Nun, da erste Meldungen über (bevorstehende) #Triage in Berlin u. Sachsen-Anhalt eingehen, Reminder zur Rechtslage.
1. Es gibt keine expliziten gesetzl. Regeln, wie Auswahl zu erfolgen hat u. welche Folgen die Auswahl für Ärzte hat.
2. Unterschieden wird ex ante u. ex post T.
3. In der ex ante Situation muss Arzt wählen, welcher Patient freies Intensivbett o.ä. erhält. Nach herrschender Meinung hat er hier freie Hand. Er handelt immer rechtmäßig, auch wenn er zB Coronaleugner benachteiligt. Grund: Wenn zwei Handlungspflichten konkurrieren, er ...
aber nur eine erfüllen kann, ist das Unterlassen der anderen kein Unrecht (ultra posse nemo obligatur). Ärztliche Richtlinien sehen Auswahl nach Erfolgschancen vor, haben aber kein rechtl. Verbindlichkeit. Manche Wissenschaftler fordern: Lostentscheid.
4. Wesentlich bedeutsamer ist ex post Konstellation: Irgendwann sind alle Ressourcen im Landkreis, Bundesland erschöpft, es kommen aber neue Patienten. Darf Arzt Behandlungsressource dem nehmen, der geringe Chancen hat, um sie anderer (mit besserer Chance) zu geben?
Herrschende Meinung in Rechtswissenschaft u. Dt. Ethikrat sagen: nein. Das sei rechtswidriger Totschlag (ich sehe das anders, vertrete aber Mindermeinung). Einige (Ethikrat) sagen Arzt verdiene in solchen Fall "Nachsicht" = geringe Strafe (da Entschuldigungsgrund nicht greift).
5. Ich halte beide Konsequenzen für schwer hinnehmbar. Bei der ex ante Triage geben allgemeine Rechtsregeln dem Arzt freie Hand, in der ex post Triage verkürzen diese den Handlungsspielraum (jedenfalls nach h.M.) auf Null; Ärzte die dennoch triagieren, drohen Strafen. - BVerfG?
Nachtrag: Wenn - zur Vermeidung v Triage - darüber nachgedacht wird, Patienten mit Hubschraubern in anderen Bundesländer zu fliegen, zeigt das, dass man im Modus der Katastrophenmedizin arbeitet. Ein frz. Arzt hat das neulich bei einer Tagung als "The Bad+Ugly" bezeichnet.
Zweiter Nachtrag, da ich danach gefragt worden bin: Nach meiner Meinung u. der einiger Kollegen sollten Ärzte nach den DIVI-Richtlinien entscheiden (in beiden Konstellationen), bei denen Erfolgsaussicht zentral ist. Handeln sie entspr., sollte das als rechtmäßig bewertet werden.
Meine Paper sind publiziert in der "Zeitschrift für Medizinstrafrecht" (gem. mit Gaede, Saliger und Tsambikakis) sowie in der "Zeitschrift für medizinische Ethik" (aktuelles Heft).

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13 Dec
Am Freitag hat ein Intensivmediziner während eines Workshops drei Kategorien gebildet:
1. The Good: Kategorie für die gängigerweise zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Ressourcen. Wer diese benötigt, ist schwer/lebensbedrohlich krank, erhält aber optimale Versorgung./1
2. The Bad: Kategorie für die in den letzten Monaten notfallmäßig neugeschaffenen Kapazitäten, für die aber kein erfahrenes/hinr. geschultes Personal zur Verügung steht. Wer hier landet, ist sehr schwer krank, wird aber nicht optimal versorgt. Hier sind wir mancherorts. /2
3. The Ugly: Kategorie für den Bereich, in dem keine intensivmedizinische Versorgung mehr für alle geleistet werden kann, die diese benötigen. Hier waren diverse Länder (Frankreich, Spanien, Italien, UK). Wir nähern uns dieser Grenze, ab der triagiert wird. /3
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8 May
@stephandetjen EuGH argumentiert häufig allein zweckbezogen. Bei teleologischer Sichtweise kommt es nur darauf an, das Mittel des Unionsrechts wirksam ist. Allerdings gilt im Mehrebenensystem Europas der Satz v Hobbes, aus dem Recht auf den Zweck folge auch das Recht auf die Mittel, nicht. /1
@stephandetjen Die Union ist eine supranationale Organisation, die ihr Recht aus der Kompetenzzuweisung der Mitgliedsstaaten ableitet. Innerhalb dieser Kompetenzen trifft Kommuniqué des EuGH zu. Er hat aber weder das Recht noch die Macht, Kompetenz einseitig auszuweiten. /2
@stephandetjen Den Maßstab, den BVerfG für die Feststellung v ultra vires anlegt, ist hoch. Insoweit bleibt allen Institutionen des Verfassungsgerichtverbundes reichlich Spielraum - wenn sie guten Willens sind u Rechte der jeweils anderen Verbundmitglieder anerkennen. /End
Read 4 tweets
9 Apr
Mit meinen Kollegen Saliger (LMU), Gaede (Bucerius Law School) u Tsamibikakis (Fachanwalt für Straf- u Medizinrecht) habe ich eine umfangreiche Stellungnahme zur #Triage verfasst. Sie antwortet zum einen auf den ⁦@ethikrat⁩, der dem Gesetzgeber Zurückhaltung u den Ärzten /1
eine Gewissensentscheidung empfiehlt. Damit tragen sie die volle moralische Verantwortung und zudem erhebliche Rechtsrisiken, da ihr Handeln zT rechtswidrig sein soll. - Wir fordern den Gesetzgeber zum Handeln auf, zeigen aber auch einen Weg /2
wie geltendes Recht so ausgelegt werden kann, dass (a) die normative Basisgleichheit gewahrt bleibt und (b) Auswahlentscheidung rechtmäßig getroffen werden können. - Beitrag erscheint im Mai-Heft einer Fachzeitschrift. Interessierten Journalisten machen wir sie vorher zugänglich.
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12 Mar
Hillgruber kritisiert in @faznet erwartungsgemäß Entscheidung des BVerfG zu #sterbehilfe. Sein Ausgangspunkt ist u.a. aus @JuristenZeitung bekannt. Recht des einzelnen, sein Leben zu beenden, gehöre nicht zum allg. PersönlichkeitsR, sondern sei nur Teil allg. Handlungsfreiheit.
Wie das "Pfeifen im Walde" (Isensee, in meinem 1. Bonner Semester), das eben auch keinen bes. grundrechtl. Schutz genießt. Weiter (in meinen Worten): Handlungsfreiheit schütze aber nur neg. Freiheit = Staat darf Selbsttötung nicht verhindern; sie impliziere aber keine
positive Freiheit, dass der Staat eine "schmerzfreie und risikolose Freiheitsausübung" (sic!) gewährleisten müsse. Abgesehen von diesem sprachl. Framing, das ich schwer erträglich finde: Der Staat soll hier nichts positiv gewährleisten, sondern sich eines Eingriffes enthalten:
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10 Dec 19
Die @AfD schreibt "Unser Land versinkt in Gewalt", aus Anlass des Messerangriffs vom Münchener Hbf (Tatverdächtig ist übrigens ein obdachloser Münchner, Daniel G.). Das ist grottenfalsch, wie eine wenig bekannte #Statistik zeigt.
@AfD Die Sterblichkeitsrate durch Gewaltkriminalität von 1901–2011. Diese Statistik ist genauer als die nicht unumstrittene Polizeiliche Kriminalstatistik. Anfang des 20. Jh. lag die Tötungsrate bei Männern bei ca. 2,5 bis 3,0 pro 100.000), Rate weiblicher Opfer (bei 1,0 bis 1,5).
@AfD Bis in die Gegenwart sank der Wert auf die im internationalen Vergleich sehr niedrige Opferrate von ca. 0,6 pro 100.000 (Männer und Frauen weisen keine gravierenden Sterblichkeitsunterschiede mehr auf).
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