Ein Text, der mich sehr ärgert: Ein Philosoph verteidigt Sucharit Bhakdi, attackiert naturwissenschaftlich denkende Menschen als "Sektierer" und spricht von "Rückfall in die Barbarei". Man sollte die Philosophie vor solchen "Philosophen" schützen. (Thread) derstandard.at/story/20001231…
Mit bemerkenswerter Arroganz versucht der Autor, Naturwissenschaftlern die Naturwissenschaft zu erklären, als hätten die noch nie von philosophischen Grundbegriffen gehört. Glaubt er, dass Physiker noch nie Popper gelesen haben? Das macht eine Diskussion schwierig.
Zunächst geht es um bloße Wortklauberei: "Wissenschaftliche Fakten" sei ein falscher Ausdruck, doziert der Autor. Denn es gibt ja keine "unwissenschaftlichen Fakten"! Wirklich? Auf diesem Niveau wollen wir diskutieren? Regt er sich auch auf, wenn jemand "Pariser Eiffelturm" sagt?
Als Philosoph sollte er wissen: Der Wiener Kreis hat versucht, die Wissenschaft sprachlich absolut präzise zu betreiben. Das hat nicht funktioniert, außer in der Mathematik. Wir müssen sprachliche Unschärfen zulassen. Wenn jeder weiß, was gemeint ist, ist das kein Problem.
Noch nie habe ich beobachtet, dass gute Wissenschaftler über Terminologie streiten. Mir drängt sich der Eindruck auf, das ist bloß die Zuflucht derer, die inhaltlich nichts zu sagen haben.
Dann kommen die klassischen Argumente gegen die Wissenschaft. Und die sind eines "Philosophen" wirklich nicht würdig. Zunächst: "Die Wahrheit" gebe es ja gar nicht. Man könne nur widerlegen, niemals etwas absolut hundertprozentig beweisen.
Wirklich jetzt? Das ist wahr, aber eine Banalität, die jedem Menschen klar ist. Der entscheidende Punkt ist: Trotz ihrer prinzipiellen Falsifizierbarkeit ist empirisch gut belegte, in sich gut vernetzte Wissenschaft extrem zuverlässig.
Newton hatte Recht, auch wenn er seit Einstein neu betrachtet werden muss. Newtons Formeln waren nicht die letztgültige Wahrheit - aber das müssen sie auch nicht sein. Sie waren trotzdem nicht falsch!
Dass ein Philosoph nicht versteht, dass "nicht perfekt" etwas anderes ist als "falsch", tut weh. Das ist genau das Denkmuster von Leuten, die sagen: Die Wissenschaftler sind nicht einig darüber, ob man die Schulen schließen soll. ALSO gibt es das Coronavirus gar nicht!
Kein Wissenschaftler der Welt behauptet, dass der derzeit gültige Stand der Wissenschaft die absolute Wahrheit ist. Wenn Philosophen dieses Strohmannargument aufbauen, finde ich das ärgerlich und intellektuell unredlich.
Dann kommt das wohlbekannte aber wissenschaftshistorisch unhaltbare Märchen: "Gute Wissenschaft war zuallererst immer Häresie." Wissenschaft werde also nur durch Leute vorangetrieben, die sich gegen die etablierte Lehre auflehnen, erst ausgelacht aber dann doch gefeiert werden.
Das Gegenteil ist der Fall: Fast immer ergeben sich wissenschaftliche Fortschritte als neue Entwicklungen, die sich aus der bestehenden Tradition heraus ergeben. Natürlich braucht man manchmal auch schräge Ideen - aber erfolgversprechende Ideen werden nicht als Häresie verlacht.
Es gibt schöne Beispiele dafür, dass selbst haarsträubende Ideen, die der etablierten Wissenschaft zuwiederliefen, mit Interesse und Fairness angenommen wurden, wenn sie ordentlich argumentiert waren - etwa die Neutrino-Anomalie 2011.
Und dann: Die Naturwissenschaftler würden einfach stupides Mitläufertum fordern. An dieser Stelle wird der Text mehr als ärgerlich. Das ist mies und gefährlich. Wer das sagt, hat keine Ahnung, was Wissenschaft ist und wendet sich offen gegen rationales Denken.
Das Gegenteil ist wahr: Das Vorbringen revolutionärer neuer Ideen gehört zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu. Gerade in der Naturwissenschaft genügt es eben nicht, braver Mitläufer zu sein. Es geht immer darum, alte Ideen zu hinterfragen und über sie hinauszuwachsen.
Wer sich eine "naturwissenschaftliche Orthodoxie" zusammenfantasiert, die andere Gedanken als "Häresie" abtut, hat offensichtlich keine Ahnung von Naturwissenschaft, hat nie einen NaWi-Seminarvortrag gehört, oder gar eine Konferenz besucht. Das ist lächerlich.
Ausdrücklich warnen möchte ich aber davor, den Autor dieses Textes als prototypisches Beispiel eines Philosophen zu sehen. Nein, er ist kein Philosoph. Die Philosophie ist besser als das. Wir dürfen nämlich nicht den Fehler machen, den er hier begeht:
Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft gegeneinander auszuspielen ist falsch. Wir brauchen beides. Das bedeutet aber auch, dass beide Seiten die andere respektvoll behandeln müssen.
Philosophie ist wertvoll! Sie schenkt uns viele Ideen, mit denen ich mich als Physiker gerne auseinandersetze. Aber dieser Text ist einfach nur eine Hetzschrift, keine Philosophie. Betrachten wir es als abschreckendes Beispiel, wie GeWi & NaWi eben NICHT interagieren sollten.
Nichts in diesem Text ist neu - all die dummen Vorwürfe hatte ich schon gehört. Daher habe ich sie in meinem neuen Buch auch alle behandelt - falls jemand mehr dazu lesen möchte: Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl, Brandstätter Verlag brandstaetterverlag.com/buch/die-schwe…
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Das tut wirklich weh: Ein ganzseitiges Inserat mit haarsträubendem Corona-Unsinn, erschienen heute im Kurier. Sehen wir uns das mal an.
Klarstellung vorweg: Ich schreibe selbst eine Kolumne im Kurier, in der ich mich für Wissenschaft und gegen Verschwörungstheorien einsetze. Dieses Inserat macht leider das Gegenteil. Gerade deshalb MUSS ich Stellung beziehen, sonst würde ich mich völlig unglaubwürdig machen.
Argument 1: Masken seien nutzlos und gesundheitsschädlich. Das ist falsch. Zu Beginn der Pandemie war der tatsächlich noch nicht so ganz klar, wie wirksam die Masken sind. Außerdem gab es Bedenken, die breite Bevölkerung würde dem medizinischen Personal die Masken wegkaufen.
Für mich verblüffend: Die Putschisten im Kapitol versuchen nicht einmal, sich zu vermummen. Sie zeigen sich völlig offen, machen Selfies, geben Interviews. Das sind keine Leute, die das System stürzen wollen. Das sind Leute, die zeigen wollen: Wir sind jetzt das System! (Thread)
Dieses Video fasst das für mich wunderschön zusammen: Eine Frau ist fassungslos, dass sie beim Eindringen ins Kapitol Pfefferspray abbekommen hat. Bereitwillig nennt sie ihren Namen. Was sie dort wollte? Naja, Revolution eben! Was denn sonst?
Man kann gegen etwas sein und es trotzdem nicht verbieten wollen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Gedanken. Mir wird momentan erst bewusst, wie viele Menschen das anders sehen. Das beunruhigt mich. (Thread)
Ein Beispiel: Ich engagiere mich seit vielen Jahren für wissenschaftliches Denken, gegen Esoterik, Aberglauben und Pseudowissenschaft. Ich finde Horoskope blöd, Verschwörungstheorien bedrohlich und alternativmedizinische Heilsversprechen gesundheitsgefährdend.
Aber nie wäre es mir in den Sinn gekommen, ein gesetzliches Verbot für all diese Dinge zu fordern. Soll es illegal sein, magische Heilsteine zu verkaufen? Nein. Soll man bestraft werden, wenn man sein Leben nach dem Horoskop ausrichtet? Nein, man braucht eher Hilfe.
Nein, die COVID-19-Impfung macht Frauen NICHT unfruchtbar! Habe heute schon wieder von einem Arzt gehört, der ankündigt, Frauen mit Kinderwunsch nicht zu impfen. Das ist Unsinn. (Thread)
Das Gerücht geht offenbar zurück auf den Biounternehmer Michal Yeadon (manchmal wird in Social Media Posts behauptet, er sei Forschungsleiter bei Pfitzer, das ist er nicht.) Wie jedes gute Gerücht klingt es zunächst nicht unplausibel:
Die Impfung bringt unsere Zellen dazu, ein Spike-Protein des Coronavirus herzustellen, das soll dann vom Immunsystem attackiert werden. So weit, so richtig. Die oft gelesene Behauptung ist nun: Das Spike-Protein ähnelt einem anderen Protein (Syncytin-1),
ACHTUNG: Ich habe heute eine Graphik des deutschen Städte- und Gemeindebundes geteilt, mit einer Prognose, dass es sehr lange dauern wird, bis die allgemeine Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft werden kann. Der DStGB hat die Graphik entfernt - daher habe ich den Tweet gelöscht.
Offenbar lässt sich derzeit einfach nicht sagen, wie lange die Sache dauern wird. Es tut mir leid, unzuverlässige Information weitergegeben zu haben. Ich hätte zumindest in meinem Kommentar dazu vorsichtiger formulieren müssen.
Was aufrecht bleibt, ist meine Bitte an die Politik: Wir brauchen ehrliche Kommunikation zu diesem Thema. Wenn man etwas noch nicht weiß, ist es ok zu sagen, dass man es nicht weiß.
Ein astronomisch wichtiger Tag: Ab morgen geht die Sonne abends wieder später unter - auch wenn die Tage insgesamt noch kürzer werden, weil die Sonne morgens immer noch später aufgeht. Das hat mit der Geometrie des Sonnensystems zu tun. (Thread)
Die Erde dreht sich einmal am Tag um ihre Achse, in der selben Zeit ist sie auf ihrem Weg um die Sonne ein Stück weitergewandert. Nach einer Erdrotation ist die Sonne daher in einer etwas anderen Richtung als vorher.
Das verlängert den Tag - wenn man ihn als jene Zeit misst, die es dauert, bis man die Sonne wieder exakt im gleichen Winkel sieht. Die Erde muss sich noch ein kleines Stückchen weiterdrehen, bis das passiert.