Kann das sein, hat Kretschmer das wirklich so gesagt?
Ja, hat er. Und noch viel mehr, was nur noch entsetzlich ist. Und gleichzeitig sehr viel über eine leider momentan dominierende Art von Politik verrät, gegen die wir uns mehr wehren müssen. freiepresse.de/nachrichten/sa… (€) (1/X)
Im 2. Ausschnitt nennt Kretschmer das Datum: Am 11.12.20 besucht er Krankenhäuser und validiert ihm vorliegende Informationen, nämlich: die Lage ist ernst. An diesem Tag sind in Deutschland insgesamt 21.567 Menschen an Covid-19 gestorben, europaweit 297.072, weltweit 1,6 Mio
Entweder ist das eine fabrizierte Geschichte, um sein Image zu retten. Dann hätte er auch erzählen können, dass er für wirkungsvolle Politik leider zu beschäftigt damit war, Kinder zu foltern und zu essen, es wäre nicht viel schlechter angekommen.
Oder dieser Ministerpräsident hat wirklich erst nach zehn Monaten globaler Pandemie und Millionen Toten gemerkt, das er die Verantwortung dafür trägt, dass in seinem Land nicht zu viele Menschen sterben. Oder was könnte ihn sonst abgehalten haben?
Seine Antwort: die Bevölkerung. Die wollte den Lockdown ja zu großen Teilen nicht. Und woher weiß Kretschmer das? Von seiner Facebook-Seite (Ausschnitt 2). Die Kommentare dort, die zeigten ihm eine Stimmung, gegen die er sich nicht durchsetzen konnte.
Immer wieder zieht er eine besonders perfide Variation dieses bekannten Motivs der Pandemiepolitik heran: man hätte ja gerne mehr Leben geschützt. Wenn man ihn gelassen hätte. Und richtig gewarnt hat man ihn auch nicht.
Das Interview entlarvt also erstens eine langfristige Fahrlässigkeit und Ignoranz im Umgang mit einer Jahrhundertkrise, die an Gemeingefährlichkeit grenzt. Zweitens einen routinierten Charakter der Verantwortungsabwehr, der lügt und verzerrt, wo es ihm nutzt.
Und drittens eine Schamlosigkeit, auch noch Bevölkerung und professionell Leidtragende (in dem Fall die Mediziner*innen) zu beschuldigen, wenn das eigene Versagen nicht mehr zu leugnen ist. In anderem Zusammenhang nennt man das Victim Blaiming.
Und jetzt kann man sich kurz überlegen, in welche andere, noch größere globale Krise uns diese Art von Politiker*innen gerade steuert, gegen alle Zahlen und jede Wissenschaft, mit Verweis auf mangelnde "Eigenverantwortung", mit katastrophalen Folgen, ohne jede Verantwortung.
(Bonustrack: Am Ende des Interviews ein bisschen Kulturkritik, Schuld könnte auch das Netz sein. Im August traf er die antiaufklärerischen Schwurbler noch persönlich. )
Abstraktion 1: Ich glaube, Kretschmer ist nur die extreme Ausprägung eines Politikerstypus, der nicht mehr merkt, wie weit er sich von jeder Vernunft und Aufrichtigkeit entfernt hat, auch weil er sich seine Resonanzquellen (Facebook!?) passend zu seinem Opportunismus aussucht.
Abstraktion 1: Das hat weder Corona noch Klima exlusiv. Die allumfassende Krise ist nur (Achtung Phrase) ein Kontrastmittel, diese Art von Politik sichtbar zu machen, bzw. ihre fatalen Konsequenzen unbestechlich und maximal dringlich öffentlich zu problematisieren.
An anderen Stellen spüren nur manche Bevölkerungsgruppen die Auswirkungen. Viele andere Schäden werden in die Zukunft verschoben (s. Klima). Manches versendet sich, wird durch lautstarke Partikularinteressen vom Politiker*in abgelenkt. Aber: die Kretschmers sind in der Mehrheit.
Letzter Gedanke, so trivial er klingen mag: ein Virus oder das Klima lassen sich nicht wie fast alle(s) andere belügen oder aussitzen. Gegen Mathematik ist jede (Selbst-)Täuschung machtlos. Politiker*innen, die das heute, in dieser Situation nicht verstehen, verstehen es nie.
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Diese Worte von Biden für groß oder ausreichend zu halten, ist Teil des Problems. Die bürgerliche Mitte, zu der er gehört, reagiert auf Extremismus von rechts immer und immer wieder mit Appeasement, politisch wie rhetorisch. Statt Verantwortliche und Programme klar zu benennen
und auszugrenzen, glaubt sie die extreme Rechte und ihre Sympathisanten wieder in die Mitte zurückführen zu können – und damit in ihr Wählerpotenzial. Das ist der eine redundante opportunistische Fehler, der sich überall wiederholt. Forschung und Historie sind klar: vor allen
anderen entscheidet die bürgerliche Mitte mit ihrem Verhalten gegenüber Rechtsaußen über Spielräume für Szenen wie heute. Alles was man ihnen durchgehen lässt, werten sie als Validierung und Ermutigung. Der nächste Präsident muss, wenn er eine Chance haben will, diese
T. Krauel, "Chefkommentator" der WELT, findet es „so unerträglich wie richtig“, dass hochrangige Nazis nach 45 unbehelligt weiterlebten. Wie kann man das schreiben? Was triggert "konservative" Autoren momentan so? Ein Thread mit Erklärungsversuchen. amp.welt.de/debatte/kommen… (1/X)
Samira El Ouassil @samelou und ich sprachen diese Woche darüber im Podcast (ab 29:38): was macht „konservative“ Publizisten am aktuellen Diskurs so irre, dass sie so irre Texte schreiben? Was verändert sich gerade für sie? soundcloud.com/piratensenderp… (2/X)
Aktuell scheint ihnen das Monster der „cancel culture“ (ein Begriff, schon kaputt, bevor er hier ankommt, weil analog „politischer Korrektheit“ durch aggressiven Übergebrauch bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt), was sie sensationslüstern beschwören, jedes Maß zu nehmen. (3/X)
Sehe enorm viel Text von Weißen, die fordern, wir müssten uns endlich unserem eigenen Rassismus stellen. Und dann doch wieder nur den anderer anprangern. Verstehe die Wut auf uns „Liberale“ und unsere blinden Flecke. Versuche mal unsortiert anzufangen. #KritischesWeißsein (1/10)
Vor Jahren hatte ich eine Wohnung abzugeben, durfte KandidatInnen auswählen. Ich habe einen weißen Journalisten favorisiert, weil ich dachte, so habe ich am wenigsten Stress. Menschen mit Migrationshintergrund hatten 0 Chance. Treibt mich heute noch um. #KritischesWeißsein (2/10)
Polizeigewalt gegen PoC habe ich lange wegsortiert unter „das passiert eben in einer diversen Gesellschaft“. Viel zu spät habe ich mich interessiert für unfassbare Fälle wie den von Oury Jalloh. Wären es Weiße gewesen, sicher früher und mit mehr Sorge. #KritischesWeißsein (3/10)
Weil sie jetzt auch für Deutschland diskutiert werden, hier die häufigsten Sätze zu (selbstgemachten) Atemschutzmasken, meine Gedanken dazu mit Quellen und Implikationen (Spoiler: alle müssen weltweit dringend selbstgemachte Masken tragen). (1/X) #maskeauf
„Eine Maske schützt in erster Linie nicht den Träger, sondern die anderen vor ihm.“ Grundsätzlich richtig. Eine mechanische Barriere wie die Maske ist vermutlich aber keine Einbahnstraße. (2/X)
Zudem verdichten sich Hinweise, dass nicht die feinen Aerosole, sondern v.a. große Tröpfchen für die Ansteckung verantwortlich sind. Und die werden beidseitig aufgehalten. Der Träger ist mit Maske eher etwas besser geschützt als ohne Maske. (3/X)
Thread zur angeblichen politischen „Spaltung“ der Gesellschaft (aka „Riss“ oder „Kluft“), vor der alle Seiten warnen, die aber nie präzise erklärt oder gar empirisch belegt wird. These: Weil es sie nicht gibt. Denn was genau würde dieses Sprachbild denn real bedeuten? (1/12)
Dass zwei Seiten überhaupt nicht mehr miteinander reden, nicht mehr miteinander in Kontakt kommen, sich nicht mehr austauschen können, weil ihre Positionen so radikal sind, dass sie nicht nur unvereinbar werden, sondern unverhandelbar, unbesprechbar. (2/12)
Dass zum Beispiel in Sachen Migration 70% für eine weitere massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen aus aller Welt ohne besondere Auflagen wären. Und 30% für die totale Abschottung, ständige Grenzkontrollen und Abschaffung des Asyls. Und dazwischen niemand. (3/12)
Verrohung der Sprache braucht keine Drohungen und Beschimpfungen. Sie zeigt sich perfider im Weglassen von Wörtern und Zahlen. Da werden Zehntausende Tote mit keinem Wort erwähnt; Foltergefängnisse, prügelnde Küstenwachen, abgrundtiefe Verzweiflung - keine Silbe. (1/10)
Eine längst gescheiterte Politik des Wegsehens, der Deals mit Despoten und Milizen - kein Satz. Stattdessen wird der allerletzte Dominostein einer langen Reihe an Unmenschlichkeit „Provokation“ genannt, „Katastrophe“, werden die Begriffe der einen Seite übernommen… (2/10)
...während die andere verhaftet wird. Sprache, Denken und Handeln verrohen, wenn wir nicht mehr über Ursache, Umstände und Ethik sprechen. Sondern nur noch „Recht“ angewendet sehen wollen. (3/10)