Ein kurzer Thread über die Fixierung der Pandemie-Leugner auf Christian Drostens Doktorarbeit.
Daran hat mich nämlich von Beginn an irgendwas gestört, ich konnte nur nicht den Finger drauf legen.
Inzwischen denke ich, ich kann es. 1/
Das erste Mal ins so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ist das Thema "Plagiatsjäger" wohl durch Karl-Theodor zu Guttenberg gekommen. Bzw. dort wurde auch zum ersten Mal sowas wie für das Kernproblem sensibilisiert: Doktortitel als Karrierehelfer. 2/
Nicht nur in der Politik, aber eben auch. (Es ging eine Weile das Gerücht, dass beispielsweise SAP jeden einstellt, der einen Doktortitel hat. Egal welche Fachrichtung. Weil es sich gut macht, Consultants mit Dr. Titel zu haben. Allerdings in diesem Fall echte - schätze ich.) 3/
In einigen Parteien gehörte der Dr. 'dazu' wenn man innerparteilich aufsteigen wollte. In anderen, sagen wir, schadete er nicht.

Ob nun zutreffend oder nicht, man konnte den Eindruck gewinnen, dass es auch innerhalb des akademischen Betriebs parteinahe Seilschaften gab. 4/
Die dann Nachwuchs-Politikern mit zugedrückten Augen und Hühneraugen den Weg zum Doktortitel geebnet haben.
Wie gesagt, ich sage nicht, dass ist der Fall. Nur, dass der Eindruck entstehen konnte.

Und so ein Eindruck macht Probleme. 5/
Der deutsche Doktortitel hat(te) international etwas Schlagseite bekommen. Nagelt mich gerade auf die Details nicht fest, aber ich glaube, die bundesweit sehr uneinheitlichen Anforderungen haben im Ausland die eine oder andere Augenbraue gehoben. 6/
Wenn es jetzt also auch noch so wirkt, als gäben Unis Doktortitel an aufstrebende Politiker aus, wie der Hausarzt Lollies beim Impfen, dann ist das richtig blöd. 7/
Sowohl für das Ansehen des akademischen Grades im Ausland, als aber auch für jeden Träger eines Doktortitels, jeden aktiven Doktoranden. Deren jahrelange Arbeit, die in eine Doktorarbeit fließt, auf einmal entwertet wird. 8/
Als etwas, das man mit dem richtigen Parteibuch nebenbei so mitnimmt. Als etwas, in das keine echte Forschungsleistung geflossen ist.

Wenn man bedenkt, dass in eine Doktorarbeit 3-6 Jahre Lebenszeit fließen … das ist nicht lustig. 9/
Das dürfte bei den meisten Menschen aber nicht so angekommen sein. Sondern was angekommen ist:
Politiker wurden Plagiate nachgewiesen. Politiker verlor den Doktortitel. Politiker musste zurücktreten.
Das ganze noch 'gesteuert' aus einem anonymen Kollektiv heraus. 10/
Also quasi die Fieberphantasie des Bürgers, der sich der Politik machtlos ausgeliefert fühlt und es 'denen da oben' mal so richtig zeigen will.
Geheimnisvolle Namenlose bringen mächtige Leute zu Fall.
Das blieb hängen. 11/
Da interessiert es dann auch nicht so richtig, was ein Doktortitel eigentlich sein soll und warum ein Plagiat da auch ein ziemliches Ding ist. Nämlich eine eigenständige, wissenschaftliche Leistung. Der Nachweis, wissenschaftlich arbeiten zu können. 12/
(Eine Fähigkeit, die man sich derzeit durchaus auch bei Politikern wünscht. *Schaut zu @MPKretschmer*)

Aber eben kein Gadget, mit dem man sich einfach die Visitenkarte aufhübscht, das Türschild veredelt und sich mit 'Frau Doktor' oder 'Herr Doktor' ansprechen lässt. 13/
Aber, was bei der Bevölkerung hängen blieb war: Damit bringt man mächtige Leute zu Fall.

Und deswegen denke ich auch, fixieren sich einige so auf die Doktorarbeit von Christian Drosten. Obwohl die nicht so relevant ist, wie im Fall eines Politikers. 14/
Damit wir uns nicht falsch verstehen. Eine plagiierte Doktorarbeit oder sonstiges direktes wissenschaftliches Fehlverhalten wäre durchaus ein Problem. Es würde die Reputatione eines Forschers - zu recht - stark beschädigen. 15/
Es wäre ein extremer Vertrauensbruch. Wer so trickst (oder schlampt) während er gerade seine wissenschaftliche Karriere startet, dessen Vertrauenswürdigkeit ist erst mal nicht besonders hoch. 16/
Wer früh eine niedrige Hemmschwelle zu betrügen bzw. hohe kriminelle Energie zeigt, kann sich später zwar durchaus fangen und seine Wege ändern, in einem gewissen Teil der Fälle bleibt der Charakterzug aber auch bestehen. 17/
Gut, aber dennoch haben wir bei Christian Drosten ja eine ganz andere Situation. Für ihn war es kein Doktor-to-go. Kein Accessoire für die Zeit nach der Uni. Für ihn war es eine Stufe seiner akademischen Karriere. 18/
Die einen simulieren mal kurz wissenschaftliche Arbeit, um einen fancy Namenszusatz zu bekommen, während Drosten seit gut 2 Jahrzehnten wissenschaftliche Arbeit leistet.

19/
Ganz egal, wie gut oder schlecht die Doktorarbeit gewesen wäre: er ist in seinem Fach weltweit anerkannt. Hat sich einen Namen gemacht. Und das nicht ohne Grund.

Den Nachweis, dass er wissenschaftliche Arbeit leisten kann, hat er also Jahr um Jahr erbracht. 20/
Bei ihm ist es nicht die _eine_ wissenschaftliche Arbeit, an der alles hängt. Er ist der Typ, mit den 20 Jahren Erfahrung, bei dem niemand mehr das Abiturzeugnis in den Bewerbungsunterlagen erwartet.
21/
Was also mein Gefühl ausgelöst hat, dass irgendwas stört, irgendwas nicht ganz stimmt: Der Hebel 'Doktorarbeit' wurde IMHO ausgepackt, weil es etwas ist, dass die Öffentlichkeit auch ohne große Erklärungen zu verstehen glaubt. 22/
Quasi: Da hat wieder mal jemand den Doktortitel nebenbei mitgenommen um außerhalb des akademischen Betriebs einen auf dicke Hose zu machen.

Nur, dass dieser Spin keinen Sinn mehr ergibt, wenn die betreffende Person aktiver Akademiker _ist_. 23/
Außerdem: Der 'falsche Doktortitel' als Mittel, um jemanden, der als mächtig empfungen wird, zu Fall zu bringen.

Und weil schon der Eindruck aufgekommen war, die Pandemie gäbe es nur, weil Dr. Drosten das sagt, mit Christian Drosten eben auch die ganze Pandemie.
24/
Wahrscheinlich war es der Angriff der sich Ausgeliefert-Fühlenden gegen Fakten. Der einzige Hebel, der scheinbar immer funktioniert.
25/
Und weil ja sonst immer was gefunden wurde und von neidischen Kollegen oder Politikern ein Bild von Christian Drosten als Versager gezeichnet wurde, musste doch auch was mit der Doktorarbeit faul sein, oder? ODER? Und damit dann auch die Pandemie beendet.
26/
Eigentlich eine fast lustige Verkettung von Wunschdenken. Wenn dieser Eiertanz der Leugner nicht so viel Zeit und Energie kosten würde und im Endeffekt auch Menschenleben.

FIN
27/27
*+fällt

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Mela Eckenfels

Mela Eckenfels Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @Felicea

10 Jan
Nochmal zu der Doktorarbeit-Sache. Der Angriff auf Drostens Doktorarbeit ist Teil eines größeren Bildes. Einer "Strategie" von der ich ausgehe, dass sie keine ausgeklügelte Strategie in dem Sinne ist, sondern einfach das natürliche Verhalten von Menschen, die gewinnen wollen. 1/
Und zwar auch dann, wenn sie definitiv nicht recht haben und das gewinnen Nachteile für uns alle mit sich bringen würde. (Ja, Menschen sind nicht logisch und ich tu mir echt immer wieder schwer, derartiges Vorgehen zu verstehen.)

Es geht um "Flooding the Zone with Bullshit". 2/
Wie gesagt, ich halte diese Strategie oft nicht für planvoll eingesetzt, sondern eher instinktgesteuert.
Man versucht einfach alles, irgendwas, gegen eine Person, eine Idee, ein Vorhaben vorzubringen, ganz egal wie abwegig.
3/
Read 33 tweets
9 Jan
Ähm. Ja.

Ich schreibe eine Produktrezension unter ein "Kindle eBook" dass es sich dabei a) um kein eBook handelt und b) Amazon einen Button einführen muss, um falsch zugeordnete Produkte zu melden.

Es handelt sich um dieses "eBook" amzn.to/3q7CjGi

@amazonDE
Und ich bekomme eine Nachricht von Amazon, dass meine Rezension nicht veröffentlicht wird, weil sie gegen die Regeln verstößt. Die Regeln sind: Hier sind einige allgemeine Punkte, die beachtet werden soll
Ich habe kommentiert, dass es kein fuckin' eBook ist und das geht ja sehr wohl auf die spezifischen Eigenschaften des Produkts ein. Und ja, ich hatte sogar die "Leseprobe" angefordert. (Die "Leseprobe" besteht aus einem Bild der Masken.)
Read 5 tweets
31 Dec 20
Da rennt eine Frau in ein Krankenhaus in UK und filmt. "Alles total ausgestorben. So ausgestorben war es noch nie!!!"

Natürlich als Beweis, dass es keine Krise gibt. Anstatt, dass sie mal überlegt, wie das genau zusammenhängen könnte.
Ich bin seit Oktober jetzt einmal im Monat im Klinikum Langensteinbach.
Dort ist es nicht ausgestorben aber doch ziemlich still.

Und vielleicht funktionieren Krankenhäuser IRL auch nicht wie Krankenhäuser im TV, mit vollem Foyer und durcheinanderrennenden Menschen.
Schon gar nicht, wenn elektive OPs zurückgefahren und möglichst viele Betten/Stationen freigehalten werden.
Read 4 tweets
18 Dec 20
Wenn du bei jedem Telefonat mit der Familie genau und in Aktion studieren kannst, was "Blunting" ist und wie die jeweiligen persönlichen Blunting-Strategien aussehen, die jeweilige persönliche Rationalisierung von Verschwörungsglauben vor sich geht, und du einfach hilflos bist.
Und diese Ironie, das meine Arbeit genau auf der anderen Seite des Spektrums stattfindet und ich damit viele Menschen erreiche, nur die eigene Familie nie.
Noch ist die Inzidenz in ihrem Landkreis niedrig, was sie auch in die bequeme Lage versetzt, 'skeptisch' sein zu können. Aber ich fürchte mich vor dem Januar, dem Februar ...
Read 7 tweets
6 Dec 20
Denn, es ging ja nur um die "Anderen". Die namenlosen Alten und 'Schwachen', die man sich als nutzlos und überflüssig vorstellt.
Wenn diese "Anderen" auf einmal die Eigenen sind, und das Ferne auf einmal ganz nah ist, und das Gesicht der eigenen Kinder trägt, Eltern, ...
Geschwistern, Partnern ... dann sollte am Ende die Erkenntnis stehen, dass man einverstanden damit war, solange die "Anderen" keine Gesichter hatten und es für andere weiterhin okay ist, wenn "Andere" sterben. Hauptsache weit weg.
Die weitere Erkenntnis sollte dann sein, dass man ein Arschloch war und weiterhin ein Arschloch ist. Nur eben ein trauerndes Arschloch. Und dass auch die, die mit einem so gedacht haben, Arschlöcher sind.

Aber soweit wird es nicht kommen.
Read 5 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!