Es gibt einige kleine Updates auf pavelmayer.de/covid/risks/ : In vier neuen Spalten findet sich zum Vergleich nun die 7-Tage-Inzidenzrechnung im RKI-Stil und der Prozentsatz, wie viele Fälle dadurch jeweils unter den Tisch fallen.
Zum Hintergrund: Die vom RKI ausgewiesenen Inzidenzwerte berücksichtigen nur Fälle, bei denen die Meldung beim Gesundheitsamt nicht mehr als 7 Tage zurückliegt, auch wenn der Fall erst gestern bei RKI und in die Fallstatistik eingegangen und Teil heute neuerkrankt Gemeldeten ist.
Das führt dazu, dass Kreise, die länger zum Testen und Melden brauchen, deutlich weniger Fälle und eine niedrigere 7-Tage-Inzidenz im RKI-Dashboard haben, als es den in den letzten 7 Tagen berichteten Fällen entspricht. Diese Fälle listet meine Risikotabelle jetzt getrennt auf.
Ein krasses Beispiel ist derzeit der Landkreis Görlitz, wo derzeit vermutlich das Gesundheitsamt in Not zu sein scheint. Das RKI weist in seinem Dashboard auf experience.arcgis.com/experience/478… eine 7-Tage-Inzidenz von 232,3 auf; mein nach RKI-Regeln berechneter Wert ist 242, nahe dran,
was nach rund 620 Fällen entspricht. Tatsächlich wurden aber in den letzten 7 Tagen in Görlitz fast doppelt so viele Fälle ans RKI gemeldet, nämlich 1173. Das entspricht einer Inzidenz von 460/100.000 statt der "offiziellen" 232.
Ist die Art, wie das RKI die Inzidenz ausweist, jetzt ein Bug oder ein Feature? Man kann für die RKI argumentieren und sagen, dass das "Altfälle" sind und nicht das Infektionsgeschehen in den letzten 7 Tagen abbilden und man sie daher weglässt.
Das Problem ist, dass dadurch systematisch ein umso niedrigerer Inzidenzwert ausgewiesen wird, je langsamer ein Kreis berichtet und die Inzidenzwerte noch weniger vergleichbar macht, als sie es ohnehin schon sind.
Gegen die RKI-Methode spricht auch, dass die 7 Tage knapp bemessen sind. In den 7 Tagen muss der Fall erfasst, die Person getestet, das Testergebnis erfasst und ans Land übermittelt werden muss, das dann ans RKI weiterübermittelt.
Gut, viele Landkreise schaffen es trotz vieler Neuerkrankungen alles in 7 Tagen zu erledigen und haben null Fälle, die unter den Tisch fallen - es ist also möglich.
Die von mir gewählte Lösung ist, das Zeitfenster für die Übermittlung auf 14 Tage auszudehnen, wenn ich die Fälle der letzten 7 Tage zusammenzähle, was in der Regel über 95% der Fälle erfasst und nicht nur die Hälfte.
Da wir ohnehin mit allen möglichen Verzögerungen leben müssen, finde ich meine Methode ehrlicher. Die RKI Methode liefert nämlich auch nicht aktuellere Zahlen, wenn die verspätet kommen, aber sie wirft dazu nichtintuitiv Fälle weg und verharmlost das Infektionsgeschehen.
Die beste Lösung wäre, wenn alle Zahlen innerhalb von 7 Tagen gemeldet würden, aber derzeit braucht oft das Testergebnis allein so lange, und daran können die Gesundheitsämter allein schlecht was ändern; die Länder aber sehr wohl.
Bis das alles einiges Tages bei uns flutscht, kann man beide Inzidenzen bei mir in der Tabelle sehen, zusammen mit einem Indikator, wie schnell die Ämter im Kreis oder Land arbeiten.
Eine weitere neue Spalte enthält einen 7-Tage-R-Wert, der zu den berichten Zahlen passt und nicht auf Prognosen basiert, so wie der RKI-R-Wert, der sich im Nachhinein als falsch herausstellen kann, nachdem die Presse darüber berichtet hat. Das ist kein gutes Merkmal eines Wertes.
Natürlich sind die Zahlen alle mehr oder weniger verzerrt, durch unterschiedliche Dunkelziffern und Änderungen bei Testzahlen und Testregime und durch wochentagsabhängie Schwankungen. Letztere führen leider dazu, dass man nur mit 7-Tages-Schnitten vernünftig rechnen kann.
Ja, mehr als 9 Monate in die Pandemie hinein hat sich scheinbar nicht allzu viel getan an der Datenfront, und einmal eingeführte Berechnungen und Werte fristen weiter ihr Dasein, selbst wenn sie sich lange als untauglich und irreführend erwiesen haben.
Das alles könnte man zynisch abtun, wenn es nicht um gravierende politische Entscheidungen und um Menschenleben gehen würde. So, wie das alles gehandhabt wird, kann es nicht weiter gehen, und nicht nur bei der Datenerhebung und -verarbeitung.
Es ist kein Geheimnis mehr, wie sich die Pandemie erfolgreich managen lässt. Beispiele gibt es genug aus unterschiedlichsten Ländern, liberal und autoritären, kleinen und großen, Inseln und Festland, arm und reich.
Es gibt einfach keine Entschuldigung mehr dafür, die Dinge aus dem Ruder laufen zu lassen, und grundsätzlich macht die Politik auch vieles richtig, aber nicht genug, sonst säßen wir nämlich nicht in einem ungewissen Lockdown und könnten wie andere Länder halbwegs normal leben.
Gut, es deutet gerade einiges darauf hin, dass der Lockdown light, der sich nicht besonders "light" anfühlt, Wirkung zeigt. Wir haben aber noch keine Ahnung, ob es reicht und nur eine grobe Vorstellung davon, wie lange es dauern wird.
Wir sind auch noch nicht wirklich drin im Winter, es kann also auch so kommen, dass das, was jetzt wirkt, nicht mehr reicht, wenn es kälter wird. Auf jeden Fall sind wir von Lockerungen noch unbestimmte Zeit entfernt, Wochen bis Monate.
Möchte den Thread eigentlich nicht auf so einer deprimierenden Note Ende lassen, wo der Best-Case schwer erträglich und der Worst-Case eine unvorstellbare Katastrophe ist, aber ich sehe gerade keinen Weg, wie das realistisch anders laufen dürfte.
Nicht, dass es unmöglich wäre, aber dazu müsste man halt konsequent und mutig handeln und vom Ausland lernen, aber wir wollen ja immer die Besten sein und unsere eigenen Fehler machen. Ja, wir sind oft nicht schlecht, aber große Vorhaben sind historisch schwierig in Deutschland.
Sie stehen oft zu Recht im Verdacht, riskant und verschwenderisch zu sein, aber eine Pandemie erfordert auch große Antworten. Warum nicht gesamte Bevölkerung einen Monat lang wöchentlich testen oder quarantäniseren? Ja, das muss man vorbereiten, aber andere Länder machen es vor.
Derzeit scheint aber der politisch präferierte Weg zu sein, dass wir uns irgendwie weiter durchmogeln. Meine Präferenz ist das allerdings defintiv nicht. Bleibt gesund!
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Corona-Update Freitag, 13.11.2020: Zunächst der Blick in die Welt: Inzidenz weltweit stagniert, weil in Europa immer mehr Länder die Ausbreitung gestoppt haben und im Rest der Welt eher Ruhe ist, außer in den USA, die die EU bald wieder übertreffen könnten ourworldindata.org/coronavirus-da…
Hier einige Länder in Europa, die ihren Ausbruch unter Kontrolle gebracht haben, plus Israel, das auch als warnendes Beispiel dienen kann: ourworldindata.org/coronavirus-da…
Israel hatte Anfang August einen Ausbruch scheinbar unter Kontrolle gebracht, der etwa dem derzeit bei uns entspricht, aber 3 Wochen, nachdem die Zahlen stagnierten, wurde es ab Anfang September noch um ein vielfaches schlimmer, bis am 18 Sept. der Lockdown erfolgte.
Kleines Corona-Deutschland-Update 10.11.2020: Die Zunahme der Neuinfektionen verlangsamt sich, 7-Tages-R knapp unter 1,1, Zunahme bei Sterbefällen auch verlangsamt, was entweder Zufall ist oder an Problemen bei der Datenerhebung liegt.
Im aktuellen Corona-Hotspot Görlitz scheint das Gesundheitsamt zusammengebrochen zu sein, hat gestern keine Meldungen abgegeben, wie 40 andere Landkreise auch. Ein Mittelwert von 5,2 Tagen und ein Median von 4 Tagen in Görlitz schlägt sogar das notorisch langsame Hamburg.
Das liegt sicher auch an Rückstaus beim Testen. Meine Eltern haben 7 Tage auf ein Testergebnis gewartet; angeblich geht ein Teil der Berliner Tests nach München. Zwar dauert es definitiv nicht überall so lange, aber nur rund die Hälfte der Ergebnisse ist am nächsten Tag da.
Corona-Update 6.11.2020: Neuer Tages- (21.056) und 7-Tages-Schnitt-Rekord (~17.000) in Deutschland, 7-Tages-R auf ~1,1 gesunken, aber Labore kommen nicht mit Testen hinterher.
Zahl der Tests bereits in der Vorwoche an der Kapazitätsgrenze, Positivenquote in KW44 nähert sich mit 7,26% weiter der Höchstmarke von 9,03% aus KW14 (Ende März), bei fast 4x Testanzahl und anderem Testregime.
Gemeldeter Probenrückstau bei 100.000 in KW44, aber "nur" bei 1/3 der Labore. Heisst: bei diesen Laboren fielen im Schnitt 1,5 Tage zusätzliche Wartezeit an. Tatsächlich vergehen vielen Fällen 4 Tage und mehr, bis ein Testergebnis vorliegt, bes. in HH, Sachsen, Bawü, Brandenburg
Gerade einen anekdotischen Bericht aus einem tschechischen Dorf bekommen. Jeder hat Freunde oder Verwandte, die infiziert sind, aber im Alltag verhalten sich die Leute, als gäbe es Ansteckung allenfalls unter Fremden.
Die Familie besucht munter übers Wochenende die Grossmutter, obwohl, obwohl die Freundin vom einen Enkel und Klassenkameraden vom anderen infiziert sind.
Die Großmutter besucht alle zwei Tage Freunde und Verwandte, um zu erzählen und zu hören, wer sich jetzt wieder alles angesteckt hat oder im Krankenhaus liegt oder tot ist.
Israel ist am 18. Sept. in den 2. Lockdown gegangen, am 29. stoppte der Anstieg der Neuinfektionen. Jetzt, knapp 5 Wochen später, nähern sich die Neuinfektionen wieder den 50/100.000/Woche und es wird gelockert. ourworldindata.org/coronavirus-da…
Tschechien hatte ab dem 5. Oktober den Notstand ausgerufen und Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Teilschliessungen von Schulen, Kultur- und Sporteinrichtungen verfügt, aber allgemeine Schul-, Betriebs- und Grenzschliessungen ausgeschlossen.
Am 21. Okt. wurden dann doch alle Schulen, Bars, Gastronomie, Hotels und Einzelhandel außer Lebensmittel dicht gemacht, nächtliche Ausgangssperre und Maskenpflicht im Freien und auch in PKWs verhängt; am 28. Okt. war dann der Höhepunkt erreicht, seitdem stagnieren Neuinfektionen.
Dass Flecktarn und Kampfstiefel am Schreibtisch albern ist und aussieht, geschenkt. Aber wie zusammengepfercht arbeiten die Leute da? Am Computer sitzend mit Maske, um zu telefonieren?Zusammen in einem Raum? Sind die nicht ganz dicht? Gesundheitsamt?! bz-berlin.de/berlin/mitte/l…
Schaut euch das Bild an. Mindestens einer von den Leuten auf dem Bild ist infiziert - oder wird es fast sicher in den nächsten zwei Wochen sein. Ich würde es ablehnen, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, aber das sind ja Beamte und Soldaten, die kann man verheizen.
Die Masken bringen bestenfalls Faktor 10 - statt nach 1 Stunde ohne Maske steckt man sich mit Maske dann nach 10 Stunden an. Und überhaupt, das sind doch überwiegend Tätigkeiten, die man alleine aus dem Home-Office machen kann - wieso hocken die alle aufeinander?