Nur weil ich es diese Woche immer wieder in den Nachrichten gehört, gesehen und gelesen habe: #Kitas haben geschlossen / haben #Notbetreuung. Wie das in der Realität bei mir als #Erzieher in #Berlin aussieht: Ein Thread. Auch wenn es keiner liest. Es muss raus.
(1) Ich bin Pädagoge in einer Berliner Kita. Mein Traumjob. Normalerweise sind 80-100% der Kinder anwesend. In der aktuellen Situation von "geschlossen" oder "Notbetreuung" zu reden ist ... schwierig. Ich habe in meiner Gruppe 16 Kinder zwischen 1 und 2 Jahren.
(2) Wir bleiben unter uns und achten alle Hygienebestimmungen. Nur im Alltag bedeutet das: Wickeln, Rotz abwischen, ins Gesicht genießt oder gehustet zu bekommen, Kuscheln, Trösten, Tragen usw... Es laufen Eingewöhnungen, Kolleg*innen werden schwanger (Hurra!), krank, kündigen...
(3) Alles fast wie immer. Aktuell sind wir bei einer Belegung von über 65%. Das sind nur 15% unter Normalbedingungen. Dass Kinder sich infizieren und andere anstecken, wir alle Familien auch mit Angehörigen diverser Risikogruppen haben, muss man eigentlich nicht erzählen.
(4) Kita-Mitarbeiter*innen gehören zu der Gruppe der am meisten krank geschriebenen in Zusammenhang mit #Corona. Was mich aber wirklich sauer und auch ängstlich macht, ist eine Senatorin und deren Kolleg*innen, die uns Fachkräfte schon immer wie Abschaum behandeln.
(5) Im ersten "Lockdown" wurden tageweise Entscheidungen getroffen, die immer wieder von Trägerverbänden "nachverhandelt" werden mussten, weil das Meiste nicht umsetzbar war. Es wurde Geld den Trägern zugesichert, damit sie Betreuung gewährleisten konnten, welches wiederum
(6) unmittelbar im Anschluss mit den Worten zurück verlangt wurde, dass die Erzieher*innen ja froh sein sollten, überhaupt Gehalt bekommen zu haben. Dazu eine Familienministerin die Vorschlägt bei Personalknappheit "mal in der Igelgruppe zu fragen".
(7) Das ist diese abschätzende Haltung, die wir Pädagig*innen in den letzten zwanzig Jahren erleben. Egal wie sytemrelevant wir grade sind. An diesem Punkt: Herzlich willkommen im Club liebe Kolleg*innen aus den Schulen.
Wo war ich ... achja ...
(8) Die zuständige Senatorin wollte wohl den Stress der Listen abwenden und verhält sich wie ein trotziger Teenager, der jetzt die Träger das ausbaden lassen möchte, indem sie eben keine Vorgaben macht und auf sogenannte Eigenverantwortung setzt.
(9) Eben diese Entscheidungsträger*innen reden bei einer 66%igen Auslastung von "Notbetreuung". Lediglich ein Appell an Eltern, sie sollen ihre Kinder selbst betreuen. Nur in außerordentlich wirklich megawichtigen Extremfällen sollen sie ihr Kind in die Kita bringen.
(10) By the way... Wir müssen jeden Tag bis 12 Uhr die Zahlen der Kinder und der zur Verfügung stehenden Mitarbeiter*innen melden. Die Senatorin möchte ab einer Belegung von 65% über Listen nachdenken. Seht her liebe Familien: Das ist der mahnende Zeigefinger - von oben herab.
(11) Jetzt den Eltern die Schuld für volle Kitas zu geben ist kurzsichtig und falsch. Was soll ich denn meinem Arbeitgeber sagen? Der muss ja auch schauen, dass sein Laden läuft. Und wenn Verdienstausfall ein außerordentlicher wirklich megawichtiger Extremfall ist,
(12) ist auch klar, dass Eltern eben nicht ihren Job gefährden oder sich kündigen lassen, nur damit sie ihr Kind nicht in die Kita geben. Wer das denkt, denkt an der Realität vorbei. Viele meiner Eltern versuchen was nur geht, und das ist eben über 65%.
(13) Solange es Betreuung gibt, haben Eltern gar keine Möglichkeit einem Arbeitgeber Fakten vor die Nase zu setzen, noch haben Arbeitgeber die Möglichkeit Ausfall auszugleichen. Alles ein Appell.
(14) Jetzt in den Nachrichten von geschlossenen Kitas zu reden, das Ganze Notbetreuung zu nennen oder dem sonst irgend einen Anstrich zu geben, die Verantwortung auf extrem ausgelastet Familien abzuwälzen und ernsthaft einen Normalbetrieb anzustreben, während 1000e täglich
(15) sterben und 10000e sich definitiv niemals nie auf der Arbeit anstecken, während #B117 vor einigen Tagen angeklopft hat und erst heute gemerkt wird, dass B117 schon längst im Wohnzimmer sitzt und den Popcornvorrat wegfuttert, ist sowas von unprofessionell.
(16) Die Toten gehen auf eure Kappe. Ist euch klar was das bedeutet? Macht die Kitas zu. Kehrt zu #Listen zurück! Verdammt nochmal. Wie viele sollen noch sterben, bis ihr mal ernsthaft reagiert, statt so einem Hintertürchengeschwurbel?
(17) Bietet Arbeitgebern Unterstützung an, verpflichtet sie zu #Homeoffice oder Freistellung, wo es möglich ist. Und kommt nicht mit den Kosten. Das was zurzeit Läuft ist viel teurer, weil es keinen ausreichenden Effekt hat und der echte Lockdown nur hinausgeschoben wird.
(18) Ihr tauscht Eitelkeiten, Rechthaberei und Machthunger gegen 10000e von Leben derer, deren Schutz eure Verantwortung ist. Dafür wurdet ihr von ihnen gewählt.
Wenn ich meinen Job so machen würde, wie ihr euren.
Danke fürs Lesen, das musste raus. Sorry, dass es so lang war.
Diese Woche 73%ige Belegung.

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