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25 Nov, 35 tweets, 6 min read
Heute ist ein Tag, an dem wichtige Weichen für die weitere Entwicklung der Covid-Epidemie in Deutschland gestellt werden. Hier ein Bild der bisherigen Entwicklung der Inzidenz bis heute und wie sie sich bei verschiedenen R-Werten entwickeln würde.
Seit über 2 Wochen pendelt der R-Wert nahe um 1. Damit wir bis März unter 50/100k kommen, müsste R im Schnitt unter 0,95 liegen. Um das noch in diesem Jahr zu schaffen, müsste R unter 0,85 liegen. Unter 0,8 wären wir vor Weihnachten so weit. All das läge im Rahmen des Möglichen.
Aber wie wahrscheinlich sind diese Szenarien? Es ist eher unwahrscheinlich, dass R deutlich weiter sinkt, ohne dass sich etwas ändert. Ein harter Lockdown könnte die nötigen 10-20% weniger R bringen, aber das ist offenbar heute nicht geplant.
Der Plan scheint zu sein, mit eher kleinen Maßnahmen und Schulferien ein paar Prozent zu holen und unter 1 zu bleiben, was wir bis zum Sommer durchhalten könnten. Das bedeutet aber auch, dass vor März keine Lockerungen möglich wären und mindestens 50.000 Leute sterben würden.
Keinen Plan gibt es für den Fall, dass R steigt, etwa, weil es kälter wird oder die Leute isolationsmüde und unvorsichtig werden, und ein Anstieg von R um nur 5-10% würde uns in einen harten Lockdown treiben, weil das unser Gesundheitsystem nicht aushalten würde.
Seit zwei Wochen liegen fast alle R-Werte zwischen 0,95 und 1,05 mit einem Schnitt von ziemlich genau 1, wobei allein Änderungen im Testregime in den letzten Wochen 5-10% niedrigere Zahlen gebracht haben.
Ohne die aktuellen Testzahlen, die erst heute abend veröffentlicht werden, lässt sich nicht sagen, ob sich das Testregime nun stabilisiert hat und inwieweit die Zahlen mit denen der Vorwoche vergleichbar sind. Sollten die Testzahlen weiter gesunken und ...
...die Positivenrate weiter gestiegen sein, wären die Zahlen im Vergleich zur Vorwoche weiterhin zu niedrig. R wäre in der Realität weiterhin höher, als es die Zahlen ausweisen, und wir müssten uns noch mehr anstrengen, um real überhaupt unter 1 zu kommen.
Auf jeden Fall sind wir nicht da, wo wir sein müssten, und wir bewegen uns auf einem Pfad, wo wir vor dem Sommer nicht unter 50/100.000 kommen würden, wobei R sicher nicht so konstant bleiben wird, wie es die Szenarien in der Graphik suggerieren.
Und wie gesagt, für den Fall, dass die Zahlen steigen, gibt es keinen Plan. Der Plan ist, so lange mit dem Lockdown light weiterzumachen, bis die Zahlen sinken. Da scheint mir zum Teil Wunsch Herr der Planungen zu sein.
Vor zwei Tagen habe ich diesen Thread geschrieben, aus dem hervorgeht, dass einzelne Maßnahmen R bis zu 25% reduzieren und ein harter Lockdown R etwa halbiert:
Wie viel die uns verbleiben Maßnahmen (Schulschliessungen, Betriebsschliessungen, harte Ausgangsperren) tatsächlich bringen würden, ist nicht klar, aber 10-30% könnten drin sein, und die könnten wir gut brauchen. Unklar ist, wie sich die Weihnachtszeit auswirken wird.
Faktisch werden wir durch die Ferien Schulschliessungen haben, und auch viele Betriebe werden geschlossen sein, was die Zahlen senken könnte. Dem gegenüber könnten private Feiern, Reisen und Weihnachtseinkäufe die Zahlen steigen lassen.
Niemand kann derzeit sagen, wie die Entwicklung genau weiter geht, und wie man an der Graphik sieht, machen kleine Veränderungen bei R-Wert gewaltige Unterschiede im zukünftigen Verlauf aus, und niemand kann mit hinreichender Genauigkeit vorhersagen, wie der aussehen wird.
Fakt ist aber, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahlen steigen, derzeit mindestens genauso groß ist, als dass sie sinken, aber für diesen Fall kein Plan existiert, jedenfalls keiner, den die Regierung uns mitzuteilen gedenkt. Er könnte uns verunsichern.
Auf jeden Fall ist die Situation kritisch, instabil und nicht nachhaltig. Früher oder später wird R steigen oder sinken, wobei unklar ist, was den aktuellen Wert senken sollte. Klar dagegen ist, dass es kälter wird und manche Maßnahmen mit der Zeit an Wirkung verlieren.
Gut, manche Maßnahmen entfalten erst nach Wochen ihre maximale Wirkung, aber ob die Wirkung der Maßnahmen vom 2.11. ihren Gipfel erreicht oder überschritten hat, weiß auch niemand, wobei sich R derzeit bestenfalls knapp über 1 zu stabilisieren scheint. (bunte Treppen)
Ein Blick auf den Verlauf von R während des 1. Lockdowns zeigt, dass damals das 7-Tage-R schneller und kontinuierlich in knapp 4 Wochen auf nahezu den Tiefstwert vom ~0,8 gefallen ist, um kurz über 0,9 zu steigen und kurz auf den absoluten Tiefstwert von ~0,75 zu fallen.
Ausserdem war damals drei Wochen nach Einführung der Maßnahmen ein deutlich sinkender 7-Tage-Mittelwert bei Neuinfektionen zu beobachten. Das sehen wir aktuell bisher nicht, und der heutige Tageswert lag über dem vor Mittwochswert vor ein und zwei Wochen.
Diesmal läuft es nicht so gut, aber wir haben auch weniger Lockdown und das Wetter eher gegen und nicht für uns und die Testzahlen sinken, und ohne sinkende Positivquote gibt es keine Trendumkehr bei der Ausbreitung. Die Zahl werden wir erst heute abend oder morgen erfahren.
Wie auch immer, jeder kann sich selbst ein Bild machen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Zahlen ohne weitere Verschärfungen zurückgehen. Ausgeschlossen ist es nicht, aber es spricht aus meiner Sicht viel dagegen und wenig dafür.
Umgekehrt spricht einiges dafür, dass die Zahlen weiter steigen werden, so lange es keine weiteren Verschärfungen gibt. Problem ist aber, dass wir uns ein weiteres Ansteigen nicht leisten können.
Die Zahl der Toten ist nämlich auf Rekordniveau, müsste sich aber in der kommenden Woche bei ~250/Tag stabilisieren, aber das sind 1700 pro Woche oder ~7000 pro Monat. Das sind verdammt viele Einzelschicksale.
Und von den 410 Toten heute waren 2 Kinder unter 5 Jahren, 19 vermutlich mitten im Leben stehende Menschen in der Altersgruppe 35-59 und 110 heutzutage nicht wirklich alte Menschen zwischen 60 und 79 Jahren.
Die 279 Menschen ab 80 Jahren sind eine besondere Trägödie, weil viele von ihnen keine Chance hatten, sich selbst zu schützen - viele waren darauf angewiesen, dass ihre Heime und Pfleger sie schützen, und das haben sie ganz offenbar in vielen Fällen nicht vermocht.
Genauer gesagt: Mindestens 87.746 Menschen ab 80 Jahren haben sich in Deutschland nachweislich mit Covid-19 infiziert, 9.602 von ihnen sind daran gestorben. Dass es in anderen Ländern viel schlimmer ist, ist anzuerkennen, aber ein schwacher Trost.
Es gibt nämlich auch viele Länder, in denen das wesentlich besser funktioniert hat, und wenn, dann müssen wir uns ja wohl an denen messen - schliesslich haben wir mit die besten Mittel und Voraussetzungen und keine Entschuldigungen.
Ich möchte jetzt nicht mit dem Finger auf Pfleger zeigen, die Altenpflege ist ein extrem schwieriger und schlecht bezahlter Job, und ein einzelner Pfleger oder Besucher kann alle Anstrengungen zunichte machen.
Leider gibt es auch hinreichend Fälle, wo Ausbrüche viel zu spät bemerkt oder gar lange verschwiegen wurden und fahrlässig Personal mit Atemwegserkrankungen eingesetzt wurde - das gehört auch zur Wahrheit.
Wie auch immer, ich bin nicht überzeugt, dass die aktuellen Pläne der Regierung die Epidemie hinreichend eindämmen werden. Auch, wenn es nicht ausgeschlossen ist, so bräuchten wir eine Menge Glück, wenn das so klappen soll.
Eine Planung, die Glück voraussetzt, um zu funktionieren, ist Planung nach dem Prinzip Hoffnung, aber das ist keine Planung, das ist ein Fortschreiben von Ungewissheit, die mir eher Angst und Bange macht als mich zu beruhigen.
Was passiert, wenn die Zahlen weiter steigen? Warum wird das ausgeblendet? Ist das Intransparenz oder Ahnungslosigkeit? Vertrauenerweckend ist das jedenfalls nicht, wo doch Vertrauen extrem wichtig für den Erfolg der Maßnahmen ist, die ja nicht umfassend kontrollierbar sind.
Ich hoffe ja, dass heute noch ein Wunder geschieht und wir auch Aufklärung darüber erhalten, was bei steigenden Zahlen geplant ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Bleibt gesund und passt auf euch auf!
Hier noch die Version der Graphik, die ich eigentlich twittern wollte, mit einer zusätzlichen Kurve für R=1,1 und ohne den überflüssigen Strich in der Legende, ansonsten identisch.

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