG & VAG kenne ich mich nicht so gut aus und habe es mir daher nicht angeschaut. Das Strafmaß für Falschangaben im Abschluss wird für Organe der geprüften Gesellschaft von 3 auf bis zu 5 Jahre angehoben (§ 331 HGB).

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So richtig habe ich Nichts gegen diese Verschärfung, wohingegen ich im Allgemeinen eher für funktionierende Strafverfolgung statt symbolhafter Strafverschärfung bin.

Mein Fazit
Viel Licht, aber auch Schatten. Die Themen Prüfungsbefugnisse, innerbehördliche

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Informationsweitergabe, Prüfung von und Anordnungen an Auslagerungsunternehmen gefallen mir sehr gut. In den Themen Haftung der Prüfungsgesellschaften und Prüfer, Insiderhandel von BaFin-Mitarbeitern und Unabhängigkeit der BaFin sehe ich noch

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handlungsbedarf. Die künftigen Offenlegungsrechte sollten verfassungsrechtlich geprüft werden.

Auch wenn diese Zusammenfassung umfassend aussieht, ist sie in meinen Augen auch mehr oder minder schnell "hingerotzt". Nicht mal die Gesetzesbegründungen habe ich mir mangels

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Zeit genauer anschauen können. Insgesamt habe ich mir für diese Zusammenfassung gestern ca. 1,5h Zeit genommen. Ich mache zwar viel für Euch, aber Familie geht vor 😉. Wenn Ihr Ergänzungen oder andere Ansichten habt, bin ich für Hinweise dankbar.

/37
Transparenzhinweis: ich habe früher mal bei den Big 4 gearbeitet, nehme mir aber die Freiheit heraus, unabhängig zu denken.

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