Eine Sache, die für mich bis heute schwer zu verstehen bzw. akzeptieren ist: Das es so viele Leute gibt, für die ihre Politisierung nach links auch mit einer Emanzipation aus rassistischen/rechten Familienverhältnissen einhergegangen ist. Ein kurzer Thread/Diskussion. 1/x
Ich komm aus einem linken/antifaschistischen Familienumfeld. Nicht nur die Eltern - meine Großeltern kämpften als jugoslawische PartisanInnen an der Waffe oder. halfen diesen. Diese Hilfe führte zB. zur Gestapo-Haft meiner Oma.
Andere Verwandte waren im KZ.
Es waren (kärntner) SlowenInnen, und noch lange nicht alle meiner Verwandten waren KommunistInnen oder verstanden sich als links. Mein Opa war zb. erzkonservativer, patriarchaler Katholik. Aber Slowene zu sein bedeutete im NS den sicheren Tod. Weswegen er gegen die Nazis war.
Egal ob jetzt aus dem linken oder dem katholischen Eck: "Gegen Nazis" war in meiner Familie/Verwandschaft nicht nur ein Tshirt-Motiv, sondern gelebte Erfahrung und dadurch Dauerthema. Auch m1 Klassenkollegen am slowenischen Gymnas. in Klagenfurt/Celovec hatte ähnliche Biografien.
Mit Beginn der Teenagerzeit lernte ich auch "normale" Leute kennen. Die sprachen Zuhause kein Slowenisch und der Opa hatte im Haus meist irgendein Bild von sich in einer Nazi-Uniform hängen.
Am 10. Oktober, dem kärntner Landesfeiertag hingen sie die kärntner Fahne aus dem Fenster und machten mit bei den deutschnationalen Prozessionen die's überall gab.
Viele junge Leute aus solchen Familien kamen mit linken Ideen und/oder Antifaschismus das erste mal durch Punk oder andere alternative Musik in Berührung. Und wenn die Lieblingsband "Nazis Raus!" singt, dann MUSS das ja irgendwie cool sein, gell?
Der Joke: Dass die Jungpunker selber aus zutiefst mit der NS-Ideologie durchtränkten Familienverhältnissen kamen, begriffen viele damals nicht. "Nazis", das waren die Naziskins mit den weissen Schuhbändern. Aber Mama, Papa und Oma? Na geeeeeh!!
Zugegeben: Ich war (und bin?) nicht gut darin, Antifa-Emanzipationshilfe zu leisten. "Wenn jemand ein Fascho ist, dann sagt man ihm das laut ins Gsicht! Partisanen-Opa/Oma haben die nicht umsonst übern Haufen geknallt. Da gibt's nix zu bereden." - mit diesem Mindset wuchs ich auf
Also machte ich das: "Dein Opa war ein Kacknazi und deine Eltern sind genauso rassistisch! Scheiss auf dein 'deitsches Kärntalond'!".
Und jedes einzelne mal, wenn ich das so direkt sagte, fing sie an, die Herumopferei. Dass der Opa ja ger ned Nazi war, dass er keine Wahl hatte, dass eh alles nicht so schlimm war...

Natürlich auch von Leuten, die ein Anti-Nazi-Shirt trugen.
Was ich nicht verstand: Seiner rassistischen FPÖ-Familie zu sagen, dass sie rassistische FPÖ-Nazis sind, hätte für viele Leute große Probleme mit der Family bedeutet. Und mit 17 Jahren vor die Tür gesetzt zu werden ist nicht cool.
Da sowohl meine Familie als auch deren Umfeld (ArbeitskollegInnen, FreundInnen, Bekannte) fast ausnahmslos antifaschistisch/links war, konnte ich mir gar nicht vorstellen was es heisst, in einem Dorf zu wohnen wo man der/die einzige Linke umgeben von abhitlernden GTI-Proleten war
Die gabs zwar bei mir im Dorf auch, aber es gab halt auch starke kärntnerslowenische Strukturen. Kulturzentren, Konzerte, Theatervorstellungen, antifaschistische Gedenkfeiern und Diskussionen etc etc. Antifaschismus war dort gelebte Wirklichkeit, nicht nur ein Text einer Punkband
Die "normalen" Leute kamen so gut wie nie in diese Kulturzentren. Auch nicht deren Kinder. Die waren meistens die Fußbal-Schlägerprolls die Böhse Onkelz und "is vabotn oba Geil"-Landser hörten. Und natürlich auch ihre Arschgeweih-Tussi-Freundinnen.
Erst gegen Ende meiner Teenager-Zeit fing ich auch an, mich politisch zu organisieren. Da waren wirklich tolle Leute dabei in meiner Gruppe, mit einigen bin ich bis heute befreundet.
Und vor allem: Diese Leute setzten sich kritisch mit ihrer Familiengeschichte auseinander.
Der SS-Opa. Die BDM-Oma. Die lange als "normal" empfundenen Besuche bei den Feiern des Kameradschaftsbundes. Etc etc. Es gab viel zu bereden.
Aber ich konnte da eigentlich nicht viel dazu sagen. Und blieb oft still.
Und nur allzuoft hatte ich die Nase von von all diesem "basic" shit. "Wer waren die PartisanInnen?" stand mal zur Diskussion. Da zuckte ich aus.
"Teile meiner Verwandschaft waren im KZ, andere bei den PartisanInnen. Für uns kärntner Slowenen gäb's nur die Gaskammer, hätten wir ned gekämpft! Und jetzt soll ich das alles diesen priviligierten deutschkärntner Kids beibringen?"
Ich wollte linke Politik machen, auf die Straße gehen, kämpfen. Und nicht irgendwelchen Leuten erzählen, wieso es richtig und wichtig war, dass mein Partisanen-Opa seinem SS-Opa eine Kugel zwischen die Augen geschossen hat.
Und ja, heute reagier ich nicht mehr so aufbrausend wie damals. Und ich verstehe, dass die Befreiung aus rechten Familienverhältnissen ein meist schmerzhafter, jahrelanger Prozess ist.
Und ich hab mittlerweile auch einen Mordsrespekt vor den Leuten, die das geschafft haben.
Wie war das bei euch so?
War die Familie links? War sie rechts?
Es ist Sonntag. Erzählt mal eure Stories :)

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11 Feb
I've got some questions for non-native japanese speakers/learners (natives are welcome to contribute to this thread, too).
It's about 漢語 vocab if there is a possibility to learn it without dull rote memorisation. It's a topic I've been thinking about since years.
Thread 1/x.
First of all: I speak five languages. 2 germanic (german native, english learned), 2 slavic (slovene native, serbocroatian learned) and have some okay-ish passive command of italian/spanish.
And, of course, Japanese.
I honestly can't even remember how I really learned english and serbo-croatian. It just "kinda happened".
Well, of course I know what helped: They are similar languages, so the amount of vocab and grammar I had to learn anew was comperatively low.
Read 13 tweets
14 Jan
Leugnung bzw. auch Glorifizierung des Faschismus ist in Japan Staatsideologie.

"Korea war nie 1 Kolonie Japans. Zwangsarbeit, Deportationen, Vergewaltigungen, Entführungen und Folter gab es nicht".
So Ex-Außenminister und derzeitiger LDP-Abgeordneter Masahisa Sato am 12.1.2020.
Man stelle sich vor, ein/e hochrangige/r deutsche PolitikerIn würde einfach so sagen: "Deutschland hat Polen nie überfallen. Es gab keine Zwangsarbeiter. Es gab keine Konzentrationslager und keine Gaskammern. Alles Lüge".
Natürlich hat Masahisa Sato auch beste Verbindungen in die extreme Rechte. So versuchte er 2011 mit Nobuyuki Suzuki (Bild), Chef der offen faschistischen "National Party of Japan", auf die koreanische Insel Jukdo zu reisen, Propaganda für JP Gebietsansprüche.

"Versuchte"??
Read 4 tweets
7 Dec 20
I want to tell you a story about a female town council member who was raped by the town's mayor. His victim lost her job and was humiliated again.
This didn't happen in 50s USA. It happened today in JAPAN. A horrifying story. Thread, please read.
#草津町の新井祥子町議を支持します
The town of Kusatsu is a small one. The population is just above 6000 people. Pretty much the only thing it's known for are it's hot springs, called "onsen" in Japanese.
But Kusatsu is also a place where the other, very dark reality of this "Japan" is visible. In 2015, the female town council member Shoko Arai was raped. The rapist was Nobutada Kuroiwa (see photo). He raped Shoko Arai in his office.
Read 20 tweets
1 Aug 20
Was in Europa besetzte Häuser sind, nämlich Zentren eines alternativen, linken gesellschaftlichen Lebensentwurfs sowie linker Politik, das waren in Japan lange Zeit selbstverwaltete StudentInnenheime. Ein Thread dazu, wie immer mit vielen Bildern. Es wird spannend :)
In den 50ern erstritten sich linke StudentInnenorganisationen (AstA, öH-Style) Autonomie über die Studiheime. Sogar die Miete wurde selbst bestimmt und war dementsprechend niedrig. In den wenigen noch bestehenden Heimen liegt sie heute oft nur bei 20-30 Euro pro Monat.
Bis in die 80er gab es über 100 selbstverwaltete Studiheime. Nicht alle politisch, aber viele. Diese wurden zu den Zentren der militanten Linken Studibewegung der 60er und 70er. Neben den Heimen gab wurden ganze Campus-Trakte besetzt und wurden eine No-Go Area für die Polizei.
Read 11 tweets
31 Jul 20
Was im Westen die Hasskappe ist, ist in Japan der Helm. DAS Symbol der radikalen, militanten Linken, insbesondere in den 60ern. Das japanische Wort dafür ist "Geba-heru", ein Lehnwort aus dem Deutschen(!) und bedeutet "Gewalthelm". Ein kleiner Thread bzw. Galerie. Viel Spaß.
Markenzeichen des "Geba-heru": Jede Gruppe hat(te) ihren eigenen Helm, mit der Aufschrift der Gruppe und einheitlicher Farbe. Auf aufgetreten wird gemeinsam, wie auf den Bildern ersichtlich.
Read 10 tweets
30 Jul 20
Rant (thread) about how researching about social movements in Japan can be a major pain in the ass due to the "outer/inner" (uchi/soto)-dynamics that run the country. And why I, as a non-japanese often feel out due to being a "gaijin".
Since I came to Tokyo last year, one of the biggest struggles in my research about anti-fascist movements in JP was to get adequate informations. Articles and books, which go deeper than what's available in a mainstream bookshops.
I am especially interested in the ideological changes and developments of anti-fascist groups. From being fiercly anti-japanese until the 80s, to becoming more and more liberal and sometimes even openly rightwing since Fukushima.
Read 22 tweets

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