Warum nicht alle Corona-SchwurblerInnen und Querdenker Nazis sind. Warum die Unterscheidung wichtig ist. Und warum die Bewegung gerade deshalb für die extreme Rechte zentral – und für die Zukunft so gefährlich ist. Das wird jetzt ein wenig länger, aber es ist wichtig. Thread. 1/
Wir dürfen uns nicht täuschen: Extreme Rechte stellen den Kern der Corona-Mobilisierungen. Sie organisieren Märsche, stellen RednerInnen, geben Parolen vor, ihre Kader sind mit Bannern Teil der Aufmärsche. In einschlägigen Social-Media-Kanälen sind ihre Plattformen dominant. 2/
Die gesamte extreme Rechte von FPÖ und Strache über die neofaschistische Gruppe "Identitäre" und die Küssel-Neonazis bis zu rechten Fußball-Hooligans und Qanon-VerschwörerInnen ist Teil der Corona-Mobilisierungen. Das sind nicht nur vereinzelte Figuren, sie sind alle dabei.
3/
Ich berichte seit Beginn der Bewegung regelmäßig von den Corona-Aufmärschen. Viele Führungsfiguren, die ich nun dort sehe, kenne ich bereits sehr gut – von vergangenen Mobilisierungen der extremen Rechten, vor allem gegen geflüchtete Menschen. 4/
Das Bild der Märsche wird dominiert von Schildern und Transparenten mit Verschwörungstheorien, von faschistischen Bannern sowie von reaktionärem Patriotismus mit rot-weiß-roten Fahnen. Die Fahnen stammen übrigens oft von Sportereignissen. Eine große Bierwerbung ist drauf. 5/
Es wäre technisch jederzeit möglich, einen Aufmarsch zu organisieren, der sich glaubwürdig von Nazis abgrenzt und sie aus dem Marsch wirft. Das wäre immer noch nicht gut - doch es ist bezeichnend, dass nicht einmal das passiert. Die Rechte hat die Bewegung in der Hand. 6/
Eine angebliche Querfront zwischen Rechts und Links, die medial herbei geschrieben wird, ist faktisch übrigens nicht existent. Keine einzige linke Organisation ist bei Corona-Märschen präsent. Die "Corona-Querfront" ist sogar eine Kreation der Gruppe rund um Neonazi Küssel. 7/
Doch die Dominanz der extremen Rechten ist nur ein Teil der Realität. Bei den Märschen sind viele präsent, die glaubhaft versichern, keine extremen Rechten zu sein. Nach großen Aufmärschen habe ich auf meiner Seite facebook.com/m.bonvalot bis zu 1500 Kommentare am Tag. 8/
Da sind sehr viele eindeutig weit rechte Personen dabei. Die blocke ich dann übrigens sofort. Aber manche, die von ihrer Teilnahme an Märschen oder ihrer Sympathie dafür berichten, kommentieren bereits seit Jahren auf meiner Seite und sind ganz sicher keine Nazis. 9/
Auf meiner Seite fb./m.bonvalot kristallisieren sich hier va 2 Gruppen heraus: Manche (ältere) SozialdemokratInnen, die ihren Ärger auf die Regierung kanalisieren und Menschen, die für diverse Formen des Humbugs wie Esoterik, Homöopathie, Impfverweigerung, … anfällig sind. 10/
"Du Nazi" geht im Fall dieser Menschen schlichtweg am Problem vorbei. Das tatsächliche Problem ist, dass diese Menschen glauben, dass der (absurde!) Protest gegen wichtige Pandemie-Maßnahmen wie Masken wichtiger wäre als die Abgrenzung zum Faschismus. 11/
Das Problem ist, dass extreme Rechte die Bewegung anführen und ohne irgendwelche Einschränkungen Propaganda machen können. Das Problem ist, dass die einschlägigen Kanäle auf Telegram ohne erkennbaren Widerspruch voll sind mit rechtsextremer und neonazistischer Propaganda. 12/
Manche vergleichen die Corona-Mobilisierungen mit Pegida. Auf den ersten Blick ist der Vergleich ansprechend. Auf den zweiten Blick gibt es aber einen zentralen Unterschied: Pegida ist thematisch in sich extrem rechts. Corona ist thematisch nicht automatisch extrem rechts. 13/
Genau deshalb sind die Corona-Mobilisierungen so gefährlich. Sie sind ein Biotop, aus dem die extreme Rechte rekrutiert und aus dem etwas Gefährliches erwachsen könnte. Weil die extreme Rechte damit weit über ihre bisherige Zielgruppe hinaus neue Schichten ansprechen kann. 14/
Sie gehen dabei schlau vor. So zeigen manche Parolen ihren einschlägigen Charakter nur für Eingeweihte. Oft wird etwa der Slogan "Friede, Freiheit, Souveränität" angestimmt. Der Begriff "Souveränität" deckt sich nicht zufällig mit Parolen der Reichsbürger-Bewegung. 15/
Stark sind Corona-Mobilisierungen nicht zufällig va in kleineren Orten. In Wien sind sie auf den ersten Blick größer (oft durch bundesweite Mobilisierung). Doch heruntergebrochen auf die EinwohnerInnenzahl sind das tatsächliche Problem nicht große Städte, sondern kleine Orte. 16/
Jenseits von Wien sehen wir regelmäßig Mobilisierungen von 400 bis 500 Personen in Orten mit nicht einmal 10.000 EinwohnerInnen. Das steirische Liezen hat 8000 EinwohnerInnen. Am 6.1. waren dort rund 400 auf der Straße. Das sind ca 4% der Bevölkerung. In Wien wären das 75000. 17/
Das Problem ist nicht "zu wenig Aufklärung". Personen entscheiden bewusst, welchen Informationen sie folgen. Dass es COVID-19 nicht geben oder übertrieben würde, ist die wesentlich angenehmere Erklärung. Sie bedeutet, das Leben ohne Veränderungen fortsetzen zu können. 18/
Es ist ein klassisch reaktionärer Ansatz. Aus einem solchen Ansatz können sich faschistische Ideologien entwickeln. Aber die aktuelle Motivationslage vieler ist offensichtlich nicht der Marsch für den Faschismus. Es wäre ein Fehler, diesen Unterschied nicht zu erkennen. 19/
Die eigentliche Gefahr ist eine andere. Bei vielen nicht-faschistischen TeilnehmerInnen der Märsche verschieben sich gerade die Koordinaten. Sie haben kein Problem (mehr?) damit, gemeinsam mit Nazis zu marschieren. Sie werden Teil des rechten Propaganda-Universums. 20/
Das Gesicht der neofaschistischen Gruppe "Identitäre", Martin Sellner, kommentiert etwa über seinen Videokanal, seine Gruppe solle "beraten", "nicht versuchen, die Demos zu übernehmen", das könnte "dem Pflänzchen beim Wachsen eher schaden". Hier besteht die wirkliche Gefahr.
21/
Hier besteht das eigentliche Problem. Für die extreme Rechte ist die Bewegung enorm wesentlich. Sie können in der Masse marschieren, sammeln Erfahrungen in der Organisation, knüpfen Kontakte, rekrutieren, es entstehen – online und offline – Verbindungen und Plattformen. 22/
Hier entsteht etwas und es wird nach dem Ende der Pandemie nicht sofort verschwinden. Eine besondere Gefahr ist dabei die aktuelle Endzeitstimmung durch Verschwörungstheorien, etwa gegen Impfungen. Jetzt müsse gehandelt werden, sonst wäre es zu spät. Das ist ein Pulverfass. 23/
Kann es gelingen, jene, die nicht extrem rechts sind von der Teilnahme an Corona-Aufmärschen und der Beteiligung an der Bewegung abzubringen? Es wird enorm schwierig. Doch all diese Personen pauschal als Nazis zu bezeichnen, wird sicherlich nicht helfen. 24/
Wir brauchen mehr als "Nazis raus". Das Problem ist (noch?) nicht, dass alle Nazis sind. Das Problem ist, dass alle bereit sind, mit Nazis auf die Straße zu gehen. Am Samstag in Wien riefen Linke: "Ihr marschiert mit Nazis und Rassisten". Genau hier müssen wir ansetzen. 25/25
Warum nicht alle Corona-SchwurblerInnen und Querdenker Nazis sind. Warum die Unterscheidung wichtig ist. Und warum die Bewegung gerade deshalb für die extreme Rechte zentral ist – und für die Zukunft so gefährlich.
bonvalot.net/nicht-alle-cor…

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23 Nov 20
Thread! Nach dem Mini-Aufmarsch der neofaschistischen Gruppe Identitäre am Sonntag in Wien ist mir ein extremer Rechter gefolgt. Insgesamt ist er knapp 1,5 Stunden hinter mir her. Offenbar wollte er herausfinden, was ich tue und wo ich wohne. Warum und wie gefährlich das ist. 1/x
Ich habe am Sonntag live über die Situation berichtet und vor allem den absurden Aspekt betont. Ich lasse mich nicht einschüchtern und werde mich nicht einschüchtern lassen. Gleichzeitig ändert mein persönlicher Zugang nichts an der potentiellen Bedrohung für JournalistInnen. 2/x
KollegInnen berichten mir, dass der Typ auch sie nach rechten Aufmärsche bereits verfolgt hätte. Eine solche Verfolgung durch extreme Rechte kann mehrere Funktionen haben: Einschüchterung, Bedrohung und Informationsgewinn, etwa Verhaltensmuster und vor allem die Wohnadresse. 3/x
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12 Nov 20
Thread!

1) Donald Trump hat die Wahlen in den USA wohl verloren, aber dennoch einen gewaltigen relativen Sieg eingefahren. Das betrifft nicht nur den Ausgang von Kongress- und Senatswahlen, sondern vor allem die enorme Zahl von Popular Votes. Ordnen wir das ein!
2) Bereits jetzt steht Trump bei 72,367,357 Millionen Stimmen (CNN, 12.11., 15.48h), Biden bei 77,572,972. Die Auszählung ist nicht beendet. Das ist ein substantieller republikanischer Zugewinn im Verhältnis zu vergangenen Wahlen.

edition.cnn.com/election/2020/…
3) Sehen wir uns den Vergleich an: 2016 gewann Trump mit 62,985,106 Stimmen. Das bedeutet, dass Trump heute um rund 15 Prozent mehr Stimmen bekommen hat als bei seiner erfolgreichen Wahl 2016.

nytimes.com/elections/2016…
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2 Sep 20
Am Freitag gehe ich gegen die Polizei vor Gericht. Ich wollte die Verhaftung eines Antifaschisten bei einem rechten Aufmarsch dokumentieren. Polizisten haben mich gewaltsam gehindert. Ab Freitag beginnt das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien.

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bonvalot.net/die-pressefrei…
Der Polizist wird nun vor Gericht erklären müssen, warum er mich während der Verhaftung mehrmals wegstößt und abdrängt. All das ist auf einem Video dokumentiert. Es ist ist nicht das erste Verfahren, das ich gegen die Polizei führen muss - es wird nicht das letzte bleiben. 2/
Einer meiner Fälle liegt etwa aktuell beim Verwaltungsgerichtshof, dem obersten Gericht. Und gerade bereiten wir bereits die nächste Maßnahmenbeschwerde vor, die in den nächsten Tagen vor Gericht eingebracht werden wird.

3/
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15 Aug 20
Thread! Sellner droht mir mit Klage! Was ist passiert, warum macht er das, wie könnt ihr helfen?

Seit Jahren sind meine Recherchen der neofaschistischen Gruppe Identitäre ein Dorn im Auge. Nun glaubt IB-Gesicht Sellner, endlich einen Grund für eine Klage gefunden zu haben. ... Image
.. Sellners Anwalt hat mir eine Aufforderung geschickt, es geht um Medienrecht, üble Nachrede, Kreditschädigung. Ich solle eine Unterlassungserklärung unterschreiben, seine Anwaltskosten übernehmen und 2000 Euro an einen IB-nahen Verein überweisen. ..
.. Anlass ist eine Kundgebung der @sjwien am 7.3.2020. Dort hatte es eine Auseinandersetzung zwischen AntifaschistInnen und Identitären gegeben. Sellner meint nun, dass meine Berichterstattung nicht korrekt sei - das ist allerdings umstritten, sagt meine eigene Medienanwältin. ..
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11 Mar 20
Thread! Seit heute bin ich in Wien in Corona-Quarantäne. Wie läuft so etwas ab und was ist heute passiert?

Quarantäne, Tag 0

In meinem nahen sozialen Umfeld gibt es einen Verdachtsfall. Eine liebe Freundin kam vor 10 Tagen aus Bologna zurück.

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Sie war schon vor der Reise etwas verkühlt, ist sie fast laufend. Die Entscheidung zu dieser Reise war gut überlegt und im Vorfeld recherchiert - zu diesem Zeitpunkt gab es im gesamten Großraum Bologna mit rund einer Million EinwohnerInnen gerade einmal zwei Corona-Fälle. 2/
Das sind viel weniger als jetzt beispielsweise in Wien.

Heute hatte diese Freundin neben ihrer (Quasi-Standard-)Verkühlung leichte Brustschmerzen, ein befreundeter Arzt tippt auf eine simple Bronchitis.

3/
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7 Mar 20
So soll Berichterstattung unterbunden werden: Bei Protesten gegen extrem rechte Kundgebungen in Wien verhaftet die Polizei mehrere Menschen. Als ich eine Verhaftung dokumentieren will, will mich ein Polizei-Hundeführer daran hindern - mehrmals springt mich sein Hund an.

#noib
Video: Vielen Dank an @PresseWien
Vielen lieben Dank für euer großes Interesse an diesem Fall! Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar zusätzliche Einordnungen und Informationen zu dieser Situation geben.

Ort des Geschehens ist der Wiener Karl-Lueger-Platz beim Stubentor. 1/
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