Covid-19, Elternvertretung und der tägliche Zweifel...

Als ich mich seinerzeit in die Elternvertretung habe wählen lassen, hatte ich etliche Ideen, Wünsche und Vorhaben. Dass ich mal dafür plädiere, dass Kinder zu Hause bleiben, statt zur Schule zu gehen und von Eltern statt
von Lehrkräften angeleitet werden, gehörte nicht zu den denkbaren Szenarien. Der Grund ist einfach: ich glaube an die Notwendigkeit eines staatlichen Bildungssystems für alle und ich bin der Auffassung, dass dieses bestmöglich ausgestattet und unterstützt werden muss. Deshalb
hab ich mich als Elternvertreter zur Wahl gestellt. Was ich kann: ich habe vor 20 Jahren eine Ausbildung gemacht (und danach jahrelang im Job Berufserfahrung gesammelt), um zu wissen, wie man eine Verwaltung bei ihren eigenen Vorschriften packt. Und ich hab auch lang genug
"was mit Medien" gemacht, um zu wissen, wie man Transparenz herstellt (nichts hassen Verwaltungen mehr, als den sinnbildlichen Scheinwerfer auf ihr Treiben...).

Was ich nicht bin: Lehrkraft und/oder Virologe. Muss ich auch nicht sein, denn dafür gibt's ausgebildete Fachleute.
Was ich können muss: Informationen einordnen und Risiken abwägen. Und egal, wie man es dreht und wendet: am Ende sucht man in der aktuellen Situation immer nur nach der besten aller schlechten Varianten.

Oder sehr kurz formuliert: Präsenzbeschulung vs. Infektionsrisiko.
Studien gibt es mittlerweile einige. Allen gemein ist eine überschaubare Datenbasis, weil das Virus und seine Mutationen noch relativ neu sind. Man sieht Korrelationen, kann aber nicht feststellen, ob es Kausalitäten sind und auf dieser Basis soll man Entscheidungen treffen.
Hinzu kommt die Verkürzung der Debatte auf "Auf" oder "Zu", die auch den meisten Fachpublikationen nicht gerecht wird. Früher hatten wir die Diskussion "Stones oder Beatles", heute ist es @c_drosten oder @AlexanderKekule. Medial geht das super, im Diskurs ist das eher hinderlich.
Mein persönliches Fazit: unsere Kinder haben ein Recht auf guten Unterricht. Und sie haben ein Recht darauf, dass dieser für sie selbst, für ihre Eltern und für die Pädagog*innen der Schulen sicher ist. Ich halte nichts davon, Risiken durch bewusste Entscheidungen einzugehen, die
dazu führen, dass Menschen Schäden nehmen. Ich halte auch nichts von Debatten, die darauf abzielen, das Recht der Kinder auf Unterricht und das Recht aller Beteiligten auf körperliche Unversehrtheit gegeneinander auszuspielen.

Es braucht beides, aber beides in Kombination wird
es vorerst nicht geben. Insofern ist eine Priorisierung nötig und die ist für mich folgende:

ich bin eher bereit, mich für ausgefallenen Unterricht, als für verstorbene, oder schwer geschädigte Kinder, Angehörige und Pädagog*innen zu rechtfertigen.

Was allerdings auch bedeutet:
wenn diese Pandemie vorbei ist, muss die Arbeit auf allen Ebenen im selben Tempo wie derzeit weitergehen. Es gibt sehr viel Schönrednerei im Bezug auf die Ergebnisse der Fernbeschulung (vor Allem in den Kultusministerien und in Teilen der Lehrer*innenschaft). Fakt ist, dass
die ohnehin schon sehr großen Ungleichheiten im Deutschen Bildungssystem durch die Lockdowns noch vergrößtert wurden. Wir haben beispielsweise mittlerweile zwei Einschulungsjahrgänge (2019/2020 und 2020/2021), deren Alphabetisierungsphase erheblich gestört ist und das werden
diese Kinder mitschleppen, wenn nicht nachgesteuert wird. Auch in allen anderen Jahrgängen wird es Bildungslücken geben, die geschlossen werden müssen.

Bei den Einen wird es schneller gehen, bei den Anderen länger dauern und ganz sicher wird hierbei auch der soziale
Status der Herkunftsfamilien beim Gelingen eine Rolle spielen. Hinzu kommen soziale Verwerfungen, die die Lockdowns mit sich bringen und die psychologischen Auswirkungen auf alle Beteiligten inkl. der Kinder.

Alle "an Schule Beteiligten" werden auch nach der Pandemie gut zu tun
haben und die Politik darf sich "danach" nicht aus der Verantwortung hierfür und aus dem Rampenlicht verabschieden. Medien und auch Elternvertretungen werden dafür Sorge tragen müssen, dass das nicht gehen wird.

Aber was ist nun mit Lockerungen?
Ich bin für einen schrittweisen Wiedereinstieg in den Präsenzbetrieb, wenn Infektionsketten wieder nachvollziehbar sind, denn nur dann funktionieren auch die Hygienekonzepte der Schulen, die auf dem Prinzip der Kohortentrennung basieren. Bis dahin braucht es vernünftige
Standards für das "Schulisch angeleitete Lernen zu Hause", und diese müssen auch eingehalten und nachgehalten werden. Die Standards zwischen den Schulen und selbst innerhalb der Schulen sind einfach zu groß. Es ist ungerecht, wenn
Klasse A regelmäßigen Unterricht per Videokonferenz mit der Klassenleitung hat und Klasse B sich mit Arbeitsblättern und zwei Anrufen pro Woche zufrieden geben muss.

Es gibt Publikationen, die zum aktuellen Zeitpunkt einen Wiedereinstieg für vertretbar halten und die von Einigen
als Beleg angeführt werden, um JETZT öffnen zu können, wie beispielsweise die aktualisierte Stellungnahme der DGPI. Was allerdings oft übersehen wird: für die Öffnungen werden auch Bedingungen an den Infektionsschutz formuliert, die von sehr vielen

dgpi.de/aktualisierte-…
Schulen organisatorisch, personell oder infrastrukturell nicht gestemmt werden können. Debatten über Luftreinigungsgeräte, versetzte Beginnzeiten zur Entzerrung des Personenverkehrs in den Gebäuden, Schnelltestungen etc. machen Spaß, weil sie Perspektiven aufzeigen, allerdings
haben sie oft mit der Realität von Personalmangel, Ausschreibungsfristen und heruntergewirtschafteten Schulgebäuden wenig zu tun.

Oder um es auf den Punkt zu bringen: unser Bildungssystem steht nicht kurz vorm oft zitierten Zusammenbruch, sondern es ist
trotz großem Engagements sehr vieler Akteure zusammengebrochen (zumindest, wenn man noch Ansprüche an Unterrichtsqualität und Bildungsgerechtigkeit hat).

Im Moment retten die Schulen das, was mit den begrenzten Mitteln bei ihnen noch aufrecht gehalten werden kann.
Ob ich Zweifel habe? Regelmäßig. Unser Fünfjähriger, der nun schon seit Wochen nicht in der Kita war, hat mich heute wieder traurig angeguckt und "Scheiss Corona" geflucht. Unsere Große retten wir via Zoom mit ihren Freund*innen durch diese Zeit. Dazu die Fernbeschulung,
Homeoffice, teilweise Einkommenseinbußen wegen Kurzarbeit, die Umstände des permanenten Aufeinanderhockens durch die Kontaktbeschränkungen und die fehlenden Möglichkeiten "draußen" was anderes zu unternehmen, als spazieren zu gehen etc. Das ist ganz große Kacke und irgendwo
hat sich auch mein Biorhythmus verkrochen und kommt nicht wieder raus aus seinem Versteck.

Aber: es hilft nix. Corona wäre für den Sohn vermutlich noch mehr "Scheisse", wenn irgendwer dran stirbt (hatten wir im vergangenen Jahr im Bekanntenkreis...) und den Unterrichtsstoff
der Tochter arbeiten wir irgendwie und irgendwann nach. Alles Weitere wird in der Elternarbeit entschieden. Jetzt und nach der Pandemie. Dranbleiben ist wichtig Und diejenigen zu unterstützen, die nicht das Privileg eines Homeoffices haben. Weiter gehts. Gute Nacht.

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7 Jan
Senatorin #Scheeres hat heute im Abgeordnetenhaus mal wieder eine der Lieblingskommunikationsstrategien ihrer @SenBJF (erprobt bis in die untersten Ebenen der Berliner Bildungsinstitutionen) rausgeholt: das Ausnutzen der Diversität aller an Schule Beteiligten. Ein kurzer Thread.
1. Sie beruft sich auf "Schulleiterverbände", mit denen sie sich besprochen habe und die das Vorgehen begrüßten. Einzig: diese Verbände sind weder Teil der schulgesetzlichen Gremien, noch Teil des Dienstwegs, sondern privat organisierte Schulleitungen, die vermutlich nicht
repräsentativ sind. Sie hätte den Landesausschuss des pädagogischen Personals als offizielle Vertretung fragen können. Wäre aber vermutlich ungemütlicher geworden.

2. Sie beruft sich auf "Eltern, die im ersten Lockdown mit Töpfen vor der Senatsverwaltung standen und
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4 Jan
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30 May 20
#Polizeigewalt

Nein, anders, als es Seehofer und andere Rechtsausleger es immer behaupten, hat "Die Polizei" keinen Anspruch auf das Vertrauen der BürgerInnen, weil sie "so einen schweren Job macht". PolizistInnen haben ein ein Recht auf Respekt und auch für sie gilt die 1/5
Unschuldsvermutung. Ich darf nicht behaupten, dass jede/r PolizistIn gewalttätig wäre und das ist richtig so, weil dem schlicht nicht so ist.

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wie es soll. "Die Polizei" sogar noch einmal mehr, weil sie wie wenige andere Behörden die Befugnis hat, in Grundrechte der Bürger einzugreifen. Das hat auch nichts mit Misstrauen, sondern mit demokratischem Selbstverständnis einer aufgeklärten Gesellschaft 3/5
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8 May 20
Thread...

Corona ist eine Projektionsfläche.

Für Kapitalismuskritiker ist Corona der Beweis, dass "das System" zusammenbricht, wie sie es schon seit Jahrzehnten erzählen.

Für Rassisten ist es das "Chinavirus", um uns zu schwächen (seit Ewigkeiten die gängige Erzählung, nur,
dass der angebliche Gegner wechselt; Jetzt sind die Chinesen).

Für Antisemiten ist es irgendwas, was sich die Juden ausgedacht und verbreitet haben, um uns alle zu unterdrücken (was sie seit 2000 Jahren erzählen).

Für orientierungsverlorene Bürgerrechtler und Libertäre ist
Corona DAS Zeichen, dass der Staat uns alle unterdrücken will (was sie seit Jahrzehnten erzählen).

Für "Impfkritiker" ist es DER Beweis, dass uns "der Staat" alle zwangsimpfen und hörig machen will. (Was dort auch schon seit Jahrzehnten geredet wird).

Für Turbokapitalisten
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14 Apr 20
Die Schulen sind jetzt seit 4 Wochen zu. Oder anders: 2/3 eines regulären Sommerferienzeitraums sind rum. Haben Sommerferien jemals Bildungslücken gerissen? Nein.

Das Problem sind nicht ein paar Wochen der geschlossenen Schulen, sondern die Energie, mit der Kultusministerien 1/5
von Eltern und Kindern abverlangen, sie müssten den Schulbetrieb in dieser ohnehin schwierigen Situation irgendwie nachsimulieren und die Energie, mit der stur auf das Ablegen von Prüfungen bestanden wird, als gäbe es keine Alternativen dazu.

Im Nachhinein werden die 2/5
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23 Mar 20
Es gibt ein gemeinsames "Mindset" von Sozialdarwinisten, Esoterikern, Verschwörungstheoretikern und Wissenschaftsleugnern:

"Es gibt keine Realität, sondern die Welt ist so, wie Du sie siehst." Gemeint als Imperativ.

Und genau dieses "Mindset" erklärt auch diese 1/9
nur vordergründig merkwürdigen aktuellen Allianzen von Linksdraußen über Libertär bis Rechtdraußen und genau deshalb sind Debatten in den sozialen Medien seit Langem so unergiebig:

wir erleben nicht nur einen Angriff auf die Demokratie, sondern einen Angriff auf die 2/9
Vorstellung einer gemeinsamen Realität, gemeinsamer Wissenschaften und einer kollektiven Wahrnehmung der Welt, über die dann gestritten werden kann und muss.

Wir erleben, dass Pandemien als nicht existent dargestellt werden, obwohl es täglich tausende Tote gibt. Wir 3/9
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