Thread! Nach dem Mini-Aufmarsch der neofaschistischen Gruppe Identitäre am Sonntag in Wien ist mir ein extremer Rechter gefolgt. Insgesamt ist er knapp 1,5 Stunden hinter mir her. Offenbar wollte er herausfinden, was ich tue und wo ich wohne. Warum und wie gefährlich das ist. 1/x
Ich habe am Sonntag live über die Situation berichtet und vor allem den absurden Aspekt betont. Ich lasse mich nicht einschüchtern und werde mich nicht einschüchtern lassen. Gleichzeitig ändert mein persönlicher Zugang nichts an der potentiellen Bedrohung für JournalistInnen. 2/x
KollegInnen berichten mir, dass der Typ auch sie nach rechten Aufmärsche bereits verfolgt hätte. Eine solche Verfolgung durch extreme Rechte kann mehrere Funktionen haben: Einschüchterung, Bedrohung und Informationsgewinn, etwa Verhaltensmuster und vor allem die Wohnadresse. 3/x
Das hat in diesem Fall nicht funktioniert, ich habe den Typen stattdessen auf eine Schnitzeljagd durch Wien mitgenommen, dafür gesorgt, dass er antifaschistische Denkmäler kennenlernt ... und mit dem Rad sehr viel bergauf fahren muss. 4/
Wie ging es los? Am Sonntag hatte ich von einem Mini-Aufmarsch der Identitären vor dem Bundeskanzleramt berichtet. Nach dem Ende bemerkte ich, dass mir ein Typ auf dem Fahrrad folgt. Er war mir bereits beim Aufmarsch mit Provokationen aufgefallen. 5/x

Ich habe dann vor der Oper begonnen, den Typ zu filmen. Dabei ist diese völlig absurde Situation entstanden. Er posiert mit White Power Zeichen und macht irgendwelche Dinge. Ich kann euch leider auch nicht erklären, was. 6/x
Danach ist mir der Typ über Kärntner Straße und Stephansplatz zur Judengasse beim Schwedenplatz nachgegangen. Quer durch die gesamte Wiener Innenstadt. Mal auffällig, mal schlecht versteckt. Für mich war das vor allem absurd - es ändert nichts an der potentiellen Bedrohung. 7/x
Ich bin dann bewusst zum Denkmal für die Gestapo-Opfer am Morzinplatz, antifaschistischer Bildungsauftrag. Dort hat sich der deutsche Held zwischen den Mistkübeln versteckt. 8/x

Ich bin dann bewusst auf Öffis umgestiegen. Zuerst mit der Straßenbahn vom Morzinplatz zum Schottentor und dann zum Volkstheater. Der Typ auf dem Fahrrad hinterher. Ich hab mir eine Linie ausgesucht, wo es aufwärtsgeht. Zeitweise wirkte der Kamerad schon etwas müde ... 9/x
Danach bin ich in die Buslinie Richtung Steinhofgründe umgestiegen. Für Nicht-WienerInnen: Die geht fast die ganze Zeit bergauf. Zu dem Zeitpunkt gab der Kamerad jede Pseudo-Tarnung auf. Immer wieder nahm er sein Licht in die Hand und blinkte mich durchs Busfenster an. 10/x
Höhe S-Bahn Ottakring gab er dann auf, ihm ist wohl die Puste ausgegangen. Davor war er mir rund acht Kilometer quer durch Wien gefolgt. Meine Fahrt ging übrigens Richtung Steinhof-Gründe, dort steht ein weiteres wichtiges antifaschistisches Mahnmal. 11/x gedenkstaettesteinhof.at
Das klingt alles absurd, für mich war es das auch. Wir sollten aber die tatsächliche Gefahr, die von so etwas ausgehen kann, nicht übersehen. Warum wollen Rechtsextreme private Informationen über JournalistInnen? Warum wollen sie ihre Privatadressen herausfinden? 12/x
Die Gefahr, die von so etwas potentiell ausgehen könnte, darf nicht unterschätzt werden. In den 1990ern wurden JournalistInnen, AktivistInnen und Menschen aus Minderheiten Opfer von faschistischen Bombenanschlägen. Vier Menschen aus der Roma-Minderheit starben. 13/x
Es ist offensichtlich, dass kritische journalistische Berichterstattung eingeschüchtert werden soll. Erste rechte Provokationen haben übrigens bereits beim Aufmarsch begonnen, wo Identitären-Gesicht Sellner etwa anordnete, dass ich mit Schirmen abgeblockt werde. 14/x
Die Angriffe überraschen mich nicht: Meine Recherchen sind der extremen Rechten seit Jahren ein Dorn im Auge. Aktuell versucht Sellner auch, mich juristisch einzuschüchtern, Anfang September hat er eine Klage gegen mich eingereicht.
bonvalot.net/ib-gesicht-sel…

15/x
Hier könnt ihr übrigens meine Recherchen, meine Arbeit und meine juristische Auseinandersetzung unterstützen! Viel Liebe für euren Support! ❤️❤️❤️

bonvalot.net/support/

16/x
Ich kann das alles gut nehmen - doch das kann nicht der Ausgangspunkt der Diskussion sein. JournalistInnen müssen ihre Arbeit machen können, ohne dass ihnen extreme Rechte 1,5 Stunden quer durch Wien folgen und versuchen, sie auszuspionieren.

17/x
Extreme Rechte greifen mich heraus. Doch real ist das eine Botschaft an alle JournalistInnen und an alle, die kritisch über die extreme Rechte berichten. Die Antwort ist klar: Noch mehr Recherche, noch mehr Information, noch mehr Aufklärung. Und nie wieder Faschismus!

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12 Nov
Thread!

1) Donald Trump hat die Wahlen in den USA wohl verloren, aber dennoch einen gewaltigen relativen Sieg eingefahren. Das betrifft nicht nur den Ausgang von Kongress- und Senatswahlen, sondern vor allem die enorme Zahl von Popular Votes. Ordnen wir das ein!
2) Bereits jetzt steht Trump bei 72,367,357 Millionen Stimmen (CNN, 12.11., 15.48h), Biden bei 77,572,972. Die Auszählung ist nicht beendet. Das ist ein substantieller republikanischer Zugewinn im Verhältnis zu vergangenen Wahlen.

edition.cnn.com/election/2020/…
3) Sehen wir uns den Vergleich an: 2016 gewann Trump mit 62,985,106 Stimmen. Das bedeutet, dass Trump heute um rund 15 Prozent mehr Stimmen bekommen hat als bei seiner erfolgreichen Wahl 2016.

nytimes.com/elections/2016…
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2 Sep
Am Freitag gehe ich gegen die Polizei vor Gericht. Ich wollte die Verhaftung eines Antifaschisten bei einem rechten Aufmarsch dokumentieren. Polizisten haben mich gewaltsam gehindert. Ab Freitag beginnt das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien.

1/

bonvalot.net/die-pressefrei…
Der Polizist wird nun vor Gericht erklären müssen, warum er mich während der Verhaftung mehrmals wegstößt und abdrängt. All das ist auf einem Video dokumentiert. Es ist ist nicht das erste Verfahren, das ich gegen die Polizei führen muss - es wird nicht das letzte bleiben. 2/
Einer meiner Fälle liegt etwa aktuell beim Verwaltungsgerichtshof, dem obersten Gericht. Und gerade bereiten wir bereits die nächste Maßnahmenbeschwerde vor, die in den nächsten Tagen vor Gericht eingebracht werden wird.

3/
Read 9 tweets
15 Aug
Thread! Sellner droht mir mit Klage! Was ist passiert, warum macht er das, wie könnt ihr helfen?

Seit Jahren sind meine Recherchen der neofaschistischen Gruppe Identitäre ein Dorn im Auge. Nun glaubt IB-Gesicht Sellner, endlich einen Grund für eine Klage gefunden zu haben. ... Image
.. Sellners Anwalt hat mir eine Aufforderung geschickt, es geht um Medienrecht, üble Nachrede, Kreditschädigung. Ich solle eine Unterlassungserklärung unterschreiben, seine Anwaltskosten übernehmen und 2000 Euro an einen IB-nahen Verein überweisen. ..
.. Anlass ist eine Kundgebung der @sjwien am 7.3.2020. Dort hatte es eine Auseinandersetzung zwischen AntifaschistInnen und Identitären gegeben. Sellner meint nun, dass meine Berichterstattung nicht korrekt sei - das ist allerdings umstritten, sagt meine eigene Medienanwältin. ..
Read 12 tweets
11 Mar
Thread! Seit heute bin ich in Wien in Corona-Quarantäne. Wie läuft so etwas ab und was ist heute passiert?

Quarantäne, Tag 0

In meinem nahen sozialen Umfeld gibt es einen Verdachtsfall. Eine liebe Freundin kam vor 10 Tagen aus Bologna zurück.

1/
Sie war schon vor der Reise etwas verkühlt, ist sie fast laufend. Die Entscheidung zu dieser Reise war gut überlegt und im Vorfeld recherchiert - zu diesem Zeitpunkt gab es im gesamten Großraum Bologna mit rund einer Million EinwohnerInnen gerade einmal zwei Corona-Fälle. 2/
Das sind viel weniger als jetzt beispielsweise in Wien.

Heute hatte diese Freundin neben ihrer (Quasi-Standard-)Verkühlung leichte Brustschmerzen, ein befreundeter Arzt tippt auf eine simple Bronchitis.

3/
Read 13 tweets
7 Mar
So soll Berichterstattung unterbunden werden: Bei Protesten gegen extrem rechte Kundgebungen in Wien verhaftet die Polizei mehrere Menschen. Als ich eine Verhaftung dokumentieren will, will mich ein Polizei-Hundeführer daran hindern - mehrmals springt mich sein Hund an.

#noib
Video: Vielen Dank an @PresseWien
Vielen lieben Dank für euer großes Interesse an diesem Fall! Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar zusätzliche Einordnungen und Informationen zu dieser Situation geben.

Ort des Geschehens ist der Wiener Karl-Lueger-Platz beim Stubentor. 1/
Read 15 tweets
7 Jul 18
Soeben wurde ich Zeuge eines rassistischen Angriffs auf der Favoritenstraße in Wien.
Auf einmal knallt es neben mir. Ein Junge, vielleicht 12 oder 13, fliegt mit dem Kopf voran gegen eine Scheibe.
1/
Der Täter, ein Mann um die 40, hat scheinbar ganz selbstverständlich zugeschlagen und geht danach einfach mit seiner Begleiterin weiter.

Die Freundinnen des Buben sind in voller Aufregung, er selbst steht offenbar unter Schock. 2/
Die beiden jungen Frauen sind mit Kinderwagen unterwegs. Es dürften Menschen aus der Minderheit der Roma sein. Sie erzählen hastig, dass sie nicht verstehen, was da gerade passiert sei. Der Mann hätte noch "Scheiß Tschuschen" gerufen und dann einfach zugeschlagen. 3/
Read 11 tweets

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