In einem Satz: Wir wirtschaften uns in die dritte Welle.

(Alles weitere im Thread. Entschuldigung für die Länge, aber ich wollte korrekt zitieren, und es treibt mich wirklich um)(1/X)
Dazu drei aktuelle Aussagen von Regierungspolitiker*innen. Zuerst Merkel: „Man sei sich in der Sitzung einig gewesen, dass zukünftige Maßnahmen (...) sehr stark davon abhängen würden, wie schnell sich die neue Variante in Deutschland ausbreite, hieß es.“
spiegel.de/politik/deutsc…
Die alte Frage: Schützen wir uns jetzt (und erfahren nie, wie schlimm genau es geworden wäre)? Oder warten wir, bis es katastrophal ist (und tun dann genau das gleiche)? Man antwortet auf das Trolley-Problem inkl. Präventionsparadox erneut mit: Abwarten. de.wikipedia.org/wiki/Trolley-P…
Derweil spricht Spahn (aka Don Quijotte) von Einreisebeschränkungen, um B117-Einträge zu minimieren, von Sequenzierungen, um sie zu erkennen. Als glaubte er an die Chance, die Mutante abzuhalten, da sie in England&Irland schon wütet, in NL an die 5% misst. deutschlandfunk.de/bundesgesundhe…
Ansonsten windet er sich im Interview so lange um die Frage, ob die Wirtschaft zu schließen sei, bis er Sätze sagt wie: „Wir haben über 1000 Todesfälle am Tag zu beklagen, zu oft Tag für Tag“. Und: "Irgendwo müssen die Infektionen ja stattfinden" – nämlich im Privaten.
"Staatliche Beschlüsse sind wichtig. Aber wenn gleichzeitig im privaten Bereich sehr, sehr viele Kontakte stattfinden, macht das Schließen von Schulen, Geschäften, öffentlichem Leben wenig Sinn." Die wenig vertrauensbildende Botschaft wieder einmal: Eure Mitbürger sind schuld.
Auf die Frage, warum D nicht wie andere Länder die Betriebe geschlossen hat, sagt er: "Wir können auch nur einmal mehr an alle appellieren, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer" (zu Home Office), aber Einschränkungen beschließen? Man müsse das alles doch als "Gemeinschaftsaufgabe" sehen.
Und auch Altmaier findet in der ZEIT: „Wir sollten die Unternehmen, von denen viele gerade um ihr Überleben kämpfen, nicht zusätzlich mit Zwang und Regulierung bevormunden.“ (Ohne Häme: Man bemerke die Wortwahl in einem gedruckten Interview.)
zeit.de/wirtschaft/202…
Die Ansteckungen passierten ja nicht am Arbeitsplatz: "Nach allem, was wir wissen, sind Betriebe aber keine Herde des Infektionsgeschehens, mit Ausnahme der Vorkommnisse in der Fleischindustrie." Kann jeder selber googeln, ob das stimmt.
Statt googeln kann man auch einer renommierten Virologin glauben, die als eine von vielen genau das fordert: Arbeitsplätze schließen. Sie liefert eine Zahl: 5-10% der Infektionen stammen von dort, nur laut Befragungen. mdr.de/nachrichten/pa…
Pietsch weiter: "Aus epidemiologischer Sicht wäre das natürlich wünschenswert, dass man lieber einmal richtig alles zumacht, und sei es für einige wenige Wochen. Das ist sicherlich vielleicht am Ende effizienter, als langfristig immer nur alles halb zu schließen."
Und was sagt Friedrich Merz dazu?

Keine Ahnung, er hat kein Amt und wird es höchstwahrscheinlich auch nicht bekommen, und deshalb ist es völlig egal, was Friedrich Merz dazu sagt.
Seit Monaten berichten dafür Arbeitnehmerinnen über Präsenzpflicht und mangelnden Schutz. Sogar manche Krankenkassen zwingen ihre Angestellten in Großraumbüros. Die Verkehrsmittel und Straßen sind voll, als gäbe es keine Pandemie.
zeit.de/arbeit/2021-01…
(Währenddessen führt Söder in Bayern sozial hochgradig unfair und unvorbereitet eine Pflicht zu FFP2-Masken ein, für deren Beschaffung man 10 Monate Zeit hatte. Und wieder diskutiert man über eine Teilmaßnahme und nicht über den Elefanten im Raum: die Wirtschaft.)
Und jetzt? Die Expert*innen sind sich einig: Die Mutanten werden sich durchsetzen. Alle Modelle sowie England&Irland zeigen: Bei gleichen Maßnahmen werden Infektionen, Intensivbelegung und Todesfälle rapide steigen. Und viele weitere Schäden verursachen.
Wir wirtschaften uns in eine dritte Welle, einen medizinischen Kollaps, vielleicht in ein deutsches Bergamo. Es wird nicht überall gleich schlimm, aber lokal schlimm genug. Dann bleibt nichts mehr als ein totaler Lockdown inkl. Wirtschaft. Exakt das, was jetzt abgewiegelt wird.
Wieso dann nicht jetzt alles runterfahren und viele Menschen retten, soziale und wirtschaftliche Schäden verringern, eine klarere Perspektive bieten? Weil es dieser Regierung offensichtlich zu teuer ist. Wirtschaftlich wie politisch.

(überzeugt mich gerne vom Gegenteil)

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